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@yaiza Ja, die CD von Núria Rial ist neu (Anfang November erschienen) – ich finde sie wunderbar, das wirkt alles recht schlicht … aber wir wissen ja, dass diese Dinge täuschen können. Lege sie wohl heute als letztes auch noch mal ein.
Diese Ciocarlia-CD klingt interessant, ich kenne von ihr ja nur die Schumann-Box … berichte dann bitte mal!
Jetzt was anderes, auch beim Vertrieb eingekauft, die war glaube ich beim letzten Besuch schon dort, aber damals nahm ich noch mehr mit und liess ein paar Dinge zurück:
Dieses ganze Jahr habe ich wenig Sachen mit Stimme gehört – so wenig wohl, wie noch nie, seitdem ich mit Klassikhören überhaupt angefangen habe. Das wurde mir beim Besuch beim Vertrieb vorgestern überdeutlich. Das Jahr raste auch dahin und ich dachte immer, ich käme irgendwann ja dann schon noch dazu … ein paar neue Alben liefen einzelne Male (Devieilhe, Prohaska, die Kapsber’girls, Véonique Gens etc.), aber Oper hörte ich wohl so selten, dass ich es sicher an den Fingern meiner beiden Hände abzählen kann (ich erinnere mit Sicherheit gerade mal den „Fidelio“ von Jacobs). Das wird sich wieder ändern, aber es fiel mir halt auf.
Der Bariton Georg Nigl, den ich bisher v.a. von der umwerfenden alpha-Produktion „Bach Privat“ kenne (mit Anna Lucia Richter, Petra Müllejans, Roel Dieltiens und Andreas Staier), singt hier ein Dutzend Schubert-Lieder (darunter „An die Musik“, „Wandrers Nachtlied“ und „Die Forelle“), dazwischen Beethovens „An die ferne Geliebte“ und Rims „Vermischter Traum“, ein „Gryphius-Stück für Bariton und Klavier“ aus dem Jahr 2017. Begleitet wird er von Olga Pashchenko, die ich auch im Laufe dieses Beethoven-Jahres erstmals gehört habe. Sie spielt einen McNulty-Nachbau eines Graf-Instruments von 1819 sowie einen Steinway (bei Rihm). Die Liner Notes schrieb Nigl gleich selbst, er stellt ein paar interessante Überlegungen über Aufführungen/Aufnahmen an, spricht die Wahl des Instrumentes an, die Notwendigkeit, auch die Stimme dem Raum anzupassen, in dem der Sänger auftritt. Mit dieser CD versucht er, das Lied dahin zurückzuführen, wo es entstand bzw. in den Kontext, für den es einst geschrieben wurde: die Hausmusik, ein „in sich und zu sich singen“.
Rihms Stücke entstanden übrigens für Nigl. Dieser hatte dem Komponisten die Gryphius-Texte zugesandt, wie er schreibt ohne den Hintergedanken einer möglichen Vertonung. Gedacht waren sie als Trost für den erkrankten Freund – und daraus wurde dann die erste Komposition nach dessen Genesung.
Auch Olga Pashchenko hat einen Text für das Booklet beigesteuert, sie schreibt vom Wunsch der Tasteninstrumentalisten (natürlich nennt sie Chopin, aber auch C.P.E. Bach), auf ihren Instrumenten singen zu können, das Sich-ertappen, wie beim Spielen die Worte mit den Fingern gesprochen werden: „man flüstert, man sing, man murmelt, schreit, stolpert, drängt und gerät außer Atem“.
Das Hammerklavier und Nigls zurückhaltend-zarter Gesang, der nie forciert, stets ganz wunderbar dahinfliesst – so fliesst, dass manche Akkordwechsel (z.B. in „Das Zügenglöcklein“, D 871) im ersten Augenblick geradezu verwirren: wie kam er jetzt dahin, wie bitte soll das gegangen sein? ich habe doch zugehört und doch nicht begriffen? –, das ergibt eine zauberhaft intime Atmosphäre. Das hat viel mit dem Instrument zu tun, denn das Drängende, das „ungestüme Temperament“ (Pashchenko) der Lieder von Schubert und Beethoven, und zugleich das Fragile dieser Spielanlage, werden noch viel deutlicher spürbar als mit dem mächtigen Steinway.
Ich bin jedenfalls gerade ziemlich begeistert!
Das Cover-Photo nahm übrigens Pascal Dusapin auf.
Rezensionen aus berufenerem Munde:
https://www.forumopera.com/cd/georg-nigl-vanitas-essentielles-vanites
https://www.theguardian.com/music/2020/nov/05/vanitas-lieder-by-schubert-beethoven-and-rihm-review
Und hier auch die Gelegenheit, einiges aus der CD (die mi 82:31 mal wieder überlang geraten ist, hoffentlich will ich nie die letzten zwei, drei Stücke bei StoneFM spielen, die lassen sie erfahrungsgemäss bei solchen langen CDs nie kopieren) zu hören:
https://1.brf.be/sendungen/klassikzeit/1074784/
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