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Anonym
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redbeansandrice
mr-badlands
redbeansandrice
vorgartenziemlich aufregend, dass du dich erstmals (?) in das post1965-terrain wagst…
….das ist ja dieser bekannte Anfaengerfehler mit Free Jazz, dass man Ascension oder so hoert, und dann denkt „wenn der fruehe bis mittlere Free Jazz schon so ein Getroete ist…
Über dieses Album sollte man ausführlicher diskutieren , denn ich höre da kein “Getröte”. Eher ein absolut kompromissloses Werk. Ich muss es allerdings auch noch öfter hören. Man sollte mutig sein, wenn der erste Schock verdaut ist, wird es leichter. Doch ich denke, du hörst das nicht als “Getröte”, oder? Auch wenn es kein absolutes Lieblingsalbum ist.
also… ich hab das Album damals 1995 oder so mit 14 in Koeln in der Stadtbuecherei ausgeliehen, das kostete 3 Mark pro CD, und direkt auf eine Kassette kopiert… und mir das danach auch einige Male angehoert, das Budget war beschraenkt und ich war neugierig… und ich hab da zunaechst nur Getroete gehoert… und ich wusste ja, das ist Jazz, das muss man ggf mehrfach hoeren… aber das Getroete ging nicht so leicht weg, und die Faszination wuchs auch nicht entsprechend nach… also, so muss das ja irgendwie funktionieren, man hoert ein Album einige Male, und vielleicht bleibt das eine oder andere, was einen stoert da, aber es gewinnt an Struktur, und so ab dem dritten, vierten Durchlauf faengt es an, dass man Sachen entdeckt, dass sich der Nebel lichtet, wie auch immer… wenn ich jetzt Ascension hoere, dann begreif ich immer noch eins zu eins, was mich damals vor einem Vierteljahrhundert im Kinderzimmer gestoert hat… waehrend ich mich zB bei Charlie Parker zwar an den Prozess des Begreifens, wie ich das Hoeren muss erinnere, aber nicht daran, wie es war, die Sachen vorher zu hoeren… und natuerlich hoer ich inzwischen auch andere Sachen auf Ascension. Jetzt grad laeuft es, und da ist das tolle Freddie Hubbard Solo mit Elvin Jones dahinter (so um Minute 17 von Edition II), nichts dran zu Meckern, grosse Klasse. Wenn ich will, dann kann ich auch in den Ensemblepassagen inzwischen mehr hoeren, das ALbum lief jetzt oefter, das Ohr ist geuebter und eine bessere Anlage als damals hab ich auch… Aber es wird noch sehr lange brauchen, bis das Album als Ganzes soweit gewachsen ist, dass ich wirklich Nachvollziehen kann, wie jemand Ascension besser finden kann als zB Crescent… Also, ich weiss, dass das sehr vielen gescheiten Leuten mit hervorragendem Geschmack so geht, aber mir fehlen noch die Verdrahtungen im Hirn, die diese Wahrnehmung ermoeglichen…
Danke für Deine Erfahrungen bzgl. “Ascension”. Ich glaube, wenn ich dieses Album mit 14 gehört hätte, dann hätte ich nach 10 Sekunden abgeschaltet. Es wäre für mich unerträglich gewesen. Damals hörte ich eher “Pet Shop Boys”, “Depeche Mode”, “a-ha”, “Tears for Fears” etc.. Außer einigen Benny Goodman Alben meines Vaters wusste ich nichts über Jazz und es interessierte mich nicht. Und ich hätte es mit Sicherheit auch als “Getröte” empfunden, keine Frage.
“Ascension” habe ich vor ca. 2 Jahren kennen gelernt. Für mich steht es für eine Art “Karthasis”, in welcher das Leid erst einmal durch Leid erfahren wird, bevor sich langsam eine Art Schönheit und Ästhetik offenbart. Man hat sich mit dem eigenen Leid und dem Leid der Welt arrangiert und glaubt, seinen Weg gefunden zu haben. Doch dann kommt “Ascension” und Du weißt, dass Du Dich selbst belogen hast. All der unterdrückte Schmerz kommt hervor und Du spürst, dass Du hier nur herauskommst, indem Du den Schmerz zulässt und erkennst, dass der Schmerz nur einem Film gleicht, der täuschend echt wirkt. Die Essenz des Schmerzes ist Frieden, aus dem dieser aufsteigt und in welchem sich der Schmerz wieder auflöst. Kein anderes musikalisches Werk verkörpert dies so kompromisslos wie “Ascension”.
Ich kann mich auch ehrlich gesagt, gar nicht so sehr auf die Soli konzentrieren, sondern ich versuche immer das Ganze zu hören. Oder besser, dass woraus die Musik entspringt.
Vom Standpunkt des Jazz betrachtet, finde ich es außergewöhnlich, dass jedem Musiker (fast gleich viel?) Zeit für Soli eingeräumt wird. Wie Wellen im Ozean, schälen sich die Soli heraus, tauchen an die Oberfläche, türmen sich auf und werden wieder eins mit dem Ganzen. Werden wieder unsichtbar. Das Ganze ist größer als die einzelnen Solisten, es ist wie ein stetiger Fluss. Ebbe und Flut.
Anfangs erscheinen die Wellen bedrohlich, mächtig, fast wie Ungeheuer, unmenschlich, doch wenn man herauszoomt, und die Soli immer als Teil der Gesamtheit sieht, dann fühlt man die Stille, den Frieden, die Größe, die allem zugrunde liegt. Dann fühlt man die Klarheit des Wassers und die Wellen scheinen nicht mehr bedrohlich. Die Bedrohung/Lärm wird stärker, je stärker man sich darauf fokussiert und nähren sich dem Frieden, der fast unendlichen Stille und Frieden des Ozeans wenn die Perspektive sich weitet.
Ich werde es sicher am Ende der Umfrage noch besser in Worte fassen können. Doch ich bin mir sicher, dass es in diesem Werk mehrere Ebenen gibt, wie man es betrachten kann. Vom fast unerträglichen Lärm auf der irdischen Ebene bis zur transzendentalen Ebene des Friedens und der Stille.
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