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Jack DeJohnette/John Patitucci/Danilo Perez – Music We Are (Kindred Rhythm Music Group, CD/DVD, 2009) | Das kam mir gestern zufällig in die Finger – habe es wohl einige Zeit nach Erscheinen (2009) aus einer Grabbelkiste gezogen und kann mich nicht mehr erinnern, es je ganz angehört zu haben (glaube, dass es mir so sehr nicht gefiel, dass ich den ersten Durchgang abbrach). Das Trio nahm das Album an drei Tage (22.-24. Februar) 2008 in Catskill, NY, auf, DeJohnette produzierte, Patitucci/Perez sind als Co-Produzenten aufgeführt. Auf Patitucci traf DeJohnette erstmals 1991 in Japan im Trio mit Gonzalo Rubalcaba, ca. 1994 führte DeJohnette dann ein Treffen von Patitucci und Perez herbei, mit dem er erstmals auf dessen Debutalbum 1992 gespielt hatte. In der Zwischenzeit hatten die zwei natürlich im neuen Wayne Shorter Quartet zusammengespielt.
Der Opener „Tango African“ (DeJohnette), ist fürchterlich busy, Melodica und Drums, Kontrabass am Boden und Bassgitarre (wohl die 6-saitige in der höchsten Lage), Klavier und E-Piano, alles andauernd in einem Dialog, wie es im Post-Fusion-Ethno-Jazz eines Richard Bona oder so üblich ist. Das folgende „Earth Prayer“ (dem ganzen Trio zugeschrieben) ist dann sehr sphärisch, fast leer, ein paar Klavierakkorde, ein paar rhythmisches Akzente, gegen Ende dann eine Trommel (oder ein Tom mit seltsamem Effekt?). Im dritten und vierten Stück, „Seventh D, 1st Movement“ und „Seventh D, 2nd Movement“ (DeJohnette), gewinnt das Album dann an Fahrt, hier hören wir ein klassisches Piano-Trio – und mich dünkt, Perez kommt nicht ganz umhin, Jarrett nicht vorbeischauen zu lassen. Er beschreibt in seinem Text im Booklet (es gibt einen von jedem der drei Musiker) auch schön, was DeJohnette in seinen Augen so besonders macht:
Jack really comes from that Miles Davis legacy where the door is always open to experimenting. He definitely left a wonderful amount of room for us.
The degree of confidence and trust in this trio is really incredible. We just got together in the studio to have some fun. We had no expectation and nothing was forced. We laughed a lot during this session because we were constantly surprising each other with what we came up with in the moment. That’s the magic that somebody like Jack can set up immediately. All you have to do it [sic] tune into that energy and the gravit of what it is to make things really happen.
„Soulful Ballad“ (DeJohnette) basiert dann auf einem Piano-Riff, das auch von Jarrett stammen könnte, und darüber spielt DeJohnette an der Melodica sein Thema – und dann eine Art Tango-Improvisation. In „Earth Speaks“ grummelt der gestrichene Kontrabass, darüber rasselt DeJohnette, dann steigt Perez ein, mit einzelnen Akkorden, die sich zu einer Art freiem Riff fügen – der Tanz liegt natürlich auch hier in der Luft, der Tango auch wieder nicht weit, dünkt mich – aber immer wieder gibt es auch Passagen, bei denen ich mich frage, ob sich die New Age-Alben von DeJohnette so ähnlich anhören?
„Cobilla“ (Perez) ist dann wieder eine treibende Nummer mit einem binären Groove, Patitucci am E-Bass (mit zwei Spuren, ein Solo als Overdub drüber, das wie im Opener stark wie eine Single-Note-Gitarre klingt), Perez auch wieder via Overdub am Klavier und E-Piano – das beste ist aber wohl, wie DeJohnette den Groove spielt, immer wieder andere Akzente setzend, manchmal mit Kuhglocke … und dann gibt es, wie im Opener, auch ein Schlagzeugsolo, das hier aber von den anderen beiden begleitet wird – und am Ende ist auch die ganze Geschäftigkeit des Openers wieder da (nur DeJohnette spielte diesmal keine Melodica-Overdubs auf). Das zerfleddert dann aber irgendwie gegen Ende – und ich kann es auch heute nicht ändern, obwohl mir die Tracks für sich genommen teils sehr gut gefallen: auch das ganze Album zerfleddert ziemlich. Vielleicht war da halt zuviel Gelächter und zuviel „gronwup children stuff going on“ (nochmal aus Perez‘ Text im Booklet – er findet das natürlich super).
„Panama Viejo“ von Ricardo Fábrega ist dann zunächst ein Duo von Perez und Patitucci, der am gestrichenen Kontrabass die klagend-melancholische Linie spielt, DeJohnette spielt Akzente auf den Becken dazu – das ist ein Folksong, schlicht dargeboten, und ja: sehr schön. Perez‘ zweiter Beitrag „White“ setzt dann mit einem doppelten E-Piano-Riff ein, wir sind sehr schnell wieder auf dem Weg in den dritten dieser busy Groove-Tracks, DeJohnette trommelt von Anfang an sehr frei, Patitucci bleibt am Kontrabass in der tiefen Lage, während das akustische Piano übernimmt und das E-Piano in die Begleitung verschwindet. Kann mir schon vorstellen, dass es grossen Spass macht, sowas im Studio zu spielen und einen Tag später Overdubs dazuzulegen (oder das Ding gleich spontan mit Loops zu erarbeiten und im Anschluss nochmal sauber, Spur für Spur, aufzunehmen) … aber zum Anhören finde ich das jetzt nicht sooo toll. Diese drei Groove-Stücke sind von der Stimmung her teils nicht so weit von dem entfernt, was knapp 20 Jahre früher im UK unter dem Etikett „Acid Jazz“ so gemacht wurde – aber klar, hier ist das alles auf höchstem Niveau umgesetzt und bleibt auch immer spannend, sei es durch DeJohnettes free-wheeling Getrommel, Perez‘ Einfälle oder Patituccis Beweglichkeit.
Die „Ode to MJQ“, wieder dem Trio zugeschrieben, fängt mit Beckenschlägen an, denen wir mit DeJohnette nachlauschen. Nach knapp eineinhalb Minuten spielt Patitucci am Kontrabass eine Linie, wiederholt sie, fällt in eine Riff, DeJohnette plaziert weiter einzelne Schläge. Der Bass verstummt, das Klavier steigt ein, dann stösst Patitucci mit dem Riff wieder dazu, DeJohnette plaziert erste Trommelschläge, nach über zweieinhalb Minuten spielt Perez sparsam begleitete Linien, die tatsächlich an John Lewis erinnern, während DeJohnette inzwischen im Stil von Chico Hamilton trommelt, immer noch frei, impressionistisch, später in einen Steady-Beat fallend, der aber abgesehen vom Hi-Hat ganz ohne Becken auskommt (ich glaub auch ohne Basstrommel, nur Toms und Steh-Tom, mit Filzschlägeln gespielt). Patitucci pausiert immer wieder für ein paar Takte, seine Linien werden dichter, bleiben in der Tiefe. Das gefällt mir jetzt doch ganz ausserordentlich – mit 9:34 Minuten ist das mit Abstand der längste Track (das „Earth Prayer“ dauert 7:10, die anderen zehn Stücke alle zwischen vier und sechs Minuten).
Den Abschluss macht dann das einzige Stück von Patitucci, „Michael“ – nochmal ein klassisches Klaviertrio, ein langsamer Groove, in dem DeJohnette mit seinen Beckenschlägen das recht gemütliche Thema punktiert, während Patitucci den Kontrabass brummen lässt. In der Mitte eine Art Generalpause, DeJohnette macht weiter, der Bass setzt wieder ein, Perez improvisiert, aber das bleibt alles sehr kompakt. Ein schönes Ende für ein ziemlich vielseitiges oder eben: zerfaserndes Album. Das alles ist überhaupt nicht schlecht, aber ich lege die CD jetzt wieder ganz nach hinten und es stört mich nicht, wenn ich sie erst in 10 Jahren wieder in die Hände kriege …
PS: Patitucci spielt wirklich einen 6-saitigen E-Bass – zu sehen auf der beiliegenden DVD, die eine knappe halbe Stunde Aufnahmen aus dem Studio enthält (oben ein Auszug vom Anfang). Die drei kommen im Schnee an, packen ihr Zeug aus, richten sich ein, und dann geht es über in Proben von „Tango African“, DeJohnette spielt den anderen an der Melodica das Thema vor, Patitucci sucht am Bass seinen Part („less information!“ sagt DeJohnette mal zu ihm), dann finden sie diesen Tango-Groove. Lydia DeJohnette ist auch dabei im Studio, natürlich der Toningenieur Scott Petito (NRS Recording Studio, wie gesagt in Catskill, NY) – Patitucci erzählt in der Küche von der gemeinsam Tour, DeJohnette tanzt ein wenig … dazwischen mal ein Blick auf den Bildschirm im Kontrollraum, wo die Fragmente und Spuren zusammengesetzt werden. Eine fertige Performance des Songs gibt es natürlich nicht (denn die gibt es nur auf Konserve), aber es ist schön zu sehen, wie die anderen beiden im Kontrollraum sich freuen, als Perez die vermutlich letzte Spur (den Flügel) aufnimmt. Dass „White“ das zweite Stück ist, dessen Entstehung im Film gezeigt wird, passt natürlich, denn auch hier wurden wieder mehrer Spuren zusammengelegt – die Basis sind Piano, Kontrabass und DeJohnettes toller Latin-Groove und das wurde wohl gemeinsam eingespielt. Ein paar Worte über „Panama Viejo“, dann ein Segment, in dem der Produzent, Perez und Patitucci über die technischen Möglichkeiten der Arbeit im Studio reden: die Möglichkeit, Segmente zu streichen oder eine leicht verrutschte Tonhöhe zu korrigieren, wenn sonst alles perfekt war … (in diesem Fall hatte wohl Patitucci bei „Panama viejo“ mal ein kleines Intonationsproblem, aber die Version war perfekt, also wurde wohl dann technisch nachgebessert). Nach einem Melodica-Rehearsal wird dann noch „Cobilla“ gezeigt, wo der Basistrack wohl auch wieder live eingeseilt wurde, jedenfalls sehen wir hier eine volle Performance (mit Flügel, E-Bass und Drums) – und wo DeJohnettes E-Drum zum Einsatz kommt, das er kurz erklärt. Auf dem Ding mit einer Fläche und einigen Reglern kann er hunderte Klänge (von Rahmentrommel bis Kesselpauke) erzeugen und das er auch als Sequencer nutzen kann (der Klang am Ende von „Tango African“ kommt wohl auch aus dem Ding). Jetzt ist die DVD schon wieder verräumt, aber es scheint sowas zu sein: Roland HandSonic HPD-20
Die drei bei der spontanen Zusammenarbeit im Studio zu sehen, finde ich gerade sehr toll – eine wunderbare Ergänzung zum Album jedenfalls!
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