Antwort auf: Ludwig van Beethoven

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Klaviersonate Nr. 31, op. 110

Nach dem Lesen einer schlichten Notiz von Imre Kertész gestern wieder und wieder gehört. Die Notiz, so schlicht ist sie indessen nicht, folgt sie auf eine Bemerkung zu Musik und Philosophie in einer Diktatur:

„Auf die schmerzliche Frage, die Beethoven im dritten Satz der Sonate op. 110 zum Sinn des Lebens stellt, gibt es nur eine einzige Antwort: Die darauffolgende Fuge. Und das ist zugleich auch die höchste Philosophie, über die keinerlei verbale Erörterung hinauskommt.“ (Der Betrachter – Aufzeichnungen 1991 – 2001, Reinbek 2018, S. 220)

Da steckt viel drin, warum überhaupt eine Frage, und wo im dritten Satz wird sie gestellt, im „Arioso dolente“ oder in den bewegenden, „bebenden“ Sechszehnteln zuvor? Wenn dies Letztere, dann wäre das „Arioso“ eine Art Antwort, möglicherweise. Aber damit kann man nicht enden, es wäre gleichsam vollbracht (und die Alt-Arie „Es ist vollbracht“ aus der Johannes-Passion wird aufgenommen von Beethoven), und das scheint nicht möglich. Nicht diese Antwort. Die Ruhe dieses Arioso drängt bei aller Ruhe nach vorn (oder drängt jede Befriedigung trotzdem nach vorn, weiter?), irgendwohin, und eine hochmelidiöse Fuge vermag wohl eine Antwort zu geben. Wenn schon.

Wenn man vieles auf einmal sagen möchte, ist ein altbewährtes Mittel zur Verständigung das Echo, Beethoven kennt es gut, das ständige Variieren des Immerselben, das dadurch immer noch verschieden bleibt und sich bespiegelt. Hierhin, dorthin. Aber das Dorthin, die Antwort in der Fuge, wie macht man das? Ich habe das, was hier so da ist, angehört, nicht viel, Schnabel – der eher huscht und über Fragen hinweggeht, eigenartiger Weise – , Solomon, Gulda, Schiff und vor allem Gould und Ugorskaja. Bei den beiden finde ich den für mich zurzeit entscheidenden Unterschied, den ich gerne vermählt wüsste. Im dritten Satz stellt sich – ihn nur selbst besehen – keine Frage, das ist Aufgehen in einer Klarheit, bei Gould ist allenfalls die Arbeit zu hören, die er dabei hat, auch eine Art der Einfühlung, eine bedeutende.  Diese Art der Arbeit scheint Ugorskaja hinter sich zu haben, wo Schiff gar nicht so unähnlich spielt, stellt sich indessen bei mir immer noch ein bloßes „Aha“ ein. Ein „Na gut.“ Das ist durchdacht, bei Schiff, aber ohne die Grenze des Denkens, das sich nicht durch pure Schönheit salviert, zu markieren. Gould markiert sie, Ugorskaja geht etwas weiter; ich weiß nicht, wie ich das auf die Schnelle besser sage.

Die Fuge. Gould irrt sich am Anfang – aber mir ist jeder Irrtum Goulds lieber als eine Richtigkeit manch anderer -, er geht mit dem Antwort-Gestus eines Oh-Freunde-nicht-diese-Töne da hinein, als sei jetzt etwas zu richten, zu berichtigen. Das ist es ja auch – und dann wird Gould nachdenklich, im Mittelteil frage ich mich, ob er jetzt nicht Lust gehabt hätte, den Klavierdeckel zuzuklappen, zu sagen: „Heute nicht.“ Bewegend, diesen Zweifel kennt Schiff nicht. Ugorskaja scheint ihn zu kennen, seltsamer Eindruck, aber sie ist etwas zuversichtlicher. Gould spielt die Fuge als Entfesselung, Ugorskaja als Freilassen, Gould erinnert ein Befreitsein, Ugorskaja erhofft ein Freiwerden. Gut, schlichte Wörter. Ich weiß nicht, was besser ist, Goulds Zögern im Sturm oder Ugorskajas Antwort einer Blüte.

Die Notiz, die Kertész (2000) der anderen Notiz voranstellt:

„Einsam, mit Musik und Philosophie den Morgen beginnen … aber das war nur in der Diktatur möglich, als man die Hoffnung auf das sogenannte Leben aufgegeben hatte, andererseits auch nicht die unmittelbare Verhaftung fürchten mußte … In dieser Hinsicht, kann man sagen, war das Kádár-Regime ein völlig passendes Gefängnis.“

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