Antwort auf: Everything's fucked up – Sexploitation- und #metoo-Debatten in der Musikszene

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jackofh

Registriert seit: 27.06.2011

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Mir ging es noch um etwas Anderes bei dem „Zeit“-Artikel, was in den Beiträgen von pfingstlümmel und irrlicht bereits anklingt.

Erstmal: Natürlich muss man auch als Musikjournalist darüber schreiben, wenn Vorwürfe von sexuellem Missbrauch gegenüber Musikern aufkommen. Sich einer Selbstzensur à la „da könnte ja was hängenbleiben, wenn es nicht bewiesen werden kann oder sich als falsch rausstellt“ zu unterwerfen, widerspricht ganz klar dem journalistischen Auftrag. Und darüber, dass bei dem Thema selbstverständlich eine besondere Sensibilität an den Tag gelegt werden muss, müssen wir uns nicht unterhalten, denke ich. Was auf Social Media passiert, darf auch nicht dazu führen, die eigene, seriöse Berichterstattung sein zu lassen.

Aufgabe des Journalisten ist es jedoch, so objektiv wie möglich über so gewissenhaft wie möglich geprüfte Fakten zu berichten. Und zu beurteilen, wie glaubwürdig die Quellen sind und ob überhaupt ein Nachrichtenwert besteht. Diese und weitere Fragen beeinflussen dann auch die Entscheidung, ob und zu welchem Zeitpunkt eine Veröffentlichung angebracht ist und auf welche Weise berichtet werden kann/sollte. So wurde es mir zumindest mal beigebracht – und das erwarte ich auch von einem Qualitätsmedium wie der „Zeit“. Ich erwarte zudem, dass man seinen Leser*innen zutraut, sich anhand der berichteten Sachverhalte ein eigenes Bild zu machen statt ihm eine Meinung aufzuzwängen. Der mündige Leser verbrennt keine Platten und holt auch nicht gleich die Mistforke aus dem Schrank, wenn er über das Thema liest, sondern vertraut auf die dargestellten Informationen und die juristische Beurteilung durch Gerichte. Das sollten Journalist*innen meiner Meinung nach genauso handhaben.

Was hier jedoch passiert ist, ist etwas Anderes, leider Symptomatisches für die Berichterstattung (mindestens) vieler Onlinemedien heutzutage. Die Story ist längst bekannt; wer ein wenig die aktuelle Musikpresse verfolgt, wird über die Vorwürfe gegenüber Burger Records und Kozelek bereits (besser) informiert gewesen sein. Deswegen will der Autor der Story nun „einen neuen Dreh geben“ bzw. diese „weiterdrehen“, um die Geschichte am Laufen zu halten. Und das macht man nunmal am besten mit einer steilen These. Die in diesem Fall lautet: Die jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe sind symptomatisch für den sog. „Indie-Rock“. (Und, als Haltung dahinter: Ich habe es ja schon immer gewusst!)

Der Artikel ist also keineswegs ein neutraler Bericht über die Vorwürfe gegen das Label und die Künstler. Sondern eine von vornherein auf Krawall gebürstete Abrechnung, die hochmoralisch daherkommt und dabei offenbar gar nicht merkt, wie zynisch sie doch ein ernstes Thema für ihre Zwecke missbraucht.

Es fängt ja schon mit dem ersten Satz an: „Ein Held war Mark Kozelek zuletzt im Frühjahr 2014.“ So ein Einstieg lässt gleich gar keinen Zweifel mehr daran aufkommen, wohin die Reise geht. Mit kaum verhohlener Herablassung schreibt der Autor dann weiter über die angebliche künstlerische „Selbstdemontage“ des Sängers und gibt vergiftete „gute Ratschläge“ im Konjunktiv (nach dem Motto: der hätte sich einfach über seinen – natürlich unverdienten – Erfolg freuen und die Schnauze halten sollen). Einmal wird Kozelek zum „ranghöchste(n) beschuldigte(n) Genrevertreter“, dann wieder ist er nur ein Nischenmusikant, der für ein „überschaubares, aber devotes Publikum“ spielt. Ich bin weder Kenner noch Fan von Mark Kozeleks Werk. Doch wenn ein Journalist so über einen Künstler schreibt, merke auch ich, dass der Wind hier offensichtlich aus einer ganz anderen Richtung weht. Er raunt ja auch sofort von „weitreichenden Implikationen“.

Dass der Autor dann ein ziemlich krudes Verständnis von „Indie-Rock“ an den Tag legt, sagt ebenfalls viel über ihn aus. Von wegen „schlecht verhohlene Überlegenheitsgefühle“ oder der angebliche „Glaube, dass man als Musiker oder Hörer automatisch zur geschmackssicheren, politisch fortschrittlichen Minderheit gehört.“ Was er dann aber über die sog. „beta males“, die das Genre prägen würden, ausführt, ist an Absurdität oder auch Dummheit für mich kaum auszuhalten (zumal der Begriff eng mit der Incel-Szene verbandelt ist, wie latho ja schon schrieb: Kopfkino für die Leser!).

Die These, dass diese Loser, weil sie „beim Sport oder in der Tanzstunde als letztes ausgewählt“ wurden eben keine „richtigen“ Rockstars werden konnten mit echten Groupies und so – und deswegen ein eigenes Genre erfunden hätten, um trotzdem an die Girls/Boys zum Belästigen zu kommen, ist so dermaßen absurd, dass es (mir) fast wehtut. Ich finde es abstoßend zu lesen, mit welcher Selbstgerechtigkeit und Genugtuung der Autor da über die Künstler des vermeintlichen Vergewaltiger-Genres schwadroniert. Getoppt in dieser ebenso hämischen wie rhetorischen Frage: „Verbirgt sich hinter den sensiblen Künstlerseelchen seiner Protagonisten eine weniger offensichtliche, aber nicht weniger zerstörerische Form von Männlichkeit, die das Groupie- und Exzessgebaren der Rock-’n‘-Roll-Gründerzeit lediglich subtiler fortführt?“

Na logo! Also: Indie-Bands, legt endlich die Gitarren nieder! Pickliger Beta-Mann: Raus aus dem Rampenlicht! Die Zukunft des „Indie-Rock“ ist weiblich! Denn: „Es gibt keine andere, die man sich für den Indie-Rock noch ausmalen möchte.“ Und ernsthaft: Was bleibt denn letztlich von diesem Bericht? Die Erkenntnis, dass auch im Bereich der Indie-Musik vermeintliche Schutzräume oft furchtbarerweise nur zu Schutzräumen für Täter wurden? Dass auch introvertierte Männer zu Sexualdelikten fähig sind? Dass Indiemusik nicht der Hort alles Guten ist? Dass Frauen häufig seit Jahren die interessantere Musik (übrigens nicht nur im „Indie-Rock“) machen?

Alles Binsen. Jeder Mensch, der sich mal für zwei Minuten mit dem Thema Sexismus und Missbrauch auseinandergesetzt hat, weiß doch, dass das ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Niemand, der bei Trost ist, denkt doch, dass es Szenen gibt, wo Übergriffe generell keine Rolle spielen. Deswegen ist es ja so unseriös und unredlich, ein Musik-Genre bzw. den Typus des sog. „Beta-Männchens“ dafür verantwortlich zu machen. Und das Thema für genüßlich formulierte, persönliche Abrechnungen und Clickbait zu nutzen.

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