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so… endlich der erste Teil der Aufloesung… habe kapiert, dass eine der Sachen, die mich die Tage deprimieren, die Tatsache ist, dass ich diese posts noch nicht geschrieben habe… hoffe es hilft (und ich schaff die zweite Haelfte auch bald)… wie von thelonica angeregt gibt es ueberall ein paar Tipps zum weiterhoeren (so ich sie habe)… nochmal ganz vielen Dank Euch allen fuers mitspielen!
#1 Vince Wallace – Wave (A.C. Jobim)
Album: Live At the Studio Cafe (Ampex)
rec. September 24 & 25, 1975, Balboa
Bill Atwood (t), Hart Smith (tb), Vince Wallace (ts), Kent Glenn (p), Mark Proctor (b), Paul Kreibich (d)
Vince Wallace ist so ein Name, der in Saxophonforen immer genannt wird, als jemand, ueber den zu Unrecht keiner spricht… in der Kategorie haben wir hier im Test tatsaechlich einige, Paul Stocker zB oder Joe Romano… eine graue Eminenz der Bay Area Szene, 1939-2012, der in den 70ern zwei Alben unter eigenem Namen aufnahm, und dann ab den 90ern wieder, alles auf Kleinstlabels an der Grenze zur Eigenproduktion. Viele dieser verkrachten Existenzen des Jazz (s. diese seltsame Dokumentation https://www.youtube.com/watch?v=jlx4-DN8OsE, er gehoert eindeutig dazu) machten ja auch Musik, die ein bisschen danach klang (Tony Fruscella zB), was mir an diesem Track unter anderem gefaellt, ist, wie weit all die Probleme ausgeblendet sind… klar, das ist im weitesten Sinne Hard Bop, aber die Breitbeinigkeit kommt aus dem Rock…
Next Steps: das Vorgaengeralbum „Vince Wallace plays Vince Wallace“ ist auch sehr gut, ab da wird es schwierig… das ist so eine Clique von Musikern, die immer wieder zusammen gespielt haben, Kent Glenn (Diskografie), Marc Proctor, Gene Stone… aber ich bin noch ziemlich am Anfang…
#2 Günther Klatt – Chelsea Bridge (B. Strayhorn)
Album: Various Artists – 1st European Jazz Competition – European Young Jazz Artist – Jazz Festival Leverkusen 1982 – International Jazz Federation
rec. October 13 & 14 1982, Leverkusen
Günther Klatt (ts), Paul Grabowsky (p), Daniel Anderson (b), Hacky Hartmann (dr)
ich hab es ja eigentlich nicht so mit deutschem Jazz… aber neulich stolperte ich via youtube Empfehlungen ueber den Muenchner Saxophonisten Günther Klatt (1957-2012) und war direkt ziemlich begeistert… allein schon die Idee, das es reichen koennte, die eigene Musik komplett auf der Basis von Ellington Balladen aufzubauen… natuerlich reicht das, wenn man so drueber nachdenkt… (und soulpope nannte Archie Shepp – der hatte irgendwann eine aehnliche Idee) … damals 1982 sah es nach dem Beginn einer vielversprechenden Jazzkarriere aus, Album fuer ein legendaeres Label (JG Records), erster Preis in Leverkusen… und danach kam ueber die naechsten 15 Jahre nochmal eine handvoll Alben, aber irgendwann machte es wohl keinen Spass mehr, das mit der Karriere war so eine Sache, er soll viel gemalt haben in den spaeteren Jahren… der Track ist gut, aber sicher nicht sein bester, hab in den letzten Wochen endlich angefangen, systematischer einzukaufen… zu den Musikern hier weiss ich sehr wenig… Grabowsky, ein Australier, blieb noch ein paar Jahre bei Klatt und ist auch noch immer recht aktiv, fuer die beiden anderen war das hier scheinbar ihr Moment im spotlight.
Next Steps: Als sideman hat Klatt nicht viel gemacht, vor allem das Lala Kovacev Album, von dem ich hier vor einiger Zeit erzaehlt hatte… seine eigenen Alben findet man eigentlich alle recht leicht auf LP oder CD… es gibt definitiv bessere Tracks als diesen hier
#3 Pete Christlieb – Like Almost Like (aka Almost like being love, Lerner & Loewe)
Album: The Pete Christlieb Quartet Live – Dinos’83 (Bosco)
Pete Christlieb (ts), Mike Melvoin (p), Jim Hughart (b), Nick Ceroli (dr)
hierzu ist schon das meiste gesagt – live Jazz Atmosphaere kriegt man selten so pur wie hier… Christlieb (*1945) hat eine bedeutende Studiokarriere hinter sich, Steely Dan organisierten ihm 1978 sein Debut Album (Apogee mit Warne Marsh), die naechsten Alben erschienen dann erstmal auf seinem eigenen Label Bosco… das hier bis auf den Drummer die Band von Tom Waits Nighthawks… alles Leute, die in LA mit jedem gespielt haben und hier an einem freien Abend beweisen koennen, dass sie vor gar nichts Angst haben muessen
Next Steps: ich kenn mich hier noch kaum aus, behaupte aber einfach mal, dass es sich lohnen muss, nach anderen releases auf Bosco (link, link) zu suchen, Besetzungen variieren ein bisschen, aber wenn Warne Marsh dazukommt, oder Mike Wofford (s.u.) Mike Melvoin ersetzt, kann das eigentlich nicht schaden…
#4 Thomas-Pelzer Limited – Star Eyes (Raye, De Paul)
Album: Thomas-Pelzer Limited – Thomas-Pelzer Limited (Vogel)
rec. 26 February 1974, Reward Studios, Schelle, Belgien
Rene Thomas (g), Jacques Pelzer (as), Rein De Graaff (p), Henk Haverhoek (b), Han Bennink (dr)
fuenf grosse bis ganz grosse Namen des europaeischen Jazz, die hier einige nicht ganz ueberzeugen konnten… ich find das Album ja ganz rough und charmant… aber zugegeben, dass das hier der erste Studiotrack im bft sein soll, wundert einen schon
Next steps: Tatsaechlich ist das Album vielleicht die groesste Raritaet im Test, mir lief mal ein ehemaliges Bibliotheksexemplar fuer fuenf Euro ueber den Weg, aber das Glueck muss man haben… aber natuerlich gibt es jede Menge andere tolle Aufnahmen von Rene Thomas, Han Bennink, und den anderen… das Label Vogel kann man eigentlich auch gefahrlos kaufen, ein kleiner aber gesuchter Katalog
#5 Burton Greene Quartet Featuring Paul Stocker – Valencia Chocolate
Album: Valencia Chocolate (Cat Records)
rec. 24 Juni 1985, Studio 44, Monster, Niederlande
Burton Greene (p), Paul Stocker (sax), Raoul van der Weide (b), Clarence Becton (dr)
und direkt das naechste vergleichsweise unbeliebte Stueck… drei Amerikaner in Holland, Greene, Becton und Stocker – wobei letzterer nie in Amerika aktiv war, er arbeitet heute in Spanien… dazu ein toller niederlaendischer Bassist… Greene (*1937) ist ja so ein legendaerer Name, ESP in den 60ern… ab den 70ern lebte er dann in Holland und nahm einige Alben auf… Stocker (*1954) ist mE ein sehr sehr toller Saxophonist (allein schon technisch… wie er das hier mit den zwei Saxophonen macht), der vielleicht ein bisschen zu spaet auf die Szene kam, um so richtig durchzustarten…
Next Steps: auch hier kenn ich mich so zu wenig aus… ich kauf eigentlich alles, wo Stocker draufsteht (JC Tans and Rockets, Jeff Reynolds Big Band… aber bislang war das hier wohl das staerkste)
#6: Mike Wofford – Dearly Beloved (J. Kern)
Album: Mike Wofford Quartet – Plays Jerome Kern – Vol.2 (Discovery)
rec. July 1980, Los Angeles
Mike Wofford (p, ep), Anthony Ortega (cl), Tom Azarello (b), Jim Plank (dr, vib)
ich find das einfach einen tollen, experimentellen und atmosphaerisch packenden Track, den man Leuten aus der dritten Hard Bop Generation auf einem „Plays Jerome Kern“ Album so vielleicht nicht zugetraut haette… Ortega spielt hier ueber die Tracks verteilt sein ganzes Arsenal an Instrumenten (Klarinette, Floete, Altsax und Tenorsax)… an der Klarinette hoert man mE besonders deutlich, dass er zusammen mit Eric Dolphy gross geworden ist…
Next Steps: Discovery Records hat in den 70ern und 80ern viel aufgenommen, optisch ueberwiegend keine Schmuckstuecke, aber musikalisch ueberraschend breit, tolle Musiker – und sie sind eigentlich auch immer sehr fair gepreist, wenn man sie heute sieht… Ortega nehm ich eigentlich immer mit, wenn ich etwas sehe… das hier ist Vol 2 eine Serie von 3 (es gab die auch mal auf einer Doppelcd), aber die anderen beiden sind im Trio ohne Ortega (blogpost)… ansonsten ist natuerlich eine direkte Anschlussempfehlung Scattered Clouds von Ortega mit Wofford auf Hatology, eine tolle Aufnahme aus den 90ern, die soulpope immer mal wieder anpreist
#7: Sam Noto – Upstate Association
Album: Sam Noto – Act One (Xanadu)
rec. 1 Dezember 1975, New York
Sam Noto (tp), Joe Romano (ts), Barry Harris (p), Sam Jones (b), Billy Higgins (dr)
Upstate Association… die verlorene italo-amerikanische Hardbopgeneration aus Upstate New York, viele von ihnen waren irgendwann in Las Vegas oder Los Angeles… in Sachen Hardbop konnte ihnen eigentlich keiner was vormachen, aber Italoamerikaner mit reichlich Showbizerfahrung waren tendentiell nicht im Beuteschema von Labels wie Blue Note… Tom Azarello aus dem Mike Wofford Track kommt aus der Ecke, Frank Strazzeri und Sal Nistico auf #11 auch… hier hoeren wir Sam Noto (tp) und Joe Romano (ts), beide im Prinzip seit den 50ern aktiv, bloss selten im Rampenlicht, mit einer ganz klassischen Hard Bop Rhythmusgruppe (Barry Harris, Sam Jones, Billy Higgins) – in diesem Sinne eine typische Xanadu Produktion… und klar machen die hier nichts anderes als Hard Bop, und klar brauchen die sich vor gar keinem verstecken.
Next Steps: Joe Romano und Sam Noto nehm ich eigentlich immer mit, ist auch nie teuer… generell kann man mit diesen silbrigen Xanadu Alben wenig falschmachen… das Konzept ist fast immer das gleiche – ein Solist, der die Chance verdient hat (Ted Dunbar, Billy Mitchell, Sam Noto, Sam Most, Bob Mover, Jimmy Heath), kriegt eine ganz klassische Hard Bop Rhythmusgruppe gestellt und darf zeigen was er kann, Duke Jordan oder Barry Harris am Klavier, am Bass gerne Larry Ridley oder Sam Jones, Schlagzeug vielleicht von Frank Butler oder Billy Higgins… ist fast nie „innovativ“ aber klappt eigentlich immer.
#8 Janot Morales – Trixie
Album: Quartet Janot Morales – Miles Inspirations (Selection Records)
rec. 1977 (?)
Janot Morales (tp), Gus Decock (p), Paul Dubois (b), Garcia Morales (dr)
so richtig fassen kann ich das Album irgendwie noch immer nicht… ich stelle mir die Geschichte etwa so vor: Der Library-Music Produzent Pierre Pletinckx kam zu Janot Morales und sagte etwas wie „wir haben demnaechst diese Dokumentation ueber… Leoparden… koennt ihr dafuer etwas im Stil der Miles Davis Alben aus den 50ern machen?“ und Morales (1919-1981), Spross einer Dynastie von Zirkusartisten (link) sagte „jo, klar, natuerlich“, schnappte sich seinen Sohn Garcia (Studiodrummer und Schlagersaenger, „Ich kauf der ganzen Welt heut eine Cola“), den Bassisten Paul Dubois (der ziemlich nennenswerte Jazzcredentials in Belgien hat) und den Pianisten Gus Decock (der sowas sonst scheinbar zumindest nicht auf Platte machte, wohl quasi im Vorruhestand war, und hier ziemlich glaenzt)… und irgendwie scheint man dann erkannt zu haben, dass das Album eigentlich sehr sehr stark ist – sonst haette man es nicht auf dem normalen Markt herausgebracht…
Next Steps: schwierig… Janot Morales hat davor das Album „Trompetenparty“ eingespielt, und ich weiss nicht, ob man das hoeren will… er hat viel aufgenommen, auf den Django Reinhardt Sessions aus den 40ern gibt es schoene Trompetenmomente, auf den Francy Boland Alben aus den 70ern auch – vielleicht war er das ja – aber es sind immer nur Momente… Garcia Morales hatte seine kreativsten Momente wohl als Leadsaenger und Schlagzeuger der JJ Band (zB, das ist so Prog-Fusion mit Soul-Funk-Einschlag, aber echt nicht schlecht)… und dann gibt es zwei weitere Spuren… die Library Music Szene um Rene Costy, der hier die meisten Stuecke mitkomponiert hat und kuerzlich auf einer huebschen DoppelCD gewuerdigt wurde (link) und das Werk des Produzenten Pierre Pletinckx, der neben seiner Hauptarbeit in der Library Music einige schoene belgische Jazzplatten mitproduziert hat, etwa Phil Raphaels Stop Look Listen, das stilistisch durchaus passt – in den 70ern aus dem Bebop Erbe nochmal was richtig tolles entwickeln, was es damals so nicht gab…
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