Antwort auf: Jazz & Brasil

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vorgarten

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aufgenommen am 13. februar, veröffentlicht am 20. april 1962.

ziemlich schlauer marketing move, sich das cover von der puertoricanischen abstrakten expressionistin olga albizu malen zu lassen und auf einer vollen umschlagseite die musik als „zwei jazz-solisten spielen frische zeitgenössische sounds aus der modernen brasilianischen folk-musik“ zu charakterisieren. so hält man orpheus und oscar niemeyer gleichzeitig im spiel.

das material ist tatsächlich – mit 3 ausnahmen – von joão gilbertos ersten beiden alben übernommen: „desafinado“ (jobim) und „é luxo só“ (barroso) von CHEGA DE SAUDADE, „samba de uma nota só“ (jobim) und „o pato“ (silva) von O AMOR, O SORRISO E A FLOR. die ausnahmen sind interessant: das in den us-amerikanischen zirkeln schon bestens etablierte BAHIA (von barroso) passt natürlich gut, baden powells „samba triste“ ist ein tolles stück, wenn auch nicht klar ist, woher sie das hatten (von powells debüt APRESENTANDO, 1959, es kursierte bis dato nur in brasilien, vielleicht haben deppenbach und betts ja noch mehr schallplatten auf ihrer südamerika-tour gekauft). byrds eigenkomposition SAMBA DEES DAYS, ist dagegen recht unbeholfen und ganz süß, country&western im samba-groove und auch genauso in seinem solo vorgestellt, das ist dann schon der us-kannibalismus, an den dann gary mcfarland anschließen wird.

was im vergleich zu gilberto auffällt: wie gut deppenbach und betts hingehört haben (castro dagegen sagt: „rhythmischer hexenschuss“…). die doppelpercussion kommt direkt von CHEGA DE SAUDADE (drums: milton banana, rassel: juquinha rubens bassini), mit gleicher arbeitsaufteilung: reichenbach spielt die gleichmäßigen achtel (natürlich nicht mit einer rassel, sondern mit besen auf der snare), deppenschmidt die tamburin-akzente auf dem rahmen oder einem holzblock (nach wie vor ungeklärt). die freiheit, die sich letzterer dabei nimmt, ist genauso von banana abgelauscht. spannend ist, was keter betts da macht – er scheint die rolle des basses selbst herausgefunden zu haben, und das ist nicht nur deshalb innovativ, weil es im original gar keinen bass gibt. gilberto hat sich diesen sonischen raum freiräumen lassen, um völlig frei zwischen akkorden und bass-akzenten auf der gitarre wechseln zu können. byrd dagegen hat ein völlig anderes verständnis von gitarren-virtuosität, er fällt keinen augenblick auf gilbertos technik zurück: einerseits segovia (flamenco, klassik, almeida und bonfá), andererseits country&blues, notenbendings, verschmierungen, elektrifizierung (in 3 stücken). ganz klares signal: wenn ich hier auf folk machen soll, dann spiele ich auch meinen eigenen.

die magie von getz ist wohl ziemlich ausdiskutiert: in den ziemlich komplexen skalenwechseln sich so zu bewegen, als würde man einen völlig freien gesang dazu anstimmen. die struktur wie begleitung aussehen lassen, niemals abarbeiten.

der zweite bass/ die zweite gitarre: charlies bruder gene im genuss einer arbeitsbeschaffungsmaßnahme, im mix schön vergraben: die akkorde hat er nicht drauf, gilbertos technik auch nicht. als zweiter bass gibt es ein paar gewagte verdopplungen, vor allem auf „bahia“ – aber auch der gestrichene bass auf dem „one note samba“ ist toll, ein echo der streicherarrangements von jobim, die gilberto ja nicht wollte.

die arrangements: sind frisch, man hat den einen oder anderen gedanken daran verschwenden müssen, bevor man loslegte. dann aber alles ganz schnell und spontan erledigt. so können klassiker entstehen.

der sound: die unitarian church in washington d.c., getz haucht von der seite rein, das geklapper und das geschrummel wie ein schwankendes wasserbad, der etwas diffuse bass sehr warm verschmelzend. ganz klar, kristallin: die gitarre (ich bin ein solo-instrument).

was fehlt: der wechsel von akkorden und rhythmus, was die eigentliche magie von gilberto ist – manchmal sekundenlang nur leere saiten, im synkopierten schunkeln, dann plötzlich akkorde und gesang und eine strophe. dann wieder im rhythmus hängenbleiben. das hat byrd nicht verstanden und wollte es wohl auch nicht verstehen.

zum vergleich –


(das hängenbleiben ab 1:23…)

(byrds „solo“ ab 1: 12 klingt eigentlich, als würde er „brazil“ spielen – nicht ganz so die moderne, frische und zeitgenössische referenz…)

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