Antwort auf: blindfoldtest #31 – vorgarten

#11106693  | PERMALINK

vorgarten

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die auflösung, teil 2 – die aufnahmen:
leader-gitarren – filigrantechniker und sanfte rebellen

nach der ersten, eher soundorientierten bewegung geht es in die historie, in der sich gitarren zwar als melodieinstrumente und zentralorgane ihrer bands präsentieren, dabei aber relativ wenig testosteron im spiel ist.

7 |

„chung king“ (byrd, betts, ellis)
herb ellis & charlie byrd: GUITAR/GUITAR
columbia 1965
herb ellis (e-g), charlie byrd (ac-g), keter betts (b), buddy deppenschmidt (dm).
rec.?

riff-musik, akkordisch richtung vorgestellten fernen osten, mit lässigem geklapper, das man von charlie byrds bossa-nova-arrangements kennt. wieder spielt er hier akustisch, wie er es von den lateinamerikanern gelernt hat, deren einfluss auf die us-jazz-szene nicht zu unterschätzen ist – zum ersten mal gibt es veritable alternativen zum klavier, und diverse saxofonisten springen darauf an. hier allerdings bleibt alles eine rein gitarristische affäre – byrd holt sich den oscar-peterson-gitarristen herb ellis dazu, der ein bisschen aus seiner formelgeprägten comfort zone geholt wird. das konzept war erfolgreich, als „great guitars“ waren sie mit anderen gitarristen zusammen noch lange unterwegs.

8 |

„brazil“ (ary barroso, 1939, eigentlich „aquarela do brasil“)
django reinhardt: THE GREAT ARTISTRY OF DJANGO REINHARDT
clef 10‘, 1953
django reinhardt (g), maurice vander (p), pierre michelot (b), jean-louis viale (dm).
rec. 10.3.1953, paris

reinhardts vorletzte session, 2 monate vor seinem tod, und er geht neue wege. kein weiteres melodieinstrument hier, sein spiel weniger akkordisch, eine minimalistische band im hintergrund. wenn überhaupt jemand die gitarre als zentralorgan einer jazzband erfunden hat, war es reinhardt. und sein spiel ist so charakteristisch, dass es auch keine geringe aufgabe war, etwas zu finden, das hier sinn macht. seine völlig originelle technik, z.t. auch aus der not einer verbrennungsgeschädigten linken hand geboren, ist bekannt. mich hatte interessiert, wie so ein stück zwischen den ganzen jazzstücken der christian-ecke wirkt, ob es herausfällt oder vielleicht doch bezüge aufbaut. die frage ist ein bisschen offen geblieben.

 

9 |

„these foolish things“
mary osborne: A GIRL AND HER GUITAR
warwick, 1960
mary osborne (g), tommy flanagan (p), danny barker (g), tommy potter (b), jo jones (dm).
rec. 1959, nyc

bei mary osborne ging die christian-schule soweit, dass sie von ihm persönlich beim gitarrenkauf beraten wurde. eigentlich kam sie natürlich von der country-musik her und fing als banjospielerin an, aber die begegnung mit christian persönlich brachte sie zum jazz. in den 40ern machte sie sich in new york einen namen auf diversen jam sessions, spielte mit monk, coleman hawkins, stuff smith, mary lou williams, das führte aber natürlich nur bedingt weit. in den 50ern schien sie verschwunden, tauchte aber in radio- und tv-shows auf, wie wir gesehen haben u.a. mit billie holiday. 1959 dann konnte sie ein album mit hochkarätiger band aufnehmen.

später gab es dann noch aufnahmen mit einer reinen frauen-band (u.a. marian mcpartland und vi redd) auf halcyon, davon hatte ich auch mal was auf einem bft präsentiert:

 

10 |

„angel eyes“
the montgomery brothers: THE MONTGOMERY BROTHERS IN CANADA
fantasy, 1961 (reissue, overdubbed publikumsgeräusche fehlen)
wes montgomery (g), monk montgomery (b), [buddy montgomery (vib),] paul humphries (dm).
rec. 16.9.1961, the cellar, vancouver.

der nach charlie christian vielleicht einflussreichste jazzgitarrist war ein ziemlicher spätzünder. eigentlich stellte sich der große erfolg erst mit creed-taylor-produktionen ein und wurde von einem frühen tod unzeitig beendet. vorher gab es unzählige aufnahmen, in denen sich motgomery das spotlight mit pianisten teilte – und es gibt aufnahmen mit den groove brothers, auf denen buddy montgomery vibrafon spielt, was den raum für die gitarre sonisch etwas offener lässt. hier, auf der version von „angel eyes“, ist tatsächlich nur ein trio am werk und man kann sehr gut nachvollziehen, warum wes montgomery vor allem unter gitarristen so verehrt wird. er beherrscht sowohl das akkordische, wie das einzeltonspiel, er vermag komplex zu erzählen und eine sehr intime stimmung zu erzeugen (das rauschen, das durch die aufnahme geht, ist wohl durch das herausfiltern des fake-applauses entstanden, das im original draufgekleistert wurde – irgendjemand war das wohl zu wenig, was hier gespielt wird). montgomery ist einer der daumenspieler hier (neben ulmer und eubanks), er streicht akkorde durch, bei denen einzelne seiten durch berühren stumm gehalten werden. mir scheint das ein grundsätzlich anderer ansatz zu sein als das einzeltonpicken der christianer – jeder ton löst sich aus seinem logischen umfeld und grundsätzlich behält die gitarre ihre ambivalenz zwischen begleit- und soloinstrument bei.

11 |

„on my way to paradise“
kevin eubanks: TURNING POINT
blue note, 1992
kevin eubanks (g), kent jordan (fl), charnett moffet (b), mark mondesir (dm).
rec. 16.-20.12.1991, 7./9. januar 1992, nyc

neben den montgomerys aus indianapolis und den freemans aus chicago hat auch musikerfamilie eubanks aus philadelphia einen gitarristen hervorgebracht (die marsalis‘ und jordans, deren vertreter man auch hier hören kann, leider nicht). der berklee-absolvent fand in new york schnell anschluss an art blakey und dave holland, nahm zunächt einige fusion-alben für elektra und grp auf, bevor er in dave hollands quartett auf viele großen eindruck machte, u.a. auf mich – tatsächlich hatte mein teenie-ich noch wenig ahnung von jazz, als es einen moers-mitschnitt im radio verfolgte und exakt dieses solo schnell auf tape bannen konnte (der link geht direkt dorthin, der sound ist leider übel):

ich konnte es damals nicht fassen und kann es eigentlich noch immer nicht. eubanks spielt rasend schnelle, dabei aber aus der stille kommende läufe, hat andere sounds vollständig körperlich integriert und spielt akkorde, die ich noch nie gehört habe. flageolets und pizzicato-töne werden irgendwo versteckt, aber auch in der begleitung bleibt das spannend, öffnet den raum, macht angebote.

man muss aber sagen: so gut war eubanks nie wieder. technisch schon, klar, aber der biss ging dann doch nach jahren in der jay-leno-show vorbei. ziemlich schnell nanch der holland-quartet-zeit kamen aber drei blue-note-alben heraus, die einen wärmeren, akustischeren zugang zur mathematischen m-base-welt vorschlugen, alle mit dem flötisten kent jordan und z.t. mit dem posaunistenbruder robin. und davon ist TURNING POINT, das erste album, wirklich geschlossen und überzeugend.

aktuell gibt es mit dem genderfluiden, sehr interessanten, aber noch weniger geschmackssicheren gitarrist*en stanley jordan (auch ein anwärter hier mit seiner sehr eigenen technik) ein duo-projekt:

 

 

12 |

„sing and swim“
bill connors: SWIMMING WITH A HOLE IN MY BODY
ecm, 1980
bill connors (g).
rec. august 1979, oslo.

ein gitarrist mit schlechtem timing. in chick coreas return-to-forever hatte connors fusion-jazz-fans reihenweise in schockstarre versetzt, als er dachte, dass mit dem jazzrock würde sich bald erübrigen, und auf akustische gitarre umsattelte. als er wieder auf die großen bühnen zurückkam, fand er lauter erfolgreichere nachahmer vor. dokumentiert wurde sein akustischer output von ecm, eicher hat sich sehr spezifisch bewundernd über connors geäußert. die komplizierten voicings und die vielen akkordwechsel auf eher folkloristischer grundlage fallen hier etwas raus, aber ich finde das schon eine hohe kunst, wie connors hier zwischen melodieführung, fast dronigen arpeggien-sounds und akkordbegleitung wechselt. auch wie der kitsch immer wieder aufgefangen wird und alles sehr beweglich bleibt. ralph towner war natürlich die erste idee für diese gitarristentradition, aber tatsächlich höre ich dieses und das vorgängeralbum (THEME TO THE GAURDIAN, sic!) immer wieder sehr gerne, wogegen ich towner nur in selten momenten ertrage.

13 |

„the peacocks“ (jimmy rowles)
thumbscrew: THEIRS
cuneiform, 2018
mary halvorson (g), michael formanek (b), tomas fujiwara (dm).
rec. june 2017, pittsburgh

mary halvorson durfte natürlich nicht fehlen. hier mit ihrer sehr fokussierten band thumbscrew, die 2018 ein doppelpack veröffentlicht hat: OURS mit eigen, THEIRS mit fremdkompositionen. vollresonanzgitarre mit aleatorischen, zuschaltbaren tonausbrüchen, die schwerelose jimmy-rowles-ballade „the peacocks“, die bis dahin ein pianisten-flirt war (bill evans!), aber eigentlich pygmäengesang zum vorbild hat und versucht, eine spezifische form des vokalisierens in westliche tonsprache zu transformieren. norma winstone hat daraus wiederum eine vokalversion gemacht, die auch sehr schön ist:

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