Antwort auf: blindfoldtest #31 – vorgarten

#11096283  | PERMALINK

friedrich

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@vorgartenvielleicht noch eine kleine hilfe, falls einem der gesamte bft zu lang ist:
man kann ihn ganz gut in drei teile bzw. bewegungen splitten und sich mit denen erstmal einzeln beschäftigen: 1-6 / 7-13 / 14-19.

Mit dem thematischen BFT (Gitarre) machst Du mich schon fast glücklich :-) und die Aufteilung in drei überschaubare Teile kommt mir auch sehr entgegen. Du hattest mir unter der Hand zugesteckt, dass ich 2 Aufnahmen / Interpreten kennen würde. Beim ersten Querhören habe ich kein einziges Stück erkannt und über Interpreten kann ich nur spekulieren.

Ich werde hier nach und nach was posten und – Vorschlag – es so handhaben, dass ich das hier in diesem einen Post schrittweise ergänze. So bleibt das alles schön beieinander. Kriegen wir schon irgendwie hin, dass Du davon informiert wirst und darauf reagieren kannst.

Los geht’s. Teil 1:

Track #01

Besinnlich zaghafter Einstieg, sich schön aneinander reibende Bläser. Mehrere Saxofone, bis ins tiefere Register. Es wogt langsam auf und ab, hin und her und verschiebt sich gegeneinander. Die Gitarre scheint die Grundstruktur vorzugeben, an der sich die Saxe entlang hangeln und tritt nur mal ein paar Takte in den Vordergrund. Bildet einen schönen feingliedrigen Kontrast zu den flächigen Bläsern. Sehr schönes Ensemblespiel.

Track #02

Ups, ein funky drummer und der Gitarrist zieht mit. Dann ein break und es swingt. Und wieder zurück. Hier wechseln sich zwei sehr unterschiedliche Themen gegenseitig ab. Der knackig strukturierte funky Teil und der deutlich freiere swingende Teil. Entsprechend längeres Gitarrensolo. Ganz klarer Gitarrensound. Wirklich flott, während ich doch die ganze Zeit darauf warte, dass es wieder funky wird. Und – Ups! – die Band stolpert scheinbar holterdipolter tatsächlich wieder in den Funk zurück. Lebt viel von den inneren Gegensätzen und Spannungen. Ein aufregender kleiner Trip.

Track #03

Das klingt in meinen Ohren etwas so, als versuche die Band funky zu sein, verliert aber immer wieder den Faden, verdaddelt sich total und stolpert ziel und strukturlos umher. Irgendwo und irgendwie scheint sie sich wieder zu fangen um dann wieder aus der Spur zu geraten. Hmmm? Das dürfte volle Absicht sein und soll ggf. Spannung erzeugen. Funktioniert aber in meinen Ohren leider nicht.

Track #04

Das Bassthema ist schon mal packend. Und dann ein eigenartiger etwas rauher, gleichzeitig voller und gedämpfter Gitarrensound, der mich zunächst packt. Wird alles im Verlauf viel freier, als es mir das Bassthema zu versprechen schien. Das enttäuscht mich ein bisschen, da es mir schwer fällt, hier einer durchgehenden Struktur oder einem Thema zu folgen.

Track #05

Hier hast Du in den Komemntar-Kommentaren einen kleinen Wink gegeben. Ich kenne das Stück nicht und weiß nicht wer die sidemen des Gitarristen sind, der mit seinen athmosphärisch schwebenden Klängen hier eher im Hintergrund bleibt und eigentlich kaum als Gitarrist zu erkennen ist. Ist es dieser persönlich immer etwas schüchtern wirkende Brillenträger, der aber musikalisch wild zwischen Krach und Schönklang, Avantgarde und Folklore, Jazz und Country hin und her springt, aber dennoch immer unverkennbar er selbst bleibt? Hier ist er sicher nicht der leader, vermutlich ist das der Saxofonist. Habe aber keine Ahnung, wer das wiederum sein könnte. Dieser Brillenträger hat auch mal im Trio mit einem drummer und einem Tenorsax gespielt, nicht wahr? Das könnte ggf. in Richtung der Lösung weisen.

Insgesamt sehr atmosphärisch und verträumt das Stück, an der Grenze zur sentimentalen Träumerei. Aber kann einen schon mal ganz schön einlullen

Track #06

Synthesizergeblubber, harte Rockdrums, wummernde Bässe, verzerrte E-Gitarre mit nur ein paar Akzenten, darüber eine Trompete. Post-Bitches Brew oder so. Wird dichter, jetzt scheint es gleich richtig zu krachen – aber dann fade out. :-( Versprach viel, kam aber in meinen Ohren nicht auf den Punkt und bricht in dem Moment, wo die Erwartungshaltung noch mal gesteigert wird, einfach ab. Irgendwie sowohl was den inneren Aufbau als auch den Ablauf betrifft unvollendet. Schade eigentlich.

In jedem Fall schon mal sehr unterschiedliche gitarristische Ansätze, was die Rolle des Instruments in der Band und ihren Klang betrifft. Und ab Track #07 geht es noch mal ganz anders weiter.

Teil 2:

Track #07

Vom heavy electric stuff von Track #06 zum leichtfingrigen akustischen perkussiven Klang dieser Aufnahme. Okay, eine der Gitarren ist elektrisch. ;-) Wunderbar, wie Gitarren und Perkussion ineinandergreifen, da kann man Vorder- und Hintergrund kaum noch voneinander unterscheiden. Tolles Trio. Frage mich, ob einer der Gitarristen der Komponist des karnevalistischen Morgens ist. Dagegen würde aber sprechen, dass Gitarre Nummer 1 elektrisch, Gitarre Nummer 2 für seine Verhältnisse eigentlich zu dicht gespielt ist.

Track #08

Die Komposition ist die inoffizielle Nationalhymne Brasiliens. Ganz schön zupackend mit hartem Anschlag auf der Elektrischen gespielt. Geht daher gut nach vorne los und swingt sehr frisch und gut gelaunt. Im Solo lässt der Gitarrist mal etwas sein Virtuosität aufblitzen. Die Gitarre als lead instrument hier klar im Vordergrund. Ist hier auch gut so.

Track #09

Abrupt geht es jetzt von heiter zu melancholisch. Nach ein paar Takten wird mir warm ums Herz und ich muss seufzen. Ganz die alte Schule, mit aller Zeit der Welt, voller Gefühl, melodisch und mit wunderbar warmen Klang. Und das alles ohne große Show. Im Hintergrund hört man eine Celesta, oder? Weiß nicht, wer das ist. Einer der alten Meister, dessen Name ich aber sicher kenne. 50er Jahre oder sogar noch älter. Kommt ja aus dem Swing. Ein Standard, oder? auf den ich aber nicht komme.

Track #10

Melancholisch geht es weiter. Solo und gleichzeitig sehr zurückgenommen, als spiele der Gitarrist ganz in sich versunken und nur für sich selbst und sinnt über eine verlorene Liebe nach. Das bleibt viel Raum für Luft und Gedanken. Angel Eyes, oder?

Für mich überraschend kommen da bass und drums mit ins Spiel, wenn auch sehr zurückhaltend. Hört sich so an, als würde der Gitarrist aus seinem melancholischen Tagtraum aufwachen. Anfangs dachte ich sogar, das ist ein zweiter Gitarrist. Aber dann versinkt er wieder in Melancholie. Schöner Spannungsbogen. Auch ganz entzückend!

Track #11

Funky groovy, aber relaxed. Die Flöte bringt einen schönen frischen Luftzug hinein. Insgesamt eher zurückhaltend, so dass mir das Gitarrensolo fast schon etwas hektisch und aufdringlich vorkommt. Fügt sich, wie auch die vorherigen Aufnahmen schön zu einem gemeinsamen Stimmungsbild.

Track #12

Solo und akustisch. Auch das hat so eine romantisch verträumt introvertierte Stimmung, wenn auch weniger melancholisch als beim Anfang von #10. Ach, dieser Gitarrist hat Zeit, schlägt auch mal Umwege ein oder bleibt stehen, dreht sich um die eigene Achse und guckt Löcher in die Luft, geht wieder ein paar Schritte … Da mag man ihn gar nicht stören, wahrscheinlich bemerkt er auch gar nicht, dass ihm einer zuhört. Pssst!

Track #13

Reiht sich ebenfalls schön an die vorherigen Aufnahmen. Ein wenig herber, die Triller auf der Gitarre sind fast schon ein kleines Drama! Und es kommt noch viel dicker! Vor meinem geistigen Ohr glaube ich fast, den Gitarristen mit gefühls-verzerrtem Gesicht mitsingen zu hören, so Keith Jarrett-mäßig. Das triefend dick aufgetragene Gefühl kontrastiert aber auch sehr schön mit der sparsamen schlanken Besetzung. Und der dramatische Spannungsbogen ist natürlich überwältigend.

Track #07 – 13 sind in diesem BFT schon ein Kapitel für sich. Sehr schöne Zusammenstellung, die in meinen Ohren auch gut für sich allein stehen könnte.

Teil 3:

Track#14

Nach dem Schönklang die kalte Dusche – oder besser: der Stromschlag. E-Gitarre entgegen der Gebrauchsanweisung benutzt. Krach und Stille, irgendwie interessant und spannend, denn ich warte bei den stillen Passagen darauf, was als nächstes für eine Krach passiert und umgekehrt. Eigenartige Assoziation: Könnte ich mir fast als Soundtrack für einen durchgeknallten Trickfilm vorstellen. John Zorn / Naked City hat mal sowas gemacht (Krazy Kat, mit schönem Krach von Bill Frisell), da gibt es mitten drin bei 1:35 auch so eine Stelle, die sich wie ein Wackelkontakt oder ein brutzelnder Kabelbrand anhört. Ist aber eigentlich nicht zu vergleichen, ganz andere Dramaturgie, nur der Krach ist ähnlich. Hätte hier einen Briten oder einen wurzellosen Kosmopoliten in Verdacht gehabt. Aber ist ja schon erkannt worden. Interessant, aber für mich eigentlich unanhörbar, wenn ich ehrlich bin. Will mir mit der Einschätzung dieses einen Stücks aber kein Urteil über den Musiker erlauben. Macht mich sogar neugierig.

Track#15

Orgel-Trio, jedoch mit badder klingender Gitarre als man das aus der klassischen Periode des Orgel-Trios in den 50ern/60ern gewohnt ist. Also späterer Herkunft. Total minimalistisch und monoton aber sehr funky. Müsste eigentlich noch länger laufen, damit das richtig Wirkung entfaltet. Musste an On The Corner denken, oder James Brown Ende 60er – Anfang 70er, mit diesen gnadenlos monotonen grooves, die man sich erst mal trauen muss. Im Vergleich zu #14 ist das aber Balsam für die Ohren.

Mit dem Sax ist das natürlich ein Quartett, und ich finde als melodischer Kontrast zum monotonen groove ist das gut.

Track#16

Es bleibt bluesig-funky, aber schon variantenreicher, auch wenn der Bassist sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Der Bass hat mich hier auch sicher am Haken, während die Gitarre diesen und jenen, für mich manchmal zu großen Umweg macht um dann wieder zum ursprünglichen Riff zurückzukehren. Auch hier ein Gitarrensound, der ziemlich bad ist.

Track#17

Wäre ich 30 Jahre jünger würde ich hier ausrufen „Wie krass geil ist das denn!“ Kraftvoll, warm, sexy. Und was hier in eineinhalb Minuten alles passiert: Ein Riff, Variationen, Verzögerungen, Verdichtungen, Öffnungen, kleine Schlenker und Akzente. Saftiger Klang und ein groove, der eigentlich nur angedeutet wird, aber in die Hüfte geht. Wirkt dabei völlig selbstverständlich und lässig, ohne Showeffekte. Irgendwo las ich mal, dieser Gitarrist kann gleichzeitig ein Solo und die Begleitung spielen.

Track#18

Hier sind wir wieder bei der ungezwungen Lässigkeit. Es plätschert, die Blätter rascheln im Frühlingshauch, ein Summen im Hintergrund. Ab 2:10 wird es mal kurzzeitig etwas verbindlicher, um von da an langsam wieder auszuschwingen. Sehr lieblich.

Track#19

Schließt sehr schön an den vorherigen Track an, mäandriert erst etwas umher, schwillt mal etwas an und ab, Gitarre und fast nur gehauchte Kornett treffen sich hier und da für ein paar gemeinsame Schritte, bis die Gitarre ein einfaches durchgehendes und repetetives Muster anstimmt, darüber schwebt das Kornett. Ab da wird es fast meditativ und dann pendelt das Stück ganz langsam aus … Entspannt, versöhnlich. Ein schöner Abschluss dieses BFTs.

Du hattest gemutmaßt, dass ich zwei Tracks aufdecken könnte. Bei einem hattest Du noch mal mit dem Zaunpfahl gewunken. Welcher andere Track das sein könnte, weiß ich aber nicht. Ich habe den sehr vagen Verdacht, dass sich hier tatsächlich noch irgendwo der wurzellose Kosmopolit verbirgt. Der hat aber auch völlig unterschiedliche Sachen gemacht, so dass er schwer zu erkennen ist. Aber das ist völlig ins Blaue spekuliert. Oder welcher andere Gitarrist könnte gemeint sein? Und wo?

Schön breites Spektrum an Gitarren. Verschiedene Klänge, verschiedene Rollen, die hier schön auf engem Raum versammelt sind. Amüsant und irgendwie lehrreich. Bekomme Lust, im eigenen Plattenregal nach Gitarristen zu stöbern.

Vielen Dank!

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)