Antwort auf: West Coast Jazz: Black California – Hard Bop in den 50s / Avantgarde in den 60s

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Teil 2: Hard Bop & Beyond – die frühen Sechzigerjahre

Einige der Namen sind längst vertraut: Teddy Edwards, Harold Land, Art Pepper (er ist natürlich weiterhin weiss, aber er spielte regelmässig mit Afro-Amerikanern und seine Musik wandelte sich, wie wir bereits gehört haben, erheblich), aber es gibt auch neue Namen, weniger bekannte Musiker wie der Trompeter Carmell Jones, die Saxophonisten Curtis Amy (an dessen Seite erneut Dupree Bolton auftaucht, den wir schon an der Seite von Harold Land angetroffen hatten) und Earl Anderza (der gerade mal ein Album hinterliess) oder der Arrangeur, Pianist und Bandleader Onzy Matthews … zudem auch Clare Fischer (noch ein Weisser, der stilistisch zudem nicht einmal richtig dazu passt, aber unter den weissen kalifornischen Jazzern zu den neuen Stimmen zu zählen ist, die um 1960 mit neuen Ideen auftauchten, die nicht mehr viel mit dem klassischen West Coast Jazz zu tun hatten) und der Drummer Lenny McBrowne aus Brooklyn, der mit vier jungen kalifornischen Sidemen eine eigene Combo gründete. Und schliesslich hören wir auch den Pianisten Jack Wilson sowie Chico Hamilton, der als einer der wenigen Afro-Amerikaner am klassischen Westküsten-Jazz beteiligt gewesen war, aber in den Sechzigern ebenfalls andere musikalische Wege beschritt.

gypsy goes jazz 23 – Black California (2/2) – Hard Bop & Beyond

1. Teddy Edwards – Blues in G (1960)
2. Art Pepper – I Wished on the Moon (1960)
3. Carmell Jones – Night Tide (1961)
4. Curtis Amy & Dupree Bolton – Lonely Woman (1963)
5. Clare Fischer – Lennie’s Pennies (1963)
6. Lenny McBrowne – Invitation (1960)
7. Earl Anderza – Outa Sight (1962)
8. Onzy Matthews – Blues with a Touch of Elegance (1964)
9. Lenny McBrowne – Even Dozen (1960)
10. Curtis Amy & Dupree Bolton – Katanga (1963)
11. Chico Hamilton – The Dealer (1966)
12. Jack Wilson – Most Unsoulful Woman (1966)

TEDDY EDWARDS
1. Blues in G (Teddy Edwards)

Teddy Edwards (ts), Joe Castro (p), Leroy Vinnegar (b), Billy Higgins (d)
Contemporary Studio, Los Angeles, California, 17. August 1960
von: Teddy’s Ready (Contemporary; CD: Fantasy OJCCD)

Teddy Edwards (1924–2003) war zwar der erste Tenorsaxophonist, der auf Platte mit Bebop-Soli zu hören war, aber seine Karriere bestand aus vielen, teils sehr langen Unterbrüchen. Er kam aus Jackson, Mississippi und landete 1944 nach Stationen in Detroit, Louisiana, Florida und Washington D. C. in Kalifornien, wo er zu einer zentralen Figur der Central Avenue-Szene wurde. Im nächsten Jahr arbeitete er mit Howard McGhee (mit dem auch die erwähnten Aufnahmen entstanden, die in einer früheren Sendung zu hören waren). McGhee war es auch, der ihn zum Wechsel vom Alt- aufs Tenorsaxophon überredete. In Los Angeles spielte er mit den Bands von Benny Carter, Max Roach (davon hörten wir in der letzten Sendung eine Kostprobe), Gerald Wilson und auch in der ersten Ausgabe von Howard Rumseys Lighthouse All Stars, die später zu einer zentralen Gruppe des weissen Westküstenjazz wurde.

Als der schwarze Jazz sich Ende der Fünfzigerjahre in Kalifornien zurückmeldete, schien Edwards’ Stunde zu schlagen, für Contemporary und Pacific Jazz – die beide in den Jahren davor nur wenigen afro-amerikanischen Musikern Aufnahmegelegenheiten anboten – nahm er ein paar tolle Alben, auf, danach ging es bei Prestige weiter, doch so etwas wie einen Durchbruch sollte Edwards leider nie schaffen. Er tauchte auch später immer wieder für Jahre unter, ging dann aber schon mal mit Tom Waits auf Tournee (dieser ist auf Edwards’ schönem späten Album „Mississippi Lad“ als Gast zu hören, und auf seinem allerletzten Album „Smooth Sailing“ spielt Richard Wyands Piano, der tolle Musiker aus San Francisco, der zwar früh nach New York ging, aber den Durchbruch auch nie schaffte).

1959 entstand das Quartett, mit dem „Teddy’s Ready“, eins seiner schönsten Alben, aufgenommen wurde. Edwards litt in der Zeit dazwischen unter gesundheitlichen Problemen und musste mehrere Zahn-Operationen über sich ergehen lassen. Doch das tat seiner Überzeugung keinen Abbruch: „every time I pick up my instrument I pick it up and play it – regardless of whether it’s a burlesque gig, rock and roll gig, or whatever it is. When I pick it up, I’m for real every time“ (aus den Liner Notes von Lester Koenig, dem Boss von Contemporary). „Blues in G“ ist der Opener des Albums, mit dem Edwards und seine Begleiter umgehend den Tarif festsetzen: zupackend und direkt, schnörkellos zur Sache geht es. Nach dem Tenor des Leaders hören wir Castro am Piano, ein paar typische Takte Leroy Vinnegar (er trug den Übernamen „jazz’s great walker“ nicht zu unrecht, doch in diesem Solo macht er für einmal etwas mehr) und schliesslich im Wechsel je zwei Chorusse von Edwards und Higgins.

Pianist Joe Castro wird demnächst mit einer grösseren Box geehrt:
http://www.joecastrojazz.com/intro (2015 bei Sunnyside erschienen, Teil 2 ist schon seit längerem angekündigt)

ART PEPPER
2. I Wished on the Moon (Rainger–Parker)

Art Pepper (as), Dolo Coker (p), Jimmy Bond (b), Frank Butler (d)
Contemporary Studio, Los Angeles, California, 23. & 25. November 1960
von: Intensity (Contemporary; CD: Fantasy OJCCD)

Art Pepper ist ein regelmässiger Gast der West Coast-Sendungen. Er schlug einen Weg ein, wie ihn auch andere weisse Jazzer aus Kalifornien gingen: von der stark arrangierten, oft mit elaborierten Strukturen arbeitenden neuen Musik, wie der West Coast Jazz sie im Gefolge Stan Kentons in den frühen Fünfzigern entwickelte, fand er zu einer immer intensiveren, schwereren Spielweise. Dabei wurde er – erst recht in seiner letzten Karrierephase, nach Jahren im Gefängnis – zu einem der brennendsten, intensivsten Improvisatoren des Jazz überhaupt.

„Intensity“ ist das letzte Album seiner ersten Karrierehälfte. Unmittelbar danach verschwand er bis Mitte der Siebziger (mit kurzen Unterbrüchen Mitte und Ende der Sechziger) im Gefängnis. Der Titel des Albums ist Programm, Pepper hatte längst mit afro-amerikanischen Musikern zu arbeiten begonnen, u.a. Alben mit den Rhythmusgruppen von Miles Davis gemacht (1957 „Art Pepper Meets the Rhythm Section“ mit Red Garland, Paul Chambers und Philly Joe Jones sowie drei Jahre später „Getting Together“ mit Wynton Kelly, Chambers, Jimmy Cobb sowie dem Trompeter Conte Candoli):

Im Jahr 1960 liess Pepper ein paar weitere Hemmnisse hinter sich, auch unter dem Einfluss von John Coltrane und Ornette Coleman suchte er nach einem noch direkteren Ausdruck in seiner Musik. Pepper öffnet zunächst nur mit Schlagzeugbegleitung, Klavier und Schlagzeug steigen dann mit triolischen Figuren zwischendurch ein. Pepper öffnet dann den Solo-Reigen mit einem kurzen unbegleiteten Break und legt dann mit der ganzen Rhythmusgruppe hinter sich los, seine Linien verzahnen sich mit Frank Butlers Beats, er schiebt einfache Motive hin und her, kehrt und wendet sie, bricht dazwischen in rasante Linie aus und schaukelt auf dem Beat wie ein alter Blueser. Dolo Coker lässt viel Raum, wechselt zwischen Linien und akkordischen Phrasen und wird zwischendurch ganz schön funky. Dann spielen Pepper und Butler ein paar Runden Fours. Das ist alles sehr entspannt und brennt dennoch – für mich eins der faszinierendsten Stücke von Peppers bis dahin wohl dunkelstem Album – was übrigens auch vom Cover hübsch aufgegriffen wird.

CARMELL JONES
3. Night Tide (Jimmy Bond)

Carmell Jones (t), Harold Land (ts), Frank Strazzeri (p), Gary Peacock (b), Leon Pettis (d)
Pacific Jazz Studios, Los Angeles, California, Juni 1961
von: The Remarkable Carmell Jones (Pacific Jazz; CD: Carmell Jones – Mosaic Select, Mosaic 3 CD)

Carmell Jones (1936–1996) kam aus Kansas, der Ornithologe, Jazzfan, Liner-Notes-Autor und spätere Produzent John William Hardy hörte ihn dort und lockte ihn im Sommer 1960 nach Kalifornien. Auch Joachim Ernst Berendt – mit William Claxton unterwegs auf der Reise, die in „Jazz Life“ dokumentiert wurde – hörte Jones bereits in Kansas und schrieb im Juli 1960 in down beat einen Beciht, in dem er „a wonderful trumpet player named Carmell Jones“ erwähnt. Berendt gab zudem ein Interview, das in der New York Times erschien, und auch da wand er ein Kränzchen für Jones.

Heute kennt man Carmell Jones wohl am ehesten noch, weil er auf Horace Silvers „Song for My Father“ zu hören ist. Doch er machte in den frühen Sechzigern in Kalifornien ein paar eigene tolle Alben, wirkte als Sidemam bei Aufnahmen von Curtis Amy, Bud Shank, Gerald Wilson oder Harold Land mit, spielte auch mit Onzy Matthews, Dexter Gordon, Shelly Manne etc. Fresh Sound hat dieses Jahr eine private Session von 1960 mit dem Pianisten Forrest Westbrook veröffentlicht, die sich als wahre Preziose entpuppte.

„Night Tide“ ist der Closer von Jones Debut-Album und stammt aus der Feder des Bassisten Jimmy Bond, den wir gerade mit Art Pepper gehört haben. Das Stück kommt mit lediglich zwei Akkorden aus – es lehnt an Stücke an, wie Miles Davis sie für „Kind of Blue“ konzipiert hatte. Nach dem Intro mit prägnantem Bass legt Frank Strazzeri als erster los, gefolgt von Carmell Jones, der mit viel Wärme und Verve in das Thema eintaucht und auch die Suspension-Passage vor allem im ersten Durchgang effektvoll nutzt. Harold Land folgt, man hört hier allmählich einen gewissen Coltrane-Einfluss heraus, der Ton ist schlanker und weniger geworden (aber nicht weniger schön als früher!), er setzt in seinem Solo immer wieder neu an, lässt sich Zeit. Bond, der Komponist, spielt dann ein kurzes Solo, bevor die Gruppe das Thema wiederholt, das schliesslich ausgeblendet wird.


CURTIS AMY & DUPREE BOLTON
4. Lonely Woman (Curtis Amy)

Dupree Bolton (t), Curtis Amy (ss), Jack Wilson (p), Ray Crawford (g), Victor Gaskin (b), Doug Sides (d)
Pacific Jazz Studios, Los Angeles, California, 3. Februar 1963
von: Katanga! (Pacific Jazz; CD: Curtis Amy – Mosaic Select, Mosaic, 3 CD)

Dupree Bolton hörten wir schon letztes Mal an der Seite von Harold Land, heute erklingen zwei Kostproben aus seinem zweiten Album, diesmal als Co-Leader an der Seite des texanischen Saxophonisten Curtis Amy. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Album, das mich einst, als ich es endlich hörte, völlig sprachlos zurückliess. Die Mischung aus zupackendem, bluesgetränktem No-Bullshit-Spiel mit dem offenen Geist von Ornette Coleman (es ist natürlich nicht dessen „Lonely Woman“, das wir hören!) und den staubigen Weiten, die Amys „Texas Tenor“ evoziert, ist schlichtweg umwerfend. Einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg des Albums hat Gitarrist Ray Crawford, den man selten so befreit aufspielen hört, und auch die Rhythmusgruppe um Jack Wilson ist mehr als solide.

In „Lonely Woman“ ist es in erster Linie das Zusammenspiel von Amys Sopransax und Crawfords Gitarre, das dem Stück seinen besonderen Touch gibt. Crawford öffnet das Stück, Amy steigt ein, klagend und jubilierend zugleich. Dann stiegt der Rest der Band ein, mit einem kraftvollen Riff, das die Musik sogleich auf ein anderes Level hebt. Crawford spielt dann ein phantastisches Solo, während Amy sich hinter ihm zur riffenden Band gesellt, bevor er zum Ausklang das bezaubernde Thema wieder aufgreift.

CLARE FISCHER
5. Lennie’s Pennies (Lennie Tristano)

Clare Fischer (p), Albert Stinson (b), Colin Bailey (d)
Pacific Jazz Studios, Los Angeles, California, 13. März 1963
von: Surging Ahead (Pacific Jazz; CD: The Pacific Jazz Piano Trios – Mosaic Select, 3 CD)

Pianist Clare Fischer hatte 1962 für Pacific Jazz sein Debut-Album eingespielt, das Tristano-Cover, das ich auswählte, stammt von den Aufnahmen zum zweiten Trio-Album, dazwischen nahm er mit Bud Shank ein Latin-Album auf, „Brasamba!“. Hier hören wir Fischer mit dem britischen Drummer Colin Bailey, der sich in Kalifornien gekommen niedergelassen hatte, und mit dem Ausnahmebassisten Al Stinson (1944–1969), einer Entdeckung Charles Lloyds, der ihn ins neue Quintett von Chico Hamilton holte.

„Lennie’s Pennies“ erschien erst vor zehn Jahren, als Mosaic eine kleine Box mit Klaviertrio-Aufnahmen zusammenstellte, die einst für Pacific Jazz entstanden waren. Das Stück mag atpyisch sein, aber interessant ist es allein schon deswegen, weil es zeigt, dass Lennie Tristanos Musik bis nach Kalifornien wirkte. Und natürlich liefert Fischer eine tolle Performance, in der Bailey zwar leicht spielt, sich aber nicht in dem Mass zurückhält, wie es bei Tristano selbst wohl angesagt gewesen wäre. Stinson legt derweil einen soliden Boden und spielt dann auch ein überzeugendes Solo. Es folgt dann ein ausgiebiger Dialog zwischen Fischer und Bailey.



LENNY McBROWNE and the 4 SOULS
6. Invitation (Kaper–Washington)

Donald Sleet (t), Daniel Jackson (ts), Terry Trotter (p), Herbie Lewis (b), Lenny McBrowne (d)
Rex Productions Studio, Los Angeles, California, 2. Januar 1960
von: Lenny McBrowne and the 4 Souls (Pacific Jazz; CD: „Lenny McBrowne and the 4 Souls“, 2 CD, Fresh Sound)

Lenny McBrowne und seine 4 Souls traten zuerst in San Francisco und Sacramento auf. Der Leader (geboren in Brooklyn) hatte einige Erfahrung mit Harold Land, Sonny Rollins oder Benny Golson gesammelt, Max Roach war sein Mentor. Seine junge Band swingt hart und wird den hohen Ansprüchen des Leaders gerecht, auch wenn man die Musiker, von Herbie Lewis vielleicht abgesehen, überhaupt nicht kennt. Donald Sleet nahm ein Album als Leader für Riverside auf, Daniel Jackson aus San Diego war ein klassischer „musician’s musician“, er starb vor etwas über einem Jahr.

McBrowne kam 1956 nach Kalifornien, Teddy Edwards hatte ihm Daniel Jackson empfohlen (der wiederum in den Fussstapfen Harold Lands unterwegs war, seines Vorbildes aus San Diego), dieser riet zu Don Sleet (auch er aus San Diego), und so entstand eine Combo, die sehr viel probte, einige Gigs spielte und schliesslich für Pacific Jazz ein erstes Album machen konnte. Pianist Trotter ist ein Angelno, Herbie Lewis stammte aus Pasadena.

„Invitation“ ist eins der Highlights vom ersten Album Das Arrangement stammt von Elmo Hope und wirft das beste Licht auf Lenny McBrowne, der den passenden Latin-Beat – vom Hi-Hat abgesehen fast nur auf Trommeln gespielt – zum bittersüssen Thema findet, das Sleet und Jackson unisono präsentieren. Jackson setzt dann zum Solo an, nachdenklich und mit einer tollen Ausstrahlung – über einen straighten 4/4-Swing übrigens, bei dem auch das Ride zum Einsatz kommt. Doch für den Höhepunkt sorgt dann der Leader selbst mit einem Schlagzeugsolo, das erneut abgesehen von Hi-Hat ganz ohne Becken auskommt. McBrowne trommelt dabei auf eine Weise, dass die verhaltene Stimmung des Stückes erhalten bleibt. Danach kehrt das Thema zurück, dem Hope übrigens durchaus ein paar kleine Änderungen verpasst hat. Eine grossartige, in ihrer Langsamkeit, ihrem Insistieren, ziemlich hypnotische Performance!


EARL ANDERZA
7. Outa Sight (Jack Wilson)

Earl Anderza (as), Jack Wilson (p), George Morrow (b), Donald Dean (d)
Pacific Jazz Studios, Los Angeles, California, März 1962
von: Outa Sight (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol West Coast Classics)

Earl Anderza aus Los Angeles ist neben Dupree Bolton der grosse, völlig obskure Musiker des schwarzen kalifornischen Jazz (Pierre Briançon hat ihnen und ein paar anderen ein Buch gewidmet, „San Quentin Jazz Band“, soweit ich weiss bisher nur in der französischen Originalausgabe greifbar). Anderza spielte gerade mal ein einziges Album auf, es gibt daneben ein paar verstreute Aufnahmen, auch gemeinsam mit Bolton. Jack Wilson, den wir vorhin mit Bolton und Curtis Amy hörten, machte auf Anderzas Album sein Debut im Aufnahmestudio, wie der Leader auch.

Hardy schrieb auch für Anderzas Album die Liner Notes und meint zu dessen Spiel:

John William HardyHis sound is alive with color and is brilliantly brassy without harshness. His attach is very clean, and though he can play with straightforward simplicity, he is prodigiously capable of speed and drive in execution. Though he is essentially lyrical, he can achieve an angular explosiveness that is as percussively alyrical as an Art Taylor drum solo.

Wir hören das Titelstück des Albums, mit dem die zweite Seite begann. Die Changes sind vom Standard „The Song Is You“ geliehen, Dick Bock hörte eine kleine Veränderung, die Wilson vornahm und regte an, dass dieser daraus eine eigene Komposition machen sollte. Wilson borgte sich den Anfang der Melodie wiederum bei Frank Loessers „Joey, Joey, Joey“ (aus „The Most Happy Fella“) lieh (James Moody hatte sich die Melodie schon für das Intro seines „Last Train to Overbrook“ geborgt, so scheint mir). Sehr effektiv ist der Stop-and-Go-Beat, den Donald Dean und George Morrow (ehemals mit der Combo von Max Roach und Clifford Brown aktiv) auch hinter Anderzas Solo aufrechterhalten. Wilson (der anderswo auf dem Album auch ein im Studio vorgefundenes Cembalo spielt) soliert als zweiter, sehr flüssig, perlend geradezu, aber seine Linien wirken durchdacht, fast schon zwingend – und sind bestens auf Morrow/Dean abgestimmt, die für einen wirklich tollen Groove besorgt sind.


ONZY MATTHEWS
8. Blues with a Touch of Elegance (Onzy Matthews)

Bud Brisbois, Bobby Bryant, Freddie Hill, Bob Rolfe, Dalton Smith (t), Lou Blackburn, Dick Hyde, Horace Tapscott (tb), Ron Smith (btb), Clifford Scott, Sid Miller (as), Curtis Amy, Clifford Solomon (ts), Jay Migliori (bari), Onzy Matthews (p, arr), Ray Crawford (g), Jim Crutcher (b), Chiz Harris (d)
Capitol Studios, Los Angeles, California, 2. Januar 1964
von: Blues with a Touch of Elegance (Capitol; CD: Onzy Matthews – Mosaic Select, Mosaic, 3 CD)

Onzy Matthews (geboren 193 in Fort Worth, Texas) ist die nächste obskure Figur dieser Sendung – ein Arrangeur, über den man kaum etwas weiss und dessen komplette Aufnahmen Mosaic in einer 3 CD-Box versammelt hat – inklusive diverser davor nie erschienener Stücke. Er mag hier stellvertretend stehen für all die talentierten afro-amerikanischen Musiker Kaliforniens, die es nie ins Scheinwerferlicht schafften, deren Musik nie dokumentiert wurde. Matthews studierte am Westlake College of Music in Hollywood – andere Studenten dieser Schule, die von 1946 bis 1961 existierte, waren Britt Woodman, Bill Holman, Bob Cooper, Bob Graettinger, Gary Peacock und Henry Mancini, im Lehrkörper waren u.a. Howard Roberts und Russ Garcia tätig.

Matthews trat als Sänger in Nachtclubs auf, schaffte es sogar bis ins Fernsehen, wo er mit der Schauspielerin Betty White „Makin’ Whoopee“ sang – Michael Cuscunas beissender Kommentar dazu (im Booklet der erwähnten Box): „We can only imagine the warmth and enthusiasm that must have greeted an interracial couple singing a song about making love on TV in the mid ‘50s”.

1959 oder 1960 stellte Matthews mit Hilfe von Dexter Gordon eine Rehearsal Band zusammen, die während einiger Monate jeden Mittwochabend probte, bevor ein paar wenige Gigs zustande kamen. Zu den beteiligten Musikern gehörten auch Sonny Criss, Curtis Amy, Carmell Jones, Jack Sheldon, Red Mitchell oder Frank Butler. Die ersten grösseren Aufträge als Arrangeur kamen von Lionel Hampton und Della Reese, später schrieb Matthews auch Arrangements für Ruth Price und Gene McDaniels. 1961 stiess Lou Rawls zu Capitol Records und im Jahr darauf erhielt Matthews seine grosse Chance: für Rawls schrieb er die Musik zu zwei Alben, „Black and Blue“ und „Tobacco Road“. Die Arrangements sind klasse, manchmal sparsam, dann wieder sehr reichhaltig, immer mit eigener Phrasierung und eigenen Voicings.

Lou Rawls’ Produzent Nick Venet gab Matthews dann seinen eigenen Plattenvertrag mit Capitol Records, doch die ersten Sessions aus dem Jahr 1963 blieben bis zum Mosaic-Set unveröffetlicht. 1964 spielte Matthews dann sein Meisterwerk ein, das Album „Blues with a Touch of Elegance“, von dem wir den Titeltrack hören. Matthews’ Klavier öffnet die Nummer, die in Sachen Farbtöne an Ellington gemahnt, in Sachen Tempo aber einen perfekt Basie-Beat lostritt. Curtis Amy (Sopransax), Clifford Scott (Flöte) und Clifford Solomon (Tenorsax) sind hier die Solisten, Amy hören wir am Ende noch einmal.

Trivia. Clifford Solomon ist der Saxophonist auf dem 1971 eingespielten Album „Jazz Blues Fusion“ von John Mayall (an der Trompete ist der v.a. von Horace Silvers Quintett bekannte Blue Mitchell zu hören, der bei Silver wiederum von Carmell Jones abgelöst wurde).



LENNY McBROWNE and the 4 SOULS
9. Even Dozen (Daniel Jackson)

Donald Sleet (t), Daniel Jackson (ts), Terry Trotter (p), Jimmy Bond (b), Lenny McBrowne (d)
United Recording Studios, Hollywood, California, 13. Oktober 1960
von: Eastern Lights (Riverside; CD: „Lenny McBrowne and the 4 Souls“, 2 CD, Fresh Sound)

Diesmal dafür nur ein kurzer Kommentar ;-)

McBrownes Band konnte im Herbst 1960 gleich noch ein Album machen, diesmal für das New Yorker-Label Riverside. Zu verdanken war das einem Talent Scout namens Cannonball Adderley, der die Combo gehört hatte, als er selbst in Kalifornien spielte – und wie bei anderen Riverside-Alben hier auch als Produzent auftrat.. Bis auf Jimmy Bond am Bass ist das Line-Up identisch, wir hören ein Original von Daniel Jackson mit einem ausgedehnten Intro, einem Thema mit Stotter-Groove und einer Bridge über einen Latin-Beat. Der Komponist soliert dann als erster und ist auch hier wieder die Ruhe selbst. Danach hören wir auch Don Sleet, der behutsam einsteigt und langsam Stimmung macht. Auch Trotter kriegt hier sein Solo, flüssig und eng an der Stimmung des Themas. McBrownes Solo ist dann viel explosiver als in „Invitation“, er zeig hier erneut sein Können, sein Solo ufert nie aus, wirkt konzis und durchdacht. Das feine Arrangement endet dann mit einer Variation über Teile des Themas – es ist ja nicht nötig, alles nochmal zu wiederholen.

CURTIS AMY & DUPREE BOLTON
10. Katanga (Dupree Bolton)

Dupree Bolton (t), Curtis Amy (ts), Jack Wilson (p), Ray Crawford (g), Victor Gaskin (b), Doug Sides (d)
Pacific Jazz Studios, Los Angeles, California, 3. Februar 1963
von: Katanga! (Pacific Jazz; CD: Curtis Amy – Mosaic Select, Mosaic, 3 CD)

Wir hören noch einmal Curtis Amy und Dupree Bolton von ihrem Hammer-Album „Katanga!“, und zwar mit dem Titeltrack. Katanga war die Provinz des ehemaligen Belgisch-Kongos, die sich 1960 nach der Unabhängigkeit vom Rest des Territoriums abtrennte und bis 1963 – international nicht anerkannt – existierte. Ein erwachendes Interesse für afrikanische Themen – auch jenseits der Musik – kann man in den frühen Sechzigerjahren bei manchen US-Jazzern feststellen.

Das Stück stammt aus der Feder Dupree Boltons, der mit einem Solo glänzt, in dem rasante, perfekt ausgeführten Linien in sich mit weniger dichten Phrasen abwechseln, in denen er zum Preacher wird. Amy und Crawford riffen hinter ihm, die Hitze nimmt zu, nach einer weiteren Riff-Passage mit ein paar Cries von Amy übernimmt Jack Wilson, er spielt wieder flüssige Phrasen, lässt aber etwas mehr Raum als zuvor mit Anderza. Dann spielen Amy und Bolton ein paar Fours mit Doug Sides und schon endet das knappe, nichtsdestotrotz eindrückliche Stück.

Trivia: Curtis Amy ist der Saxophonist auf „Touch Me“ von The Doors (und spielte auch bei Sessions für Marvin Gaye, Tammy Terrell, Carol King etc.)

CHICO HAMILTON
11. The Dealer (Chico Hamilton–Jimmy Cheatham)

Arnie Lawrence (as), Larry Coryell (g), Richard Davis (b), Chico Hamilton (d), Jimmy Cheatham (arr)
RCA Recording Studio, New York City, 9. September 1966
von: The Dealer (Impulse!; CD: GRP/Impulse)

Chico Hamilton war in den Sechzigern bereits ein Veteran, der mit seinem Quintet den leichtfüssigen West Coast Jazz perfekt verkörpert hatte: Flöte, Cello, Gitarre kein Klavier, filigrane Musik … in den Sechzigern erfand Hamilton sich neu, sein neues Quintett mit Charles Lloyd an Saxophon und Flöte pflegte einen etwas schwereren Sound, an dem auch der Bassist Al Stinson Anteil hatte. 1966 stiess der junge Larry Coryell zur Gruppe, der hier bei seiner ersten Aufnahme zu hören ist, ebenso wie der Altsaxophonist Arnie Lawrence, der sich im Gegensatz zu Coryell keinen Namen machen konnte. Am Bass ist mit Richard Davis einer der gefragtesten Musiker jener Zeit zu hören, er spielte auch mit Miles Davis (wenn Ron Carter verhindert war) und hatte bereits bei zahlreichen grossen Aufnahmen mitgewirkt (z.B. mit Eric Dolphy, Booker Ervin oder Andrew Hill).

Über einen rockigen Beat präsentieren Lawrence und Coryell das Thema, Richard Davis schlüpft dann während Coryells Solo immer wieder in die Rolle des Cellisten, während Hamiltons Bass-Drum den Bass-Part allein stemmen scheint. Der insistierende aber nicht plumpe Beat treibt das Stück an und lässt Davis zugleich viel Raum für eine variantenreiche Begleitung. Lawrence spielt dann das zweite Solo, irgendwo zwischen Charlie Parker und den freieren Spielweise, die inzwischen im Jazz aufgetaucht waren, jedenfalls mit einer ziemlich eigenen Phrasierung. Danach ist es nichts als gerecht, dass auch Richard Davis, der hier Schwerstarbeit leistet, auch ein Solo erhält – in dem er zunächst gegen den Beat anzuspielen scheint. Coryell streut ein paar leise Begleitakkorde ein, derweil Davis sich mit dem Beat allmählich wieder versöhnt. Schliesslich klingt die faszinierende Nummer mit der Wiederholung des catchy Riff-Themas aus.

JACK WILSON
12. Most Unsoulful Woman (Jack Wilson)

Roy Ayers (vib), Jack Wilson (p), Ray Brown (vc), Charles Williams Jr. (b), Varney Barlow (d)
Los Angeles, California, 10. August 1966
von: Something Personal (Blue Note; CD: Blue Note, Connoisseur Series)

Jack Wilson (1936 in Chicago geboren) hörten wir bereits als Sideman mit Curtis Amy und Earl Anderza, zum Ausklang nun eine Kostprobe von seinem Blue Note-Album „Something Personal“, das mit zwei Stücken öffnet, in denen der grosse Ray Brown am Cello zu hören ist, während Charles „Buster“ Williams den Bass übernimmt.

Das Thema basiert auf einem Motiv aus drei Noten, das vom Bass ausgeht und das ganze modale Stück prägt. Auch das eine hypnotische Nummer, zum Ausklang jedoch etwas Ruhiges. Wilson soliert zuerst, gefolgt von Ray Brown am Cello (sein erstes Mal modal?), der hier wohl das Highlight beisteuert, und dann zum Abschluss Roy Ayers am Vibraphon.

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