Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Neue Konzertreihe Zürich – Zürich, Tonhalle-Maag – 02.03.2020

Emmanuel Tjeknavorian Violine
Maximilian Kromer Klavier

Franz Schubert Violinsonate A-Dur op. post. 162 D 574 «Grand Duo»
Albert Dietrich, Robert Schumann, Johannes Brahms «FAE-Sonate» für Violine und Klavier

Olivier Messiaen «Louange à l’immortalité de Jésus» aus «Quatuor pour la fin du temps»
Gabriel Fauré Violinsonate Nr. 1 A-Dur op. 13
Karol Szymanowski Nocturne und Tarantella op. 28
Zugabe: Fritz Kreisler Liebesleid

Trotz Coronavirus finden hier Konzerte noch statt (Grossanlässe mit 1000 oder mehr Anwesenden sind verboten, die Tonhalle-Maag hat maximal ca. 1200 Plätze, d.h. ausverkaufen dürfen sie sie nicht) – gestern war der Saal wohl knapp halbvoll, es hätte zum Konzert für Abonnenten der Reihe auch Freikarten gegeben, wohl weil Tjekanvorian ja noch kein Name ist, der die Leute in Scharen anzieht. Dem Plan, den Saal mit Freikarten vollzukriegen, machte das Virus wohl einen Strich durch die Rechnung (auch meine alten Leute, für die ich Karten organisiert hatte, bevorzugten es, unter den Umständen zuhause zu bleiben). Tjekanvorian hatte ich letztes Jahr mal bei einer öffentlichten Probe in der Scala so halb mitgekriegt (klick), ansonsten waren die beiden für mich auch völlig unbekannt.

Aber gut, ich ging hin, war todmüde und daher streckenweise nur mässig aufmerksam – aber das war am Ende wohl auch in Ordnung, denn was geboten wurde, war wunderbar gespielte gute Musik, aber es gab keine grossen Überraschungen. Den Schubert nahmen die zwei mit Schwung, schlank aber nicht zügig, sie kosteten manche Momente richtig aus, in Tjekanvorians Händen wurde Schubert denn auch wirklich zum frühen Romantiker, und Kromer entpuppte sich als besten geeigeneter Partner, wenngleich in der Tongestaltung deutlich weniger schlank und klar. Die „F-A-E“-Sonate wurde von Schumann (Sätze II und IV), seinem Schüler Albert Dietrich (Satz I) sowie von Brahms (Satz III) als Geschenk und Überraschung für den Geiger Joseph Joachim geschrieben – dessen Motto lautete: „frei aber einsam“. Joachim hat u.a. das Violinkonzert von Brahms sowie das erste von Bruch uraufgeführt und als dreizehnjähriger mit seinem Förderer Mendelssohn am Pult das davor längere Zeit vergessene Konzert Beethovens aufgeführt.

Mich dünkt nun durchaus, dass Tjeknavorian sich in diesen grossen Konztext stellt – sei es in Sachen Repertoire oder auch in Sachen musikalische Gestaltung. Das war schon ein klassisches Virtuosenkonzert mit geschicktem Aufbau und einem Steigerungslauf zum Ende hin. In der „F-A-E“-Sonate ging es also hochromantisch weiter, das Vibrato wurde breiter, was aber nichts an Tjeknavorians Konzentration auf die Linie änderte, sein Ton blieb biegsam und warm, wurde nie scharf.

Im Programm war Messiaen als Abschluss der ersten Konzerthälfte geführt – was wohl besser gepasst hätte … oder gerade auch nicht. Um dies richtigzustellen wandte sich Tjeknavorian erstmals ans Publikum, später sprach er auch vor der Zugabe ein paar Worte, aber auf die Werke ging er dabei explizit nicht ein, „the music speaks for itself“.

Es ging nach der Pause also mit dem letzten Satz aus Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ weiter. Ob das nun als Gebet (im Sinne Messiaens) oder eher als eine Meditation (im Sinne Rousseaus) verstanden wird, spielt am Ende wohl keine so grosse Rolle – das Stück entwickelt einen unglaublichen Sog, das repetivie Klaviermuster, die wenigen Töne, aus denen ein karges aber doch unglaublich eindrückliches Werk sich auftürmt – faszinierend! Und eben doch auch wieder gut, dass dieser Satz nicht als Coda an die erste Konzerthälfte angepappt wurde sondern hier allein stehen durfte. Leider hatte ich bisher nie die Möglichkeit, das Werk als ganzes im Konzert zu hören (bei der kürzlichen oder baldigen Aufführung durch MusikerInnen des Tonhalle-Orchester hatte oder habe ich leider eine Terminkollision).

Faurés erste Sonate habe ich – ganz wie die „F-A-E“ – erst selten angehört, sie gefiel im Konzert sehr, es gab dazu im Programmheft auch einen interessanten Text, der in wenigen Sätzen die verspätete Entwicklung der französischen Kammermusik (im heutigen Sinn) umreisst. Wie so oft schärft auch oberflächliches Hintergrundwissen das Gehör ein wenig, und so fand ich die Fauré-Sonate – auch in der Nachbarschaft von Messiaen – also eben doch geschickt programmiert. Faurés Sonate scheint sich sowohl an der Klassik wie an der Romantik zu orientieren, ist im Gestus, in der Sprache dann aber sehr klar und weist auch über die im ersten Teil des Konzertes gehörte Musik hinaus. Musste ich im ersten Teil bei Schubert an Szymon Golberg denken, so im zweiten bei Fauré an Christian Ferras, obwohl Tjekjnavorians Ton schlanker klang, manchmfal fast etwas dünn, aber auch dabei immer klangschön.

Den Abschluss machte dann Szymanowskis virtuoses Op. 28, hier bewies Tjeknavorian dann noch einmal und abschliessend seine technische Könnerschaft – und diese geht keinesfalls auf Kosten des Musikalischen, da stimmt die Balance. Das Scherzo der „F-A-E“-Sonate hatte ich im Konzert schon einmal gehört, als Zugabe mit Julia Fischer/Yulianna Avdeeva, wo die erste Konzerthälfte mit Szymanowskis „Mythes“ endete. Diese Mythen sind wohl nochmal einiges bekloppter und faszinierender als die Nocturne und die anschliessende, immer schneller drehende Tarantella, aber es ging auch gestern ordenltich zur Sache, Tjekanvorian spielte wie zuvor längere Passagen ohne Blick in die Noten (den Brahms-Satz der „F-A-E“ spielte er z.B. ganz auswendig und das tat auch gut, dahin sollte er auch beim Rest kommen, fand ich. Bei Szymanowski spielte er ebenfalls ziemlich befreit auf, der Ton wurde jetzt auch mal dünn, heftig, der Bogen hüpfte, die Pizzicati klangen so hart, dass ich Angst um die Saiten bekam … der Applaus war auch in der halbvollen Tonhalle gross.

Als Zugabe hatten sie etwas aus Wien dabei – ein Witzbold meinte auf die Ankündigung hin: „na, geh!“, und Tjeknavorian fragte, ob es Einwände gebe – kündigte dann aber Fritz Kreislers „Liebesleid“ an, das er in einer elegant-fliessenden Fassung spielte, ohne je dick aufzutragen, selbst ein ganz feines Portamento fügte er mühelos ein … was mir dabei auffiel ist, dass Tjeknavorian den Bogen im gesamten Stück nie von den Saiten nahm. Ein nachdenklicher und sehr schöner Ausklang eines rundum gelungenen Konzertes. Wie @soulpope gestern auf meine Nachfrage hin drüben schon schrieb, ist Tjeknavorian noch kein grosser Meister, aber mit noch nicht einmal ganz 25 bleibt ihm hoffentlich noch viel Zeit, sich weiterzuentwickeln. Wenn er wieder mit einem so ansprechenden wie dem gestrigen Programm auftaucht, gehe ich jedenfalls auch gerne wieder hin.

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