Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Luzern, Luzerner Theater – 16.02.2020

Dschungel
Brass-Oper von Manuel Renggli nach der gleichnamigen Geschichte von Michael Fehr

Musikalische Leitung: Michael Bach
Inszenierung: Tom Ryser
Bühne: Sipho Mabona
Mitarbeit Bühne: Simon Sramek
Kostüme: Birgit Künzler
Licht: Clemens Gorzella
Choreinstudierung: Mark Daver
Dramaturgie: Rebekka Meyer

Diana Schnürpel Atlanta
Rebecca Krynski Cox Raja / 1.Affe
Sarah Alexandra Hudarew Samreh / 2. Affe
Jason Cox Sohn des roten Baron
Vuyani Mlinde Der rote Baron
Hubert Wild Gefiederter Mensch / Ein Hund
Nina Langensand Brahma
Walter Sigi Arnold Erzähler

Chor des LT
Brassband Bürgermusik Luzern

Letzten Sonntag ging ich in die Matinée in Luzern (13:30 ging es los), wo an dem Tag gleich zweimal das neue Stück von Manuel Renggli gegeben wurde. Es handelt sich dabei um die Adaption/Vertonung einer Geschichte von Michael Fehr, der aus der Spoken Word-Szene kommt, aber auch schon ein paar Bücher veröffentlicht hat („Simeliberg“ ist ein beeindruckendes Buch, Rezension der NZZ). Die Spoken Word-Ebene spielt in „Dschungel“ über die Figur des Erzählers ein wenig herein, manchmal gibt es Passagen, denen man diesen Hintergrund anzuhören scheint, Wiederholungen, gesprochene Sprache – mehr davon hätte mir durchaus gefallen.

Die Story ist einfach und doch nicht aufzuschlüsseln, die Coming-of-Age-Geschichte des verwahrlosten Mädchens Brahma, das bei einer alkoholkranken Mutter aufwächst – und Hunger hat. Auf der Strasse schlägt es dem Sohn des roten Barons ein paar Pillen aus der Hand und verschlingt sie gierig. Und was von hier an passiert, hat einen nie geklärten Status: reale Handlung, Traum, Trip – oder von allem ein wenig? Raja muss vor der Gang Jugendlicher fliehen, dabei helfen ihr ein paar Ratten, dann übernimmt die Schlange Atlanta, die das Mädchen in den titelgebendenen Dschungel führt, zunächst zu einem Rudel von Hunden. Der Dschungel ist dabei das Gegebenbild zur grauen Stadt mit den gehetzten Menschen, eine Zone, in der alles möglich scheint. In der Höhle, in der Raja schliesslich landet (da lebt auch der gefiederte Mensch, der vom Fliegen träumt, von den Vögeln aber nicht anerkannt wird, weil er einst ein paar von ihnen verzehrt hat), versteckt aber auch der Rote Baron sein Gut – die roten Pillen. Irgendwann taucht er dort auf und entführt Raja. Im weissen Rolls Royce ein ca. einen Meter breites weisses Leintuch, das horizontal über die Bühne gezogen wird – und nein, das artet nie in Klamauk aus! – fährt man durch den Dschungel, bis die Leibwächterin den Baron erschiesst, Raja zur Flucht verhilft, mit einer Pistole und einer Tasche voller Geld. Ein Ende, ein Anfang?

Das mag alles recht wirr klingen, wirkte aber in der Aufführung stimmig. Raja wurde von einer Schauspielerin verkörpert, ebenso der Sprecher, die anderen Rollen grossteils gesungen. Die DarstellerInnen der Hunde und Ratten und der Chor hatten dabei auch einige choreographierte Tanzauftritte. Musikalisch gefiel mir das Stück im grossen Ganzen ebenfalls, die Brass Band sass im nur mittig geöffneten Graben und musste sich wohl auch so öfter etwas zurückhalten – es wurde hie und da auch sehr laut, die Gesangsstimmen waren aber zum Glück unverstärkt. Das einzige, was mir leider nicht gefiel, war die rhythmische Ebene. Diese ewigen, steifen, binären Beats, in denen kein Atem, kein Groove steckt – das Elend der Blasmusik in nahezu exemplarischer Ausgestaltung (wenngleich auf überaus ansprechendem Niveau). Aber das tat dem Vergnügen am Ende wenig Abbruch – es erinnerte mich halt an meine eigene einstige nicht ganz freiwillige Betätigung in ähnlichem Umfeld (auf durchaus weniger ansprechendem Niveau, in der Musik unserer glorreichen Armee). Inszenierung, Bühne, Ensemble – alles sehr gut.

Zürich, Opernhaus – 4. Philharmonisches Konzert – 23.02.2020

Philharmonia Zürich
Dirigent Fabio Luisi
Klavier Beatrice Rana

Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58

Claude Debussy La Mer
Maurice Ravel La Valse

Gestern ging ich dann wieder zur Matinée, diesmal vor der Haustür und um 11:15. Beatrice Rana spielte das fabelhafte vierte Klavierkonzert von Beethoven (im Juli spielt sie Nr. 2, letzte Saison schon Nr. 1 und Nr. 3, vermutlich kommt sie im Herbst mit Nr. 5 noch einmal vorbei?), was der Hauptgrund für mich war, hinzugehen. Das Haus war von ein paar Hörplätzen abgesehen ausverkauft (ein paar Sitze blieben leider leer, das ist ja nicht so selten – und leider nimmt ja auch niemand Karten zurück, um sie doch noch zu füllen), und das Konzert erwies sich dem Umstand denn auch als würdig.

Unter Ranas Händen klang das Konzert frisch, lyrisch aber auch zupackend, sehr klar und durchsichtig, auch wo der Klavierpart mal wuchtiger wurde nie hart. Auch die virtuosesten Passagen des Soloparts wirkten leicht – und in der Leichtigkeit, mit der Rana das alles spielte, die Kadenz, den Schlusssatz, manchmal kaum zu glauben. Luisi und das Orchester begleiteten äusserst wach, der Dialog bzw. Widerstreit im mittleren Satz gelang wunderbar. Das Orchester glänzte danach in vergrösserter Besetzung (auf 16 Celli brachten sie es nicht, aber immerhin auf die Hälfte davon, im Graben sind sie nie so gross besetzt) auch bei Debussy und Ravel noch einmal. Ich habe es ja schon oft im Graben gehört, aber noch nie bei einem symphonischen Konzert (die Konzerte, die ich in der Oper besuchte, waren bisher entweder Liederabende oder Konzerte von La Scintilla, dem Haus-Ensemlbe, das auf alten Instrumenten spielt).

Muss mir wohl überlegen, ob ich im Juli zum Konzert mit dem zweiten Klavierkonzert von Beethoven (und Bruckner 7) gehen soll … auch wieder mit Chefdirigent Luisi am Pult. Bruckner kann ich mir aber in der Oper irgendwie nicht so richtig vorstellen (und die Siebte hörte ich vor ein paar Jahren mit Luisis Vor-Vorgänger Welser-Möst am Pult des Tonhalle-Orchesters, was umwerfend war).

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