Re: Guns N‘ Roses

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sonic-juice
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Vielleicht ganz gut, dass ich hier eine Woche nicht reingeschaut habe. Ein paar Aspekte, warum „Appetite For Destruction“ für mich immer noch ein 5-Sterne-Album und weitaus mehr als ein mitgröhltauglicher Luftgitarrensoundtrack ist:

– Musikalisch haben GnR, anders als der damalige Hard Rock-Mainstream, alle möglichen genresprengenden Einflüsse verabreitet, von Blues über Funk bis Punk. Eine große Dosis New York Dolls sowieso. Auch wenn man Tracks wie „Welcome To The Jungle“ schon (freiwillig oder unfreiwillig) so oft gehört haben mag, dass man schon nicht mehr hinhört: man sollte mal auf diesen außergewöhnlichen (teils nahezu schwarzen) Groove des Schlagzeugs achten oder auf die unüblichen Eskapaden der Rhythmusgitarre von Stradlin‘. Das zieht sich über die ganze Platte bis zum krönenden Abschluss von „Rocket Queen“, es hat mich damals bei der ersten Begegnung mit GnR fasziniert, und wenn ich die Platte heute höre, finde ich insbesondere das Zusammenspiel der Rhythmusgruppe immer noch fantastisch. Songs wie „Night train“ haben in meiner Wahrnehmung wenig mit klassischem Hard Rock oder gar Testosteron-Gebolze zu tun, sondern sind einfach Rock’n’Roll im besten Sinne. Das lässt sich im übrigen auch über die unpolierte, druckvolle und spontan klingende Produktion sagen, die heute noch genauso frisch erscheint wie 1987 (auch das eine nicht gerade kleine Leistung im Bereich der Rockmusik gerade in diesem Jahrzehnt).

– GnR hatten von Anfang an immer wieder Texte, die über die üblichen Klischees des Genres weit hinauswiesen, es ging um die persönliche und wenig weichgezeichnete oder überhöhte Verarbeitung von Themen wie Drogensucht (z.B. Mr. Brownstone), Großstadt-Paranoia (z.B. Welcome To The Jungle, Out Ta Get Me, One In A Million), nihilistischen Überdruss (It’s So Easy), Erinnerungen an frühere Liebschaften (Think About You) und mehr oder weniger drastische Charakterzeichnungen (My Michelle), die in ihrer Schärfe, Verzweiflung und schneidenden (Auto-)Agression oft eher im Punk-Kontext zu verorten sind. Wo im Hard Rock hätte man bitte etwa noch solche (bei genauerem Hinsehen keineswegs spöttischen, sondern von Empathie getragenen) Zeilen finden können wie
„Your daddy works in porno
now that mommy’s not around
she used to love her heroin
but now she’s underground“?

– Man mag Axl Roses Gesang goutieren oder nicht, aber „schlecht“? Er ist halt in etwa genauso „schlecht“ wie der von Johnny Rotten, Liam Gallagher oder Madonna. Jedenfalls sticht er aus tausenden Sängern heraus, inklusive aller Manierismen, etwa den langgezogenen Vokalen. Ich wüsste jedenfalls nichts, was es am Gesang auf AfD zu verbessern gäbe.

– Schließlich hatten GnR in der Tat ein großes Maß Popappeal, was sie wiederum von vielen ihrer Zeitgenossen und Vorläufer unterschied. „Appetite for Destruction“ quillt nahezu über vor eingängigen, wenig plumpen Meldodien; die Gitarrensoli von Slash, die immer integraler, unverzichtbarer Bestandteil der Songs waren und nie reines Gemucke, taten ihr übriges dazu.

– Kurz: Die Band war textlich, gesanglich und musikalisch ein Unikum und hat mit AfD ihren Status als bedeutendste oder jedenfalls größte Rock’n’Roll Band der 80er, die damals als Nachfolger der Rolling Stones gehandelt wurde, durchaus nicht zu Unrecht. Wie gut diese Bands zueinander passen, kann man ja wunderbar z.B. auf dem „Atlantic City“-Bootleg nachhören, auf denen die Stones mit Axl und Izzy „Salt of the Earth“ zum Besten geben, die Stones-Spuren hat Stradlin dann ja auf „Use Your Illusion“ und seinen Solopfaden weiter vertieft (u.a. mit Unterstützung von Ron Wood).

– Natürlich hatten GnR auch immer eine überzeichnete Comic-Seite a la Spinal Tap. Dass sie von einer kleinen, dreckigen Rock’n’Roll Band aus der Gosse mit nur einer LP sehr schnell in den Superstar-Status katapultiert wurden und unbeschränkten Zugang zu Geld, Drogen und Groupies hatten, hat ihr Klischeepotential, ihren Größenwahnsinn und ihre, sagen wir mal, lustige Seite natürlich noch enorm befördert und ihre Angriffsflächen nochmal verzehnfacht – bis hin zum Gitarrensolo am Grand Canyon. Selbst diese Aspekte finde ich aber durchaus recht amüsant. Als Intellektuelle habe ich GnR noch nie gesehen und das werden auch ihre Fans kaum anders sehen. Meinentwegen insofern eine Deppenband. Aber eine verdammt unterhaltsame.

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