Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Opernhaus – 29.01.2020

Fidelio
Oper in zwei Aufzügen von Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Libretto von Joseph Ferdinand Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke

Musikalische Leitung Markus Poschner
Inszenierung Andreas Homoki
Bühnenbild Henrik Ahr
Kostüme Barbara Drosihn
Lichtgestaltung Franck Evin
Video-Design Alexander du Prel
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Werner Hintze

Don Fernando Oliver Widmer
Don Pizarro Wolfgang Koch
Florestan Andreas Schager
Leonore Anja Kampe
Rocco Dimitry Ivashchenko
Marzelline Mélissa Petit
Jaquino Spencer Lang
Erster Gefangener Thomas Erlank
Zweiter Gefangener Oleg Davydov

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Zusatzchor der Oper Zürich
SoprAlti der Oper Zürich

Zwiespältige Sache, die Aufführung von „Fidelio“, die in der Saison 2013/14 erstmals gezeigt wurde. Homoki verlegt das Quartett bzw. seinen ersten Teil an den Anfang, Leonore stirbt, dann folgt nach einer halben Ouvertüre als Rückblende, als Traum, als was auch immer, die Handlung von vorne. Das Quartett wird dann natürlich zu Ende gesungen und der Rest folgt auch noch. Die Bühne leer, ein Schmaler Raum im Querformat, die Rückwand herabklappbar, der Chor, das Volk und die Gefangenen, bewegt sich so öfter in einer leichten Schräglage, kommt von und geht nach hinten wieder ab. Das ist alles sehr in Ordnung, denn irgendwie muss man mit dem Stoff ja umgehen, Gefangene in KZ-Kleidung brauchen wir nicht mehr, ein Bezug auf die Flüchtlinge im Mittelmeer oder was weiss ich, was Regisseure halt alles für superbe Ideen haben, muss für mich auch nicht sein – die Wirkung des Stückes und seines Konflikts wurde durch die Leere Bühne nämlich verstärkt. Dass die Dialoge fehlten, fand ich hingegen eine ziemlich gute Idee (bei der Jacobs-Aufnahme der „Leonore“, die Ende letzten Jahres erschien, fiel mir – trotz sprachlicher Anpassung, wenn ich das richtig erinnere – wieder mal auf, sperrig, umständlich, langfädig … Homoki projizierte Schlüsselworter und -phrasen sowie Ortsangaben und mehr an die Rückwand, und das reichte. So konnte das ganze auch in zwei Stunden ohne Pause (super!) geboten werden.

Dafür war der Einstieg mit dem Quartett schwierig – so mitten rein, laut, heftig … und das blieb auch noch eine Weile ein Problem. Die Musik ist – trotz recht klein besetztem Orchester – so wuchtig, dass die Stimmen sich nicht immer durchzusetzen vermochten, gerade Wolfgang Koch blieb bei seinem Hausdebut leider ziemlich fahl – seine Stimme reichte einfach nicht, um den Raum zu füllen. Die anderen Hausdebütanten hatten keine solchen Probleme, Ivashenkos Rocco war sehr gut, Schagers Florestan … nunja. Doch zuerst zu Anja Kampe, die schon 2013 die Leonore sang. Sie war schwer beeindruckend, eine grosse Stimme mit Strahlkraft, aber auch zu leisen Tönen in der Lage, eine immense Bandbreite jedenfalls, und ein vollkommen überzeugender Auftritt. In der ersten Hälfte, dem Singspiel-Teil, war Mélissa Petit eine nahezu perfekte Partnerin: die beiden Stimmen passten wunderbar, der Rocco von Ivashenko passte ebenfalls sehr gut dazu – was auch für den in Zürich gern gesehenen Spencer Lang als Jaquino gilt). Einzig wenn Kampe in die Vollen ging, verblasste Petits kleinere Stimme daneben. Doch ihre Stimme ist mir viel lieber als eine, wie die von Kampe – ich hörte sie in Zürich v.a. zweimal in frz. Barock-Opern, als Créuse in Charpentiers „Médée“ und als Aricie in Rameaus „Hippolyte et Aricie“, aber auch als Sophie in „Werther“.

Mir schien auch nach dem Quartett – die Überleitung folgt aus dem Trompetensignal zur passenden Stelle zu Beginn des letzten Drittels der dritten Leonore-Ouvertüre – noch eine Weile die Balance zwischen Graben und Bühnen nicht optimal, doch das Singspiel macht es einem ja dann schon sehr leicht, in die Musik zu finden – ob Beethoven nun was von Gesangsstimmen verstanden haben mag oder nicht, ist mir dabei eigentlich egal, denn für die zwei Soprane schrieb er unfassbar schöne Musik (Janowitz/Popp in der Bernstein-Einspielung!). Im zweiten Teil, der ernsten, tragischen Oper dann, hat Florestan seinen grossen Auftritt. Und klar braucht das eine gewichtige Stimme, aber der Heldentenor von Schager war mir doch entschieden zu viel. Er kann so ca. zwischen ff und ffff differenzieren und hat darunter nur eine leer Hülle von Stimme – und vermied daher wohl leiseres Singen nach Möglichkeit. Es war, als ob das Volumen erst ab einer gewissen – lauten! – Lautstärke dazukomme, davor war quasi nichts dran an der Stimme. Kampe war ihm aber zum Glück absolut gewachsen, Ivashchenko und dann auch Oliver Widmer hatten damit ebenfalls keine Mühe, aber Koch eben schon.

Musikalisch entwickelte das Ding aber ungeheuren Sog, die kleinen Probleme in der Lautstärken-Abstimmung vergass ich darob am Ende völlig (ausser, dass Pizarro halt nicht so gut zu hören war, das blieb), und beim Wandel zur Kantate war das ganze eigentlich nur noch ein Ritt, von dem man hoffte, er möge noch etwas länger andauern. Zwiespältig also, aber dennoch beeindruckend!

Zürich, ZKO-Haus – 02.02.2020
Kammermusik@ZKO – Matinée Française

Daria Zappa Matesic Violine
Inès Morin Violine
Stefania Verità Violoncello
Emanuele Forni Theorbe
Naoki Kitaya Cembalo

François Couperin Sonate, aus: Second Ordre «L’Espagnole» in c-Moll (Les Nations)
Robert de Visée Prelude, La Mascarade und Assez de Pleurs, aus: Manuskript «Madame Vaudry de Saizenay» in g-Moll
Jean-Philippe Rameau Cinquième concert in d-Moll, aus: Pièces de clavecin en concerts
Francesco Corbetta Caprice de chacone in C-Dur, aus: La Guitarre Royalle
Jean-Marie Leclair Deuxième récréation de musique in g-Moll op. 8
André Chéron Passacaille, aus: Sixième sonate in A-Dur (Sonates en trio)
E: Jean-Philippe Rameau Le Tambourin, aus: Troisième concert, Pieces de clavecin en concert

Vorhin war ich beim Kammermusik-Konzert, das der Cembalist des Zürcher Kammerorchesters zusammen mit Kolleginnen und dem Theorben- und Gitarren-Spezialisten Emanuele Forni veranstaltete. Er sagte nach der Couperin-Sonate auch ein paar Worte zur Musik und kündete am Ende die Zugabe an. An der ersten Stimme wechselten sich Zappa und Morin ab, erstere spielte bei Couperin und Leclair die erste, Morin übernahm bei Rameau und Chéron. Die Stücke von de Visée und Corbetta waren Solos von Forni, der in Zürich öfter auftaucht, wenn eine Theorbe gefragt ist, sei es in Kammermusik- oder Orchester/Chor/Opern-Aufführungen. De Visée spielte er an der Theorbe, Corbetta an einer kleinen Gitarre – beides alte Instrumente (oder entsprechende Nachbauten). Dass die drei Streicherinnen (Cello ohne Dorn, immerhin) moderne Instrumente mit Stahlsaiten spielte und das Cembalo ordentlich laut war, half der Balance nicht immer (Forni ging etwas unter, wenn er nicht gerade mit der ganzen Hand alle Saiten der kleinen Gitarre schrammelte, wie bei Leclair und Chéron zu hören – bei Leclair begann er an der Theorbe und wechselte dann).

Ich mag da keine grossen Worte schreiben, aber es wurde rasch klar, wie gut diese Leute sind, wie sie eben auch mit Kammermusik im kleinen Rahmen bestens zu recht kommen, diese mit viel Elan präsentieren. Vor allem die zwei Geigen harmonierten hervorragend, was besonders bei der virtuosen Musik von Leclair wunderbar anzuhören war. Chérons Passacaille war wohl das unerwartete (weil mir völlig unbekannte) Highlight zum Schluss – er war zwar nur zwei Jahre älter, aber Lehrer von Leclair. Dass nach der dramatischen Steigerung am Ende von Leclair und dann der irren Passacaille noch Rameaus „Le tambourin“ als Zugabe geboten wurde, passte perfekt. Davor, bei Couperin und Rameau, beeindruckte vor allem der Farbenreichtum, ein schimmerndes Prisma, in stetiger Bewegung.

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