Antwort auf: il n’y a pas de hors-texte – Text und Interpretation

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gypsy-tail-wind
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clasjaz

gypsy-tail-wind
Das „im Kopf höhen“ bzw. Erinnern und Nachdenken über einst gehörte Aufnahmen stellt sich bei mir nach nun etwa zehn Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit klassischer Musik auch manchmal und allmählich ein – aber auch da spielt wohl wieder die jeweils eigene Hörbiographie eine entscheidende Rolle. Allerdings – da muss ich jetzt aber eher zum Jazz, mit dem ich mich ja schon viel länger befasse – sind solche Erinnerungen ja manchmal in der Realität gar nicht mehr nachvollziehbar, die erneute Begegnung mit etwas als vertraut und bekannt Gedachtem kann ja zu völligen Neuurteilen führen, die gerade auch wieder interessant sind, weil sie dann eben das eigene frühere Hören hinterfragen machen bzw. vielleicht ein neues Kapitel hinzufügen. Und klar, der Austausch, hier wie anderswo, die Lektüren, das Aufgeschnappte, können allesamt dazu führen, dass Richtungen sich ändern, dass Dinge neu beurteilt werden, dass als bekannt Angenommenes hinterfragt oder überdacht wird. Wenn ich die ältere Kremer-Einspielung das nächste Mal höre, werde ich mich jedenfalls erinnern. Ich habe sie ja schon auf Deine Anregung hin gekauft.

Das meinte ich mit einer kleinen Nuance anders. Eher so, dass das vielmalige Hören, auch in verschiedenen Interpretationen, irgendwann im Kopf eine Art Idealbild – oder nenne es mit dem soziologischen Wort einen Idealtypus – produziert. Davon dürfte ich gar nicht sprechen, weil ich im schlichten Notenlesen nicht sehr weit gekommen bin; eine Mahlersymphonie könnte ich aus den Noten niemals aufrufen. Nur in Erinnerung an Gehörtes, das geht schon. Umgekehrt fächern die zahlreichen Interpretationen dieses fiktive Idealbild permanent auf, und so ist es wohl auch richtig.

Das ist schon interessant, wir hatten es ja von diesen quasi fiktiven nicht existenten Idealeinspielungen auch schon ein paar Male – das sind aber einfach zwei verschiedene Dinge, oder? Also Szigetis Bach abrufen geht ebenso, wie es geht, sich eine solche Idealversion der Chaconne vorzustellen?

Und Barthes, doch, da gibt es schon etwas, z.B. (oder: vor allem?) die II. Abteilung dieses Bandes mit der Überschrift „Der Körper und die Musik“:

Es gibt da ein halbes Dutzend kürzere Essays (Artikel, einen Lexikoneintrag, ein Vorwort) mit Titeln wie „Zuhören“, „Die Musik, die Stimme, die Sprache“, „Der romantische Gesang“ oder „Schumann lieben“. Liegt hier schon lange griffbereit, aber gelesen habe ich die Aufsätze bis heute nicht.

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