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frohes neues aus dem vorgarten & danke für die schönen resümees.
mein jazzjahr 2019 war vor allem: eins ohne das rs-forum. was – ehrlich gesagt – gut getan hat, natürlich nicht als anhaltendes schmollen, sondern als die persönliche, psychohygienische massnahme (weniger ablenkung, weniger prokrastination), als die sie gemeint war. erfreut war ich dann, als ich vor ein paar wochen wieder hier vorbeigeschaut und bemerkt habe, dass hier immer noch was, z.t. sogar mehr, los ist. aber ob ich mich in zukunft hier wieder mehr beteiligen werde, weiß ich selbst noch nicht.
meine live-erlebnisse beschränken sich leider fast ausschließlich auf das berliner jazzfest, wo ich offenbar ein recht ähnliches programm gesehen habe wie andere hier an anderen festivalorten (akinmusire origami harvest, eve risser solo, james brandon lewis unruly manifesto). stargast war aber natürlich anthony braxton, der sich mir dabei allerdings nicht ins herz gespielt hat. sein „sonic genome“-projekt (lauter wandernde musikalische kleingruppen, die sich im gropius-bau bewegten und dabei braxton-kompositionen spielten) habe ich im wesentlichen dazu verwendet, um mir die ausstellungen anzuschauen, hatte ansonsten den eindruck von räumlich undifferenzierter kakophonie, exzessivem weißweinkonsum und vorbeihör-angeboten durch eventisierung. das „zim music“-konzert am abschlusstag (mit septet, u.a. ingrid laubrock) rauschte, obwohl es sich sehr konzentriert präsentierte, meilenweit an mir vorbei. sehr hübsch fand ich dagegen das australian art orchestra mit necks-ähnlichen organischen sound-entwicklungen, aus denen sich schöne soli schälten. durchaus etwas anfangen konnte ich auch mit christian lillingers „open from for society“, der nun völlig den anschluss an lehman, iyer, webb bzw. deren drummer gefunden zu haben scheint und mit kaja dreksler und cory smythe ein adäquat schräges tastenduo bei sich hatte. unterirdisch fand ich die konzerte von angel bat dawid (die den jazz erst kürzlich für sich entdeckt hat, aber direkt in den missionierungsmodus geschaltet hat, während ihre musiker noch herauszufinden versuchten, wie mikrofone funktionieren) und das eitle soloklavierprogramm von brian marsella. bei marc ribots spaßbeitrag bin ich (trotz chad taylor) erwartungsgemäß geflohen, ebenso habe ich das absurd dysfunktionale bigbandprogramm von joachim kühn auf der grundlage von (ausgerechnet!) ornette-coleman-kompositionen ausgelassen, dabei (draußen, rauchend) michelle mercer kennen gelernt (die u.a. das schöne buch mit/über wayne shorter geschrieben hat), die mir eine abgründige, wirklich zutiefst verstörende anekdote über kühn erzählt hat (die ich hier nicht weitergeben mag).
james brandon lewis, jaimie branch, eva mendoza, luke stewart und warren cudrup III spielten dann im kleinen quasimodo-club, das ging schön laut nach vorne, wobei ich branchs trompete tatsächlich 50 cm vor mit hatte und schon verstanden hab, warum ihr verspieler egal sind und ihre technischen limitierungen auch. dass sie aber offensichtlich keine gute trompeterin mehr sein möchte, sondern nur noch aktivistischer punk, vermag sich mir nach ihren ja doch sehr vielversprechenden anfängen nicht ganz zu vermitteln – es funktioniert aber so gerade (auch auf cd, wie ich finde, aber dazu gibt es ja schon eine diskussion hier).
schön jedenfalls, dass sich neben einigen eher uninspirierenden berliner konzertorten eine neue programmreihe namens „au topsi pohl“ etabliert hat (in der isotop bar), wo die freie improvisation durch musiker*innen selbst organisiert sehr lebendig gehalten wird und man wöchentlich leute wie honsinger, dörner, gratkowski, aber auch mal alliierte wie zerang oder michael moore sehen kann – in einem mikro-hinterraum einer bar. leider habe ich bsiher nur einen besuch unternommen, der nicht gerade spannend ausfiel: michael zerang hatte clayton thomas und frank gratkowski sowie die bemerkenswerte pianistin rieko okuda eingeladen. ein set, das leider von gratkowski sehr dominiert wurde, der mit okuda keinen kontakt (auf irgeneiner ebene) aufnahm und folgerichtig auch ihren namen auf seiner webseite falsch schreibt.
alben
für mich ist CLOCKWISE von anna webber eindeutig das jazzalbum des jahres, einfach, weil da etwas ziemlich neues gewagt wurde, auch wenn sich die chefin dabei selbst ziemlich in die zweite reihe stellte. was man insofern 2019 wieder kompensieren konnte, indem man sich das neue dave-douglas-album (ENGAGE) besorgte, in dem webber neben jeff parker, tomeika reid und der tollen drummerin kate gentile sich als profilierteste solostimme präsentiert. das album meiner aktuelle lieblingspianistin kris davis (DIATOM RIBBONS) wurde mir leider durch den besetzungsmischmasch und insbesondere durch nels cline verleidet, aber toll fand ich sie als sidewoman auf rob mazureks live-album DESERT ENCRYPTS VOL.1 (im quartett mit chad taylor und ingebrigt haker flaten). dem allgemeinen lob für matana roberts viertes COIN-COIN-album kann ich mich nur anschließen, wobei ich mein neu erwachtes interesse vor allem am neuen drummer ryan sawyer festmache. das steve lehman trio + (leider) craig taborn – album mochte ich ganz gerne, es riss mich aber auch nicht aus dem sessel (taborn mit iyer ging dagegen gar nicht).
ein album, das für mich aus dem nichts kam und das ich wirklich zu lieben gelernt habe, ist dieses hier:
ogjb sind oliver lake, graham haynes, joe fonda und barry altschul, und diese ältereherrenband ist alles andere als hüftsteif, sondern ziemlich gelenkig in ihren individuellen verrenkungen. macht unter playing-aspekten großen spaß, ist aber alles andere als mainstream.
projekte
ich habe 2019 nochmal wirklich alles von ornette coleman seit der blue-note-phase gehört und viele entdeckungen gemacht. aktuell (natürlich durch die musical-prophet-ausgabe) höre ich gerade mal etwas konzentrierter eric dolphy zu, der zwar einer meiner allerersten jazz crushs überhaupt ist, den ich als sideman unendlich schätze, mit dessen alben unter eigenem namen ich aber bisher große schwierigkeiten hatte.
und weil in der tone-poet-reissue-serie mehrere lieblingsalben von mir herauskamen (ETCETERA, NOW HE SINGS NOW HE SOBS, CONTOURS) und meiner anlage der kristallin-aggressive sound trotz absurder (an den mastern orientierten) kanaltrennungen (im corea-album wandern die instrumente sogar für einzelne soli, etwas, was cuscuna im digitalen neumix seinerzeit schön konsummabel integrierte) sehr zusagt, habe ich auch ein paar mal zugeschlagen und werde das auch weiterhin tun, trotz wabbelnder klavierpitches, die ich auch höre.
entdeckung
monnette sudler, gitarristin
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