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Anonym
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gypsy-tail-windVon vorne … geht sehr gut los, auch wenn die Werke wohl höchstens in die Apokryphen gehören, vermute ich. Bei ECM gab’s ja neulich eine CD mit solchen Transkriptionen von Maderna (und als Beigaben einem Stück von Berio), dort verhält’s sich für mich ähnlich … aber gut, in Basel, courtesy of Paul Sacher-Stiftung, gab es ja vor ein paar Jahren eine höchst faszinierende Ausstellung, in der es um Verarbeitungen, Bearbeitungen, Spuren ging, die frühere Werke in späteren hinterliessen, von Bach über Bartók bis zu Berios Beatles-Bearbeitungen, da passt es schon, dass das Sinfonieorchester Basel sich solcher Werke annimmt. Hat jemand – @clasjaz, @soulpope, @yaiza – eine Meinung zu diesen Werken, seien sie nun von Berio oder Maderna?
Berio und Maderna habe ich zwar hier, aber nicht mit diesen Werken. Wenn ich richtig verstehe, zielt Deine Frage auf die Motivation zu solchen – habe mir gerade angeguckt, was da drauf ist – Bearbeitungen älterer bzw. anderer Komponisten? Orchestrierungen und Arrangements halten sich ja explizit an die „Vorlage“, d. h. die Haltung der Spurensuche ist eine ganz andere als eine Haltung, bei der für ein eigenständiges Werk mehr oder weniger Zitate anderer Komponisten auftauchen oder eingesetzt werden. Und Haltung ist dabei auch nur eine Art dachschindelartiges Oberwort, also nicht einmal ein Begriff. Wie vieles kann sich darin, darunter artikulieren!
Bei der Bearbeitungshaltung der Orchestrierung oder des Arrangements, sofern da nicht einfach Finanzielles oder der Spass an der Freude als Gründe vorliegen, was im Einzelfall ja auch möglich ist, kann es sich schlicht um das Aufdecken weiterer Möglichkeiten eines Werks handeln, oder um das Fischen in fremden Gewässern, um für die eigenen kompositorischen Angelegenheiten etwas auszuloten. Oder, vielleicht zielst Du darauf, dass gezeigt werden soll, welche modernen oder schlicht späteren musikalischen Weisen (mit e) bereits früher vorhanden waren. Wobei die Frage ist, ob sie erst durch den späteren Blick vorhanden sind – ein Zugang, den doch Gould oft als Rechtfertigung sogar für die Interpretation (auch ohne Bearbeitung) prominent gemacht hat, zumindest für sein persönliches Spiel. – Wir sprachen ja mehr oder weniger kürzlich hier auch von Hans Zender mit seinem Zugang der komponierten Interpretation.
Die andere Haltung wäre dann eher das Resultat solcher Bearbeitungsmotivationen. Oder je nach Mentalität der bevorzugte Zugang. Also, wenn etwa sog. Volkslieder in sog. Kunstlieder Eingang finden, oder Motive, Melodien, Rhythmen usw. sich in völlig anderen Genres wiederfinden, wofür die Musikgeschichte wohl als Ganze herhalten kann. Bartóks „Mikrokosmos“ zum Beispiel. Oder, weil ich sie gestern gehört habe, die Stücke für zwei Violinen des frühen Allan Pettersson, in denen permanent solche alten Motive auftauchen. Man kann das auch einfach als Ehrbekundigungen sehen, aber wahrscheinlicher finde ich, dass man sich eines vorhandenen Vokabulars und einer Grammatik bedient, erstens weil sie schlicht vorliegen und niemand das Rad neu erfindet. Oder zweitens, weil sie zu einer eigenen Sprache finden lassen.
Ein ganz anderer Fall ist dann noch, wenn Komponisten Werke schaffen, auf deren „Aussagen“ sie immer wieder zurückkommen, auch da fällt mir gerade Pettersson ein mit seinen großartigen „Barfußliedern“, oder eben Mahler, der nicht aufhört, aus frühen Wunderhorn-Liedern zu schöpfen bzw. auf sie zurückzukommen (ich meine nicht nur die expliziten Rückgriffe wie in den ersten vier Symphonien).
Und kurz und insgesamt gesagt, finde ich auch solche Bearbeitungen meist interessant, hängt aber auch davon ab, um was es sich handelt. Bei der CD oben bliebe es für mich vermutlich bei einem Hören der Beatles-Bearbeitungen und Mahlers Fassung für Orchester von Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ lockt mich auch nicht sonderlich.
Na ja, das ist jetzt alles etwas oberflächlich gesagt, wenn man z. B. an die Arbeiten Kurtágs denkt – oder Holligers. Meine musikhistorischen Kenntnisse genügen im Übrigen hinten und vor nicht.
Hier gestern, vielleicht nicht ganz passend zum berühmtesten aller Wiegenfeste:
Daraus das „Requiem“, und vor allem der dritte Satz. Dieses „Dies Irae“ (Sequenz) ist wohl eines der gewaltigsten, das ich kenne – oder das gewaltigste. Ligeti schreibt dazu u. a.: „Im Zentrum des Werkes steht das Dies Irae mit seinen dramatischen, wilden Passagen. Sie beziehen sich auf bildliche Darstellungen des Jüngsten Gerichts, besonders auf Memlings Altarbild in Danzig, aber auch auf die apokalyptischen Gemälde von Pieter Brueghel dem Älteren und auf Hieronymus Bosch – sowie auf Dürers Kupferstiche. Dieser Satz ist exaltiert, hyperdramatisch und zügellos.“
Solche Bezüge zu Gemälden lassen dann noch einmal eine ganz andere, ziemlich schwierige Spurensuche zu …
Weiter Ligeti: „Das Orchester ist mittelgroß, doch sehr kompakt instrumentiert: Deshalb muss der Chor aus mindestens 100 Sängern bestehen. Außerdem gibt es zwei Soli: Sopran und Mezzosopran.“
Und hört man das, hier mit den London Voices, Caroline Stein (Sopran), Margriet van Reisen (Mezzo), den Berliner Philharmonikern und Jonathan Nott (2002), wird das sofort einsichtig: Ein kleiner Chor könnte sich dieser stürmischen, dichten Fülle des Orchesters wohl kaum aussetzen dürfen – oder wollen.
Schöne Tagen allen! Hier hauptsächlich Arbeit, macht mir aber nichts aus.
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