Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy-tail-wind
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Warum gibt es die Tage so viele neue CDs mit interessantem Repertoire, aber immer wieder das gleiche im Konzert? Klar, die Klassiker können immer noch begeistern (ich bin grad an einem Post über sehr feine Konzerte mit Musik von Mozart und Haydn …), aber wo bleibt der ganze Rest, all die Sachen abseits der breitgelatschten Pfade, bei denen ein „neuer Blick“ oder auf die eine „frische Sichtweise“ schon als bahnbrechend verkauft werden? Ist das Konzertpublikum wirklich so träge (ich befürchte ja, aber im hochsubventionierten Betrieb, wo es oft gar nicht primär um Einnahmen aus dem Kartenverkauf geht, wäre dennoch mehr möglich). Anyway … die obige CD ist allein vom Repertoire her schon spannend, scheint aber vom ersten Eindruck her auch von den Interpretationen her sehr gut zu sein. Los geht es mit dem Streichtrio, das Gideon Klein 1944 in Theresenstadt schrieb und wenige Tage vor seinem Tod in Auschwitz mit 26 Jahren vollendete, dann folgen Dohnányis Serenade für Streichtrio Op. 10 (1902), Weinbergs Streichtrio Op. 48 (1950) und zum Schluss das Streichtrio von Jean Cras (1926).

Hier gibt es ein paar Zeilen zur CD:
https://www.br-klassik.de/aktuell/br-klassik-empfiehlt/cd/cd-tipp-trio-goldberg-de-l-ombre-a-la-lumiere-100.html

Den Cras-Faden spinne ich nachher mit dieser schon 2018 erschienenen, aber gerade erst gekauften CD fort:

Cras (1879-1932) machte Karriere bei der französischen Marine und starb als Konteradmiral und Generalmajor des Hafens von Brest. Er komponierte zudem Musik in verschiedenen Genres, brachte es sogar zu einer Aufführung in der Opéra-Comique mit seinem Stück „Polyphème“. Henri Duparc nannte ihn „le fils de mon âme“, seine Zeitgenossen, besonders Ravel, schätzten ihn. Da scheint also noch ein verschüttet gegangener Komponist zu entdecken sein. Timpani hat ihm einige CDs gewidmet, die obige erschien aber im Herbst 2018 bei Skarbo und präsentiert das Klavierquintett (1922 veröffentlicht) sowie das Streichquartett „A ma Bretagne“ (1909), gespielt vom Quatuor Sine Qua Non und Jean-Pierre Ferey am Klavier.

Den weniger erfreulichen Terezín-Faden spinne ich dann wohl noch mit der Supraphon-Neuheit oben weiter, die mit dem dritten Streichquartett von Viktor Ullmann (1898-1944) aus dem Jahr 1943 öffnet. Ullmann war neben Klein der massgebliche Musiker im perversen Nazi-Theater in Theresienstadt. Die CD enthält zudem Krásas Thema und Variationen für Streichquartett (1935/36), Schulhoffs Fünf Stücke für Streichquartett (1923) und schliesst dann mit dem zweiten Streichquartett von Pavel Haas, Op. 7 „From the Monkey Mountains“, wie der Untertitel in Englisch lautet (1925). Der feine Vertrieb hat seit kurzem auch Supraphon im Angebot, das ist verheerend für meinen Kontostand.

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