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Stefan Hentz über „Rubberband“:
https://www.nzz.ch/feuilleton/miles-davis-mit-bitches-brew-lancierte-er-den-fusion-jazz-ld.1512342
Ich bin mir nicht sicher, wie sein Kommentar bezüglich der umfassenden Überarbeitung der Bänder zu verstehen ist – seriös geschrieben/argumentiert ist das nur, wenn er die Originalbänder gehört hat, denn ich finde es schlichtweg nicht möglich, aus dem Endprodukt, das sicher kein Wurf ist, aber dennoch ordentlich Spass macht, rauszuhören was (von den neuen Vokalspuren abgesehen) hier neu abgemischt/neu eingespielt/neu zusammengesetzt wurde … von ein paar Wenigen Stücken enthielt die „Warner Years“-Box von Warner Frankreich ein paar frühere (originale?) Versionen – ich hatte das im Hörthread neulich erwähnt (das Cover habe hier nach ganz unten geschoben):
Auf der fünften und letzten CD dieser französischen Box von 2011 gibt es – vermutlich? – originale Mixe von „Maze“, „See I See“ (beide in der Box erstmals veröffentlicht) sowie „Rubber Band“ … „Maze“ kommt schon vom September 1985 und ist damit im Monat vor den Sessions entstanden, die gemäss den Angaben der „Rubberband“-CD für diese Verwendung fanden, „See I See“ und „Rubber Band“ sind dann vom Oktober 1985, letzteres erschien schon 2010 auf „Perfect Way: The Miles Davis Anthology“ (kenne ich nicht). Diese Compilation enthielt auch „Digg That“ von Ende 1987, eine weitere Rarität (das einzige Stück einer Session, wenigstens soweit Peter Losin sie dokumentieren kann). Die einstmals geplante umfangreiche Warner-Box hätte ja noch einige weitere Raritäten enthalten sollen […]
Die neue Scheibe klingt wohl tatsächlich mehr nach heute als diese Mixes hier – aber ob das die ganze Arbeit wert (und überhaupt von der Absicht her sinnvoll) war? In den Liner Notes ist von drei Jahren die Rede … Tapes backen, einzelne Spuren Ton für Ton nachspielen, Zeug neu abmischen, einzelne Songs wohl völlig neu um Miles-Spuren herum basteln, die Overdubs mit den Gastsängerinnen Ledisi, Medina Johnson und Lalah Hathaway erstellen, das ganze Abmischen, bis die Crew – Vince Wilburn Jr./Randy Hall/Attala Zane Giles – zufrieden war usw.
Es fällt mir unter den Umständen schwer, das alles zu beurteilen – den so starken Direktvergleich mit „Bitches Brew“ finde ich aber überhaupt nicht hilfreich. Keins der Post-Comeback-Alben kann so einem Vergleich überhaupt standhalten und ich verstehe ergo die Prämisse von Hentz schon mal nicht, was die Lektüre zum fragwürdigen Vergnügen macht.
Beurteilen kann ich also eigentlich nur das, was ich gekauft habe, in meinem Fall in Form einer CD. Die Liner Notes geben recht ausführlich über die Produktion – die ja Post-Production ist – Auskunft. Die Musik macht Spass, schürft aber nicht besonders tief. Doch im Zentrum steht die immer noch faszinierende Trompete von Miles mit ihrem Strahlen, ihrer Verletzlichkeit. Und diese Stimme ist auch in der üppig-satten Produktion, die tatsächlich eher nach 90ern oder später als nach ihrer Entstehung Mitte der 80er klingt, immer noch einzigartig und bildet auch mühelos das Zentrum der Aufmerksamkeit hier. Zuwenig Miles würde ich also auf keinen Fall sagen … aber gewiss auch kein grosser Wurf.
Mir fiel beim ersten Hören übrigens eine Nähe zu „Doo Wop“ ein – und tatsächlich steht in den Liner Notes, dass eine der Trompetenspuren (von welchem Track weiss ich nicht auswendig) damals für „Doo Wop“ verwendet wurde … auch das eine seltsame Sache, für die „letzten“ Aufnahmen von Miles noch Material zu verwenden, das ein halbes Jahrzehnt und ein halbes Dutzend Alben früher entstand … aber vermutlich gab es da halt wirklich kaum noch was Verwertbares. Dieses Problem scheint es bei „Rubberband“ nicht gegeben zu haben.
Vielleicht erleben wir ja dereinst noch eine Ausgabe mit den Originalbändern und dieser neuen Präsentation, an der das Produktionsteam ja anscheinend ca. drei Jahre gefeilt und geschliffen hat … der Aufwand hat sich kaum gelohnt, es gab wohl keinen Rohdiamanten (und erst recht keine ausufernden, editorisch in den Griff zu kriegenden Jams wie bei „Bitches Brew“), den man zurecht schleifen konnte, sondern einfach relativ lockere Jam über relativ uninteressante Stücke, die ordentlich knackig sind, mit einer Band, die das auch ist und irgendwo zwischen Kommerz und Funk einen Mittelweg ging.
Es bleibt wohl im Fazit dabei, dass Miles‘ Musik der 80er – gerade auch die ordentlich gemachten Live-Aufnahmen (ich denke v.a. an die Montreux-Box) – solitär bleibt, unabhängig davon, ob man sie für seichten Pop oder sublimen Jazz (Jazz-Pop?) hält … aber den vollumfänglichen Wurf im Studio schaffte er nicht mehr: bei „Tutu“ ist die erste Seite grandios, „Amandla“ finde ich als ganzes wohl noch am ehesten aus einem Guss, am besten ist aber wohl „Star Time“, das aber in der ganzen Musizierhaltung eigentlich ziemlich altmodisch ist (MD Plays the blues, sekundiert von John Scofield und natürlich dem geilen Bass von Marcus Miller) … Daran ändert auch „Rubberband“ nichts mehr, aber das hatte wohl auch niemand erwartet.
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