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gipetto
Funk 'n' Punk

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The Mystery Lights – 23.09.2019, Hannover (Lux)

Es war irgendwann im Sommer 2016, als ich wie so oft wieder einmal in „Mikkos Album des Monats“ stöberte und über ein Review stolperte, das das Debütalbum einer mir bis dato völlig unbekannten Band so großartig beschrieb, dass mir nichts anderes übrigblieb, als es mir umgehend per Blindkauf zuzulegen. Und was sich da an erstklassigen US Garagen-Reminiszenzen offenbarte, sollte auch mein absolutes Highlight des Musikjahres 2016 werden. Im Februar 2017 führte die Europatour zum Album die Mystery Lights schließlich nach Berlin-Kreuzberg in den P-Club. Gemeinsam mit meiner Schwester, die seinerzeit noch in Neukölln ansässig war, erlebte ich dort eine fantastische, auf höchstem Level energiegeladene Liveband, die auch für eine tolle Anekdote sorgte, indem sie sich mit „Dennis“ kurzerhand einen Organisten aus dem Publikum auslieh. Im Verlaufe des Abends traf ich auch Mikko erstmals persönlich.

Begeistert von diesem Abend verfolgte ich das Treiben der Band fortan näher und stehe seither nach einem längeren Gespräch auch mit Frontmann Mike Brandon in losem Kontakt. Die Mystery Lights tourten und tourten und verschwanden zwischendurch immer mal wieder im House Of Soul von Daptone Records, bei dessen Ableger Wick sie unter Vertrag stehen, um die zweite LP einzuspielen. Doch die Veröffentlichung ließ auf sich warten, während die Band weiter unentwegt durch Nordamerika und Europa tourte. Mitte 2018 erschien dann mit der Single Thick Skin die erste Vorabveröffentlichungen des Zweitlings und Anfang 2019 folgten noch zwei weitere Tracks. Das Gehörte war gut, aber anders. Der Funke wollte zunächst nicht so richtig überspringen. Hatte die Band ihr Pulver verschossen? Oder waren meine Erwartungen nach dem grandiosen Debüt und knapp drei Jahren des langen Wartens einfach zu hochgesteckt? Too Much Tension! erschien schlussendlich im Mai 2019. Und ja, das Album benötigte in der Tat ein paar Runden, bis es bei mir vollends zündete. Es entfaltet seine Wucht nicht so unmittelbar wie das Debüt, sind Stil und Songwriting doch viel differenzierter und vielschichtiger ausgefallen. Auch der Sound und die Arrangements der Stücke sind detaillierter und gleichzeitig transparenter gestaltet: Dabei stechen zunächst insbesondere die tragendere Rolle von Alex Aminis treibendem Bassspiel und die des Synthie- und Orgeleinsatzes hervor, dessen Spektrum mittlerweile deutlich über den klassischen Farfisa-Sound hinausgeht und hier und da auch ein paar bewusst „trashige“ Soundscapes beinhaltet. Langer Rede kurzer Sinn: Nach kurzer anfänglicher Skepsis haben die Mystery Lights mit Too Much Tension! wieder ein persönliches Highlight des bislang sehr guten Musikjahres 2019 geliefert. Und auch für Mikko wurde Too Much Tension! wieder ein Album des Monats.

Als die Band kurz nach dem Erscheinen des Albums die Daten für die zugehörige UK/Europa-Tour veröffentlichte, war die Freude groß, dass auch Hannover im Tourplan auftauchte und ich folglich keine großen Strecken auf mich nehmen musste. Und so traten ein Kumpel und ich am 23. September den Weg ins Lux an, einer kleinen und sehr atmosphärischen Location, in der ich schon einige gute Konzerte gesehen hatte (zuletzt waren das Rhonda im Januar). Als wir ankamen, war die japanische Vorband DYGL (sprich: Dayglow) schon voll im Gange – letztendlich haben wir aber zu wenig gehört, um noch etwas Stichhaltiges dazu schreiben zu können. Als die Mystery Lights, die sich bereits vor ihrem Auftritt unter das Publikum gemischt hatten, um 21 Uhr die Bühne enterten, war der Club leider nur mäßig gefüllt. Schätzungsweise waren lediglich rd. 100 Besucher erschienen, was der Qualität und Stimmung des Gigs jedoch keinerlei Abbruch tun sollte. Die Band eröffnete ihr Set mit dem Opener des neuen Albums I’m So Tired (Of Living In The City) und setzte damit in puncto Energielevel gleich eine ordentliche Wasserstandsmarke.  Mit Lily Rogers, die Farfisa und Synthesizer bediente, war auch ein neues Gesicht an Bord, das sich nahtlos in den Sound der Gruppe einfügte. Wirklich beeindruckend war das blinde Verständnis der durch hunderte von Konzerten perfekt eingespielten Musiker untereinander. Die Gitarristen und Bandköpfe Mike Brandon und L.A. Solano, die schon seit gemeinsamen Highschool-Tagen zusammen musizieren, spielten sich immer wieder die Bälle zu und verwoben ihre Instrumente zu einer glänzenden Einheit. Dabei war es faszinierend, welche psychedelischen, teilweise gespenstischen Effekte Solano seiner Vox Phantom regelmäßig entlockte (z.B. bei Someone Else Is In Control, Goin‘ Down, What Happens When You Turn The Devil Down). Die erste Hälfte des Sets war vor allem durch Stücke des selbstbetitelten Debüts geprägt, die allesamt sehr originalgetreu wiedergegeben und perfekt ineinander übergeleitet wurden. Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt und spätestens beim punkigen Melt hatte sich das Lux endgültig in ein Piranhabecken verwandelt. Mitten drin regelmäßig Mike Brandon, der seinen immerwährenden Hüpf- und Bewegungsdrang von der für ihn zu kleinen Bühne nicht einschränken ließ und so kurzerhand wieder und wieder ins Publikum sprang und mit dem Hals seiner auf die Brust geschnallten ES-335 durch das Publikum rasierte. Gefährlicher Rock n‘ Roll pur. Doch im weiteren Verlauf kamen auch die ruhigen Momente zum Tragen, und auch die überzeugten voll: Bei Watching The News Gives Me The Blues und It’s Allright ging der Fuß vom Gaspedal, und es wurde live noch mehr als auf Platte ersichtlich, wie sehr Brandon zwischenzeitlich auch als Sänger gereift war und wie viel Konzentration und „Soul“ er insbesondere in diese beiden Stücke legte. Mit Thick Skin folgte dann noch ein Highlight, bei dem es sich der keinen Audienz zum Trotz ein Mädel sogar nicht nehmen ließ, noch ausgiebiges Crowdsurfing zu betreiben. Nach gut 60 Minuten und einem Dead Moon-Cover als Zugabe war dann Schluss. Band und Publikum waren klatschnass und glücklich.

Anschließend waren die Musiker – mit Ausnahme von Drummer Zach Butler, der auf wundersame Weise bereits kurz nach dem Auftritt nur noch eingeschränkt ansprechbar war – noch lange mit den Gästen im Gespräch. Mike Brandon, enthusiastisch und freundlich wie immer, bedankte sich artig für eine „small but absolutely crazy crowd“. Mit Luiz (L.A.) Solano und seinem Bruder Teddy, der sich für den Merch-Stand verantwortlich zeigte, sprachen wir noch lange über das Leben auf Tour und erfuhren, dass die Jungs sehr gerne vor deutschem Publikum spielen und dieses neben dem französischen von ihnen als das dankbarste wahrgenommen wird, auch wenn in anderen Ländern die Hallen oftmals voller seien. Generell sei die Heimat in den USA viel schwerer zu bespielen. Auch die Ochsentour auf der Straße war dabei ein interessantes Thema, denn immerhin spielt die Band in exakt zwei Kalendermonaten satte 49 Shows in Europa und auf der Insel.

Es war ein absolut begeisternder Abend. Und mein Kumpel, für den dieses Konzert den Erstkontakt mit The Mystery Lights bedeutete, war so angetan, dass er sich kurzerhand mit den Vinylpressungen der beiden Studioalben eindeckte. Wenige Tage später musste ich erfahren, dass Mikko den Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Eigentlich wollte ich ihm am Wochenende noch ein paar Eindrücke des Konzertes zukommen lassen. Dazu kam es nicht mehr. Ohne Mikko wäre mir diese wunderbare Band heute mit hoher Wahrscheinlichkeit gänzlich unbekannt. Seine musikalischen Tipps und sein ansteckender Enthusiasmus werden mir fehlen.  Das am beschriebenen Abend erworbene signierte Tourplakat befindet sich zurzeit zwecks Rahmung bei meinem Galleristen und wird in meinem Arbeits- und Musikzimmer einen Ehrenplatz erhalten – auch in Gedenken an Mike Korbik. Mach‘s gut, lieber Mike. Du fehlst…

 

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"Really good music isn't just to be heard, you know. It's almost like a hallucination." (Iggy Pop)