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friedrich
Hmm, ja okay. Nachvollziehbar.Ich finde es nicht blöde, das noch mal aufzugreifen. Auch ich habe dort (im Elvis-Thread) diese Aussage gelobt. War das voreilig und habe ich da nicht alle Abhängigkeiten, Verstrickung und Konsequenzen bedacht? Vielleicht ist deshalb die Diskussion darüber interessant und hilfreich.
Ich habe auch einen Wunsch nach kultureller Authenzität, beobachte aber – nicht nur in der Musik – dass dieser Anspruch eigentlich nicht aufrechtzuerhalten ist. Selbst das, was ich für authentisch halte, ist eigentlich ein wildes Misch-Masch, dessen ursprüngliche Zutaten ich nur nicht kenne. Das ist normal und führt ja oft auch zu aufregenden Reibungen.
Aber klar ist es auch manchmal so, das etwas aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen wird, damit einen Bedeutungswandel erfährt und damit umgekehrt in seinem ursprünglichen Kontext ebenso um- oder sogar entwertet wird. Das ist sogar an der Tagesordnung. In der Werbung wird ständig ein subkulturelles Phänomen als cool verkauft, worauf es natürlich nicht mehr subkulturell und cool ist. Und das ist noch harmlos, wenn man im Vergleich dazu Aneignungen aus der Kultur ethnischer / religiöser / sexueller etc. ff. Minderheiten sieht.
Edit: Diese „cultural appropriation“ findet aber nicht nur von oben nach unten oder von links nach rechts statt, sondern sowohl vertikal als auch horizontal in alle Richtungen. Wobei ich es nicht wage, zu beurteilen, wo denn oben oder unten ist. Und nachvollziehbar ist die Lust an der kulturellen Aneignung sowieso. Denn – das Andere, Exotische, vielleicht sogar Verbotene reizt doch immer am meisten.
Ich bin nicht mal sicher, wie das mit der vermaledeiten „Authentizität“ genau ist (oder ob ich sie suche … irgendwie wohl schon, aber das ist bei mir dann eher so ein Live-Ding: ich will Musik immer wieder im Konzert erleben, dabei sein, wenn sie quasi vor meinen Augen und Ohren erst entsteht, Form annimmt) … aber das Problem ist vielleicht gerade die Haltung in Deinem PS. Es geht doch eben darum, auch mal zu sagen, was davor da war, woher etwas kommt, Kontext herzustellen – was dem „Danach“ auch nicht unbedingt Abbruch tun muss (aber unter Umständen zu einer Neubewertung führen kann). Ich bin ja der letzte, der Elvis Presley schlechtreden will, höre seine Sachen sehr gerne (hab auch gerade die neue Live-Box erstanden), aber die Perspektive, der Versuch, Dinge im Zusammenhang zu verstehen (nicht nur als Vorher/Nachher oder Original/Kopie, versteht sich, sondern eher als Netzwerk mit verschiedensten Arten von Beeinflussungen) gehört für mich halt zum Musikhören fast immer mit dazu. Ist ja auch kein Zufall, dass ich Historiker geworden bin …
Vermutlich störte mich drüben v.a. die Sorglosigkeit – denn gerade die Sorge, der Blues, die Kraft, die aus der Trauer gewonnen und in eine Freude transformiert wird, wie sie anderswo kaum anzutreffen ist, ist doch eins der zentralen Elemente der ganzen, um beim alten Begriff zu bleiben, „race music“, seien es Worksongs, sei es Blues, sei es Jazz, sei es Soul … (und wenn dann eine Whitney Houston eingeworfen wird, eine der Vertreterinnen der harmlosen Whitewash-Musik im afro-amerikanischen Pop, dann finde ich das auch etwas schwierig … kein Wunder hatten die frühen Vertreter von Rap und Hip Hop mehr Gemeinsamkeiten mit der Punk-Szene als mit der Glitzerwelt des Disco – die ja zumindest Anfangs teils auch noch ganz interessant ist für unsereins, der den Funk liebt).
Die Diskussion führt weit und wird nie enden, ich bin da wie gesagt auch von wirklich gefestigten Positionen weit entfernt, aber ich werde noch auf dem Sterbebett Respekt für Minderheiten aller Art einfordern (zumindest hoffe ich das sehr – es gibt ja leider genügend Idioten, die im Alter lieber mit dem Faschismus liebäugeln, auch welche, bei denen man das nie erwartet hätte).
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