Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals › Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals
Rückblick, Frühling 2019
Schon längst wollte ich ein paar Zeilen zu diversen anderen Jazzkonzerten (Klassik folgt drüben im anderen Thread dann auch noch) schreiben, die ich vor dem grossen Sommerloch hörte, das dann mit Middelheim und einem Willisau-Nachmittag (auch dazu folgen ein paar Zeilen) halbwegs gestopft wurde.
—
Taktlos 2019: Schnellertollermeier, Eve Risser Solo, Joshua Abrams & Natural Information Society – Zürich, Kanzlei – 14.3.
Manuel Troller (g), Andi Schnellmann (elb), David Meier (d)
Eve Risser (p)
Joshua Abrams (guimbri), Lisa Alvarado (harmonium), Jason Stein (bcl), Mikel Avery (d)
Am Taktlos-Festival im März war ich dieses Jahr nur einmal, am ersten Abend. Der war zwar sehr okay, aber hatte für mein empfinden einen verkehrten Ablauf (auch wenn das Schluss-Set nur am Schluss stehen konnte). Los ging es ziemlich energiegeladen mit Schnellertollermeier, dem Trio um Manuel Troller, der diese Ausgabe des Festivals kuratierte. Mir kam das ein wenig wie ein Kaltstart vor: 10 Minuten nach den Eröffnungsworten schon auf 100. Aber das Set war dann doch ziemlich gut. Deutlich weniger abgekartet schien mir das Spiel im Vergleich mit dem einen Album, das ich kenne („X“ auf Cuneiform, 2015 ist das erschienen und damit auch eine ganze Weile her).
Es folgte ein Solo-Set von Eve Risser, die bei mir einen phantastischen Start hatte und seither im Vergleich oft Mühe hat, daran anzuknüpfen. Auch dieses Solo-Set war teils etwas zäh. Manchmal kommt es mir bei ihr gerade im freien Rahmen ein wenig vor, als hätte sie Angst davor, etwas wirklich zu tun, zu spielen, und dann wird zu vieles zurückgehalten, nur in halber Kraft angegangen. Dieses Zurücknehmen kann natürlich auch Möglichkeiten öffnen, doch die müssten dann eben auch gepackt werden … am Ende doch ein schönes Set, aber auch ein sehr ruhiges, in dem es zwar mal einen Groove gab (bei dem sie wohl irgendwas elektrisch Angetriebenes/Vibrierendes auf die Saiten des offenen Klaviers legte, ich konnte leider nichts erkennen).
Den Abschluss machte dann ein Set von der Feelgood-Band von Josh Abrams – leider nicht mein Fall. Eine Stunde lang mit einem recht öden Rumpelgroove, etwas Harmonium dazu, hie und da ein paar Töne der Bassklarinette … nur leider wurde mit dem Groove überhaupt nicht gemacht, das plätscherte und plätscherte – doch vermutlich stand ich auf dem Schlauch, denn dem Publikum gefiel das Set wahnsinnig gut.
In Sternen:
Schnellertollermeier * * * *
Eve Risser Solo * * *1/2
Joshua Abrams & Natural Information Society * * *
Den zweiten geplanten Taktlos-Abend (16.3.: Mette Rasmussen/Sofia Jernberg, Camille Emaille/Hans Koch/dieb13, Manuel Troller Solo, Oren Ambarchi/Will Guthrie) liess ich dann aus, aber am Abend drauf bzw. dazwischen war ich in der WIM, zum bisher letzten Mal, da muss ich unbedingt wieder etwas öfter hin!
—
Chris Jeger/General Arka & Gianni Gebbia/Luca Lo Bianco/Marco Käppeli, Zürich, WIM – 15.3.
Chris Jeger (perc, voc), General Arka (voc, cl)
Gianni Gebbia (as), Luca Lo Bianco (b), Marco Käppeli (d)
Das erste Set war eher eine Performance als ein Konzert, ziemlich super fand ich, mit einer Hommage an Allen Ginsberg und viel mehr … aber da ist die Erinnerung im Detail schon ziemlich verblichen, nach all den Monaten.
Im zweiten Set war Gebbia, den ich als experimentellen, offenen Geist im Kopf (und vor vielen Jahren in einem entsprechenden Trio auch schon in der WIM gehört) hatte, eine Überraschung, denn schon sein Auftreten signalisierte sowas wie: Jazz! Old School! Elegant gekleidet, stellte sich hin, ein paar Blicke zu den anderen und los ging’s … teils überraschend konventionell, aber wenigstens solide, und in manchen Momenten dann doch auch wieder freier. Marco Käppeli (neben den zwei Italienern war er natürlich Marco Capelli) ist, das muss auch mal in aller Deutlichkeit gesagt werden, ziemlich sicher einer der feinsten Jazzdrummer der Schweiz – bloss wissen das leider viel zu wenige.
Dem Abend gebe ich als ganzes, aber auch den beiden Sets einzeln: * * *1/2
—
Jazzbaragge Wednesday Jam (feat. Peter Madsen) – Zürich, Moods – 27.3.
Peter Madsen (p), Herbie Kopf (elb), Andi Wettstein (d) + Gäste
Ein Freund, der gerne mal zu Konzerten mitkommt, hatte schon mehrmals gefragt, ob wir nicht einmal an die regelmässige Jamsession gehen sollen, die von der Zürcher Hochschule der Künste veranstaltet wird, inzwischen im Moods, dem ersten Haus am Platz, wenn es um Jazz geht. Der Raum wird für den Anlass aber markant verkleinert, es war am Ende rappelvoll. Überreden lassen hatte ich mich, weil Peter Madsen im März mehrmals die Jam-Band leitete, der Pianist, den wir beide von Aufnahmen mit Thomas Chapin kennen und schätzen lernten. Er spielte ein Set im Trio, bei dem vornehmlich eigene Stücke zu hören waren, von denen er wie er erzählte mehrere Hundert geschrieben hat – was seine Art ist, Dinge zu verarbeiten, auch Alltägliches Kleinklein, sonst kommt man nicht so rasch auf vier- oder fünfhundert Stücke, zumal der Herr ja noch kein Greis ist … das Set war recht gut, auch wenn Madsen ein kleines Klavier bearbeitete, das jetzt nicht wahnsinnig gut klang. Dann tauchten die ersten Studenten auf, zwei Tenorsaxer spielten „Blue Bossa“, ein Gitarrist stiess dazu und Madsen machte auch Platz für einen Pianisten … das waren dann halt wirklich Studenten von der Jazzschule und wir begannen uns bald ein wenig zu langweilen und machten uns dann aus dem Staub. Feine Sache, dass sowas angeboten wird, klar, aber es ist ja letzlich auch Teil des grossen Bildungsinzests, also von denen organisiert, die an denen verdienen, die teilnehmen, und letztere sollten sich bloss nicht der Illusion hingeben, da mit irgendwelchen Wassern gewaschen zu werden, ganz im Gegenteil, da ist nur Watte, und das ist dann halt doch etwas schade und wenig förderlich.
Dem Madsen-Set gebe ich aber locker * * *1/2
—
Pierre Favre/Samuel Blaser – Zürich, Theater Stok – 28.3.
Samuel Blaser (tb), Pierre Favre (d)
Ende März, in derselben Woche, fand auch das jährliche Pierre Favre-Festival im Theater Stok statt. Leider schaffte ich dieses mal nur einen einzigen Abend (an fast allen anderen Abenden der Woche hatte ich anderes vor, auch einmal mehr Favre und ein Abend in der WIM waren geplant, doch das liess ich beides aus, einen Liederabend, Herbie Nichols auf StoneFM und ein Orgelkonzert gab es in der Woche dann aber doch noch).
Samuel Blaser war schon beim letzten mal im Stok dabei, er ist zwar nur etwa halb so alt wie Favre, stammt aber aus derselben Gegend (lebt allerdings in Berlin). Die beiden spielen sehr gerne zusammen und haben dabei auch grossen Spass, das merkt man unschwer. Es gab etwas Ellington, ein paar andere Dinge aus dem Real Book … wunderbar, auch weil Favre mit damals 81 (inzwischen 82) Jahren immer noch hellwach ist und ihm der Schalk in den Augen steht. So wirkte selbst „Mood Indigo“ noch völlig frisch, das es Blaser obendrein erlaubte, seine Multiphonics zu demonstrieren.
In Sternen: * * *1/2
—
Pierre Favre/Samuel Blaser – Zürich, Lebewohlfabrik – 2.4.
Samuel Blaser (tb), Pierre Favre (d)
Derselbe Freund, der schon bei Madsen und dem ersten Favre/Blaser-Konzert dabei war, kam auch noch zweimal mit zu den wöchentlichen Feierabendkonzerten (ca. 18 bis 20 Uhr), die Favre im April in der Lebewohlfabrik gab, einem kleinen Raum ganz in der Nähe von da, wo ich wohne, und wo ich beschämenderweise noch nie war, obwohl dort immer wieder schöne Konzerte zu hören sind.
Favre/Blaser waren bei diesem zweiten Mal wohl noch eine Spur besser, aber noch schöner war das Konzert eine Woche später – wo wir das Duo nachholten, das eigentlich im Theater Stok auch noch geplant gewesen war.
In Sternen: * * * *
—
Pierre Favre/Philipp Schaufelberger – Zürich, Lebewohlfabrik – 9.4.
Philipp Schaufelberger (g), Pierre Favre (d)
Hier nun kam Favres Spielfreude noch einmal auf ganz andere Weise zum Vorschein. Das Duo harmoniert ebenso prächtig wie das mit Blaser, obwohl Schaufelbergers Spiel viel spröder ist, oft minimalistisch, fast schon karg auch in der Tongestaltung. Doch erzeugte das Duo rasch die Illusion, eine ganze Band zu sein. Favre nutzte die Bass-Trommel wie einst Gene Krupa, Schaufelberger begleitete sich selbst, so gab es Beats und Bass und Akkorde und Melodien – alles da, nur von diesen zwei äusserst kreativen Köpfen. Die Setlist war fast etwas klischiert, es gab Monk („Blue Monk“ und ich glaube „Rhythm-a-Ning“), Mingus („Boogie Stop Shuffle“), Tadd Dameron („Hot House“), auch hier fehlte Ellington nicht („In a Mellow Tone“), obendrein gab es weitere richtig alte Sachen, die fast am besten kamen: ein stompendes „Dinah“, „Gee Baby Ain’t I Good to You“ oder „St. James Infirmary“. Ganz wunderbar, dieses Duo! Eine Art Big Band im Taschenformat, über die gesamte Jazzgeschichte mit begeisternder Souveränität verfügend.
Zu den Favre-Fotos: die zwei ersten kommen vom Stok-Auftritt mit Blaser, das dritte aus der Lebewohlfabrik mit Schaufelberger.
In Sternen: * * * *1/2
—
Carla Bley Trio – Zürich, Moods – 27.5.
Andy Sheppard (ss, ts), Carla Bley (p), Steve Swallow (elb)
Die Worte oben mögen genügen, ich hole sie nochmal hervor und reiche noch zwei Bilder nach:
Der Abend in Zürich war sehr fein, das erste Set von Bleys Seite eher zurückhaltend, so richtig soliert hat sie nicht, es gab ein paar neue Suiten, die auf die CD kommen, die wohl gerade in Lugano für ECM eingespielt wird. Ein paar Klavier-Girlanden bot sie gegen Ende des Sets, aber der Groove und der Witz der Musik waren da, auch wenn hie und da alles ins Dekorative zu kippen drohte. Das zweite Set hatte dann mehr Biss, Bley war präsenter, jetzt auch als Solistin und nicht nur als Organisatorin und Navigatorin. Wobei es wohl deutlicher als beim Konzert vor ein paar Jahren – ich hörte das Trio zum zweiten Mal – wurde, dass Swallow der eigentliche Kern, das Rückgrat, der Beat des Trios ist. Sein lakonisches Spiel, mit diesem Ton, wie man ihn nur von ihm kennt, der unverwechselbare Groove, der auch gerne mal ein wenig hinter dem Beat herhängen darf … einmal mehr phantastisch zu hören! Was mir – aufgrund etwas heftiger Verstärkung, leider, aber die Clubs müssen ja heutzutage das digitale Streaming-Publikum bedienen, was ein Elend – etwas fehlte war die Dynamik, die ich vom letzten Konzert her als sehr breit erinnere – ich war damals geradezu überrascht, wie intensiv dieses Kammerjazztrio werden konnte.
Krass aber, wie hager Bley inzwischen geworden ist. Ob das auch mit der Krankheit, die zur Verschiebung der Tour führte, zu tun hat? Jedenfalls wirkte sie fast gespenstisch, wie jemand, der aus einer anderen Welt nochmal rasch vorbeischaut. Doch in der Musik bestätigte sich dieser Eindruck ja zum Glück überhaupt nicht…
—
Das war es leider auch schon … der Jazzfrühling liess etwas zu wünschen übrig in diesem Jahr. Zwei geplante Feierabendkonzerte von Bruno Spörri in der Lebewohlfabrik schaffte ich nicht, weil ich zu lange im Büro hängen blieb. Doch Anfang Juni im Urlaub in Parma ging ich noch ein Jazzkonzert, das ich in Zürich wohl auch nicht besucht hätte … was kein grosser Fehlentscheid gewesen wäre, aber im Urlaub ist das auch was anderes.
—
Nils Petter Molvaer – Parma, Casa della Musica – 5.6. (Kurzbericht)
Nils Petter Molvær (t), Johan Lindström (g), Jo Berger Myhre (elb, pedal steel, elec), Erland Dahlen (d)
Ich war da wie gesagt etwas skeptisch … doch als ich am Nachmittag den Teil des Museum der Casa della Musica besuchte, der in diesem Gebäude zu finden ist (das Museo dell’Opera) und den Innenhof sah, in dem das Konzert dann stattfinden sollte, dachte ich schon, dass das ziemlich toll werden dürfte. Der Sound der Band war ziemlich kompakt. Ich habe Molvaer seit seinem ECM-Durchbruch ca. 1997/98 nicht mehr verfolgt – war recht kompakt, der Bassist machte sich manchmal auch an einem Pedal Steel (auch auf dem Foto sitzt er dahinter) oder sonstigen Gerätschaften zugange, alle hatten irgendwelche Pedalen und sonstige Elektronik dabei, Molvaer setzte auch mal seine Stimme ein. Das alles fügte sich zu einem sehr stimmungsvollen, oft ziemlich groovenden Ganzen zusammen, das Ambiente trug das seinige bei (und einen Happen zwischen die Zähne gab es davor auch noch).
Das Konzert fand im Rahmen des Festivals „Crossroads – Jazz e altro in Emilia“ statt, das über mehrere Wochen an diversen Orten über die Bühne ging.
In Sternen gebe ich (eher zurückhaltend): * * *1/2
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba