Antwort auf: Jazz: Fragen und Empfehlungen

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gypsy-tail-wind
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Ich finde auch nicht jede Verpackungsweise mit Bonustracks super … die alten OJCCDs der Bill Evans Live-Aufnahmen aus dem Village Vanguard 1961 z.B. packten die Alternates jeweils direkt vor (oder nach?) die Masters. Das ist total ermüdend, entsprechend finde ich das spätere 3-CD-Set in der ursprünglichen Set-Reihenfolge. Das ist denn heute die Form, in der ich die Aufnahmen höre, nicht die damals zusammengestellten Alben … gerade bei Live-Aufnahmen finde ich es in der Regel interessanter, zu hören, wie sich Sets entfalten (auch wenn diese vielleicht, im Wissen um die Aufnahme, anders als üblich zusammengestellt wurden bzw. weniger Stücke gespielt wurden als üblich, damit man genügend Takes zu Auswahl hatte).

Das Set, von dem ich rede, ist dieses hier und natürlich höchst empfehlenswert:

Bei Studio-Alben finde ich in der Regel Bonustracks am Ende die befriedigenste Lösung und sehe auch die Urangst nicht ein, die manche Hörer dann noch zu haben scheinen (sie können ja abschalten, bevor die Bonustracks beginnen) … abgesehen davon finde ich, solche Fälle sollen sich die Originalscheiben holen und am besten noch einen Raum so einrichten, dass es auch passt ;-)

Im Fall von Coltranes Atlantic-Sessions, weil die Diskussion über Alternate Takes und Album- vs. Sessionreihenfolge sich ja daraus ergab, finde ich halt, dass die drei Tage im Oktober 1060, aus denen die LPs „My Favorite Things“, „Coltrane Plays the Blues“ und „Coltrane’s Sound“ zusammengestellt wurden (danach blieb immer noch Material übrig) eine kreative Explosion von einer Art darstellen, wie sie höchst selten ist – entsprechend finde ich es gerade da auch total faszinierend, das gesamte Material in etwa in seiner Entstehungsreihenfolge zu hören, wohingegen die LP-Zusammenstellungen mir fast ein wenig zufällig vorkommen (ausser bei „Plays the Blues“ natürlich … aber warum z.B. wurde „Naima“ von der zweiten grossen Atlantic-Session mit dem Grossteil der ersten auf „Giant Steps“ gepackt? Und warum landeten dann zwei Oktober 1960-Stücke (beides übrigens Blues) auf dem Album dieser zweiten Session/Scheibe, „Coltrane Jazz“? Und warum wurde DER Take vom wundbaren „Blues to Elvin“ für die LP gewählt und nicht einer der ebenso tollen anderen? In manchen Fällen ist das klar (einer setzt beim Solo einen Takt zu spät ein oder einer verhaut im Thema eine Phrase oder was weiss ich … aber wie hoch da die Hemmschwelle war, war auch wieder von Label zu Label anders).

Ich bin generell ja auch ein Albumhörer (d.h. ich komme abends heim und wähle eine CD, die ich dann in aller Regel komplett anhöre… und in aller Regel handelt es sich dabei um ein Album oder eine – allenfalls erweiterte – Neuauflage eines Albums, oder um die Session, aus der ein Album wurde, das hier aber nicht in Albumreihenfolge sondern halt in der Sessionreihenfolge erklingt), aber ich glaube doch, dass manchmal eine gewisse Entzauberung ganz gut tun würde (und dass auch in manchen Kreisen etwas viel Hype um Produzenten gemacht wird, was Spezialfälle wie Teo Macero/Miles Davis oder auch Alfred Lion bei Blue Note eher umso bedeutender macht … Bob Weinstock hat halt gewartet, bis genug Musik im Kasten war, dann allen ihren Schuss gezahlt und sich mit den Bändern aus dem Staub gemacht, bei Atlantic hatte man vielleicht ein klareres Konzept, was für eine LP jeweils benötigt bzw. gewollt wurde, aber das Album-Erstellen scheint mir oft einfach eine Auswahl dessen zu sein, was die Musiker im Studio halt an dem Tag so gespielt haben … und vielleicht hat Weinstock dann halt mal gesagt: gut, jetzt brauchen wir aber noch eine Ballade – und klar, manchmal wurde gerade aus dem Produzentenwunsch vielleicht die erfolgreichste Nummer der Session, aber ist das das Verdienst des Produzenten?)

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