Antwort auf: Mikkos LP Faves

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mikko
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The Legendary Golden Vampires – World’s Greatest Sinner (LP, Exile Records, 1990)

Besetzung:

Olaf Kraemer – vocals
Justice Hahn – guitars
Thomas Fricke – guitars
Oliver Huzly – guitars
Sven Kuester – drums
Lou – bass

Trackliste:

A1 Luke The Drifter
A2 Dancing Bottle
A3 I’ve Been Down So Long
A4 Waitin‘ Round To Die
A5 Her Brother The Jukebox
B1 Wasted Years
B2 Last Of A Dying Breed
B3 Lonesome Town
B4 On Your Own Again
B5 King Minus

Die Berliner Band The Legendary Golden Vampires gehört zu den ersten Bands in Deutschland, die sich bewusst auf den US Garage Rock der 1960er Jahre bezogen und mit ihrer eigenen Musik bemüht waren, weitestgehend Vergessenes und Verkanntes wieder aufleben zu lassen. Das klang am Anfang im Jahr 1982 noch recht krude. Die Band nannte sich zunächst Die Goldenen Vampire, und ihre erste Veröffentlichung „Hinter der grünen Tür“ ist eine 6-Track 12“ EP (oder ein mini-Album, wie man das damals nannte). Diese Platte erschien 1982 auf Zensor. Gesungen wurde auf Deutsch. Musikalisch war jedoch schon erkennbar, wohin die Reise gehen sollte. Nämlich zurück zu den Wurzeln des Rock’n’Roll und des Rhythm & Blues und zu eher abseitigen, ja mitunter gefährlichen Pfaden dessen, was man heute gerne Americana nennt. Zur Besetzung der Band gehörten damals Johann Lampe am Schlagzeug, Kristof Hahn und Oliver Huzly an den Gitarren und Olaf Krämer am Mikrofon. Einen Bass gab es nicht im Line-Up. Die ersten Live Auftritte der Band fanden in den üblichen Berliner Clubs statt, meist in eher düsterer Atmosphäre. Nach einer Sixties Garage Band klang das eigentlich nicht. Vielleicht ein bisschen wie Nick Cave. Was vermutlich eine gewisse Unsicherheit war, wirkte auf den Zuschauer arrogant. Besonders bei Frontmann und Sänger Olaf Krämer. 1985 erschienen dann in kurzer Folge zwei Singles auf Exile Records in Berlin unter dem neuen Namen The Legendary Golden Vampires, den die Band bei Konzerten nun schon länger benutzte. Inzwischen wurde Englisch gesungen, Man coverte auf den B-Seiten Klassiker wie „Train Kept A-Rollin‘“ oder obskure Garage Songs wie „Rebel Woman“. Der Sound war nun deutlicher von den zahlreichen US Sixties Garage Samplern inspiriert. Die Besetzung war im Prinzip noch dieselbe, allerdings gab man sich nun Genre affine Künstlernamen. Eine Organistin vervollständigte das Line-Up. Ein Bass fehlte noch immer. Es folgte eine 10“ EP auf Exile im Jahr 1986, die den Sound noch etwas verfeinerte aber im Prinzip die Linie weiter verfolgte, die Bands wie The Cramps oder Tav Falco’s Panther Burns vorgaben. 1986 sind nur noch Huzly und Krämer von der Originalbesetzung übrig. Dafür gibt es nun eine kompetente Rhythmusgruppe aus Bass und Schlagzeug und einen neuen Lead Gitarristen. Krämer singt inzwischen selbstbewusster und hat seinen Stil gefunden. Diese EP muss sich hinter keinen internationalen Vorbildern verstecken. Wer Sixties Garage Punk pur will, wird die Singles vorziehen.

Sprung ins Jahr 1990. Die Band hat Internationale Tourneen hinter sich. Die Besetzung ist fast identisch mit der von 1986, allerdings ist Kristof „Justice“ Hahn wieder dabei an der Lead Gitarre. Oliver Huzly ist nun vor allem für die Produktion und für Songwriting verantwortlich, wie übrigens auch schon bei der 10“ EP vier Jahre zuvor. Zwölf Songs werden aufgenommen im Winter 1989/90 in Berlin, meistens nachts bis in den frühen grauen Morgen. Zwei der Tracks sollen als Hommage an Elvis Presley nur als 7“ Single vorab erscheinen, „Heartbreak Hotel“ /bw „Flaming Star“. Die restlichen zehn Tracks werden zu gleichen Teilen auf zwei LP Seiten verteilt und sollen 1990 unter dem Titel „World’s Greatest Sinner“ auf Exile veröffentlicht werden. Von beiden Platten gibt es jeweils um die 50 Testpressungen. Zur offiziellen Veröffentlichung kommt es dann jedoch nicht. Die Band ist in Auflösung begriffen und steht für Live Auftritte nicht zur Verfügung, geschweige denn für eine geplante Tournee. Der VÖ Termin wird zunächst auf 1991 geschoben, dann auf 1992. Schließlich zieht Label Boss Wolfgang Doebeling endgültig die Notbremse und stoppt alle weiteren Vorbereitungen. Ein offizielles Cover der LP (und der Single) gibt es nicht. Entwürfe verschwinden im Archiv. Die Testpressungen werden an die beteiligten Musiker verteilt. Einige wenige gehen wohl auch schon an Journalisten. Ein Teil bleibt im Archiv des Labels. Inzwischen sind LP und Single so etwas wie der Heilige Gral für Exile Records Afficionados.

Das Album wird eröffnet von „Luke The Drifter“, einem Song den die Vampires nach eigener Aussage auf einem Album von Lenny Kaye fanden und zumindest musikalisch neu bearbeiteten. Das Album ist „I’ve Got A Right“ von Lenny Kaye Connection und erschien 1984. Und Luke The Drifter ist natürlich Hank Williams. Im Jahr nach seinem Tod 1953 erschien ein Album mit Songs und Geschichten, die Williams als Luke The Drifter geschrieben und aufgenommen hatte. Entsprechend erinnert der Track der Vampires durchaus auch an Hank Williams. Countryfizierter Garage Rock, falls es sowas gibt. Weiter geht es mit „Dancing Bottle“, einem Song über die Gefahren des Trinkens und über korrektes Benehmen in schrägen Situationen. Musikalisch erinnert das an Rockabilly Balladen, an Shanties sogar und an „Heartbreak Hotel“ in einer wiederholten Referenz im Text. „I’ve Been Down So Long“ strahlt nicht gerade vor überbordender Lebensfreude, doch die Musik zu dem etwas missmutigen und letztlich eher trotzigen Text wirkt dann doch erfreulich positiv und sogar locker mit Slide Gitarren, Banjo und kleinen Breaks und Rhythmuswechseln. Mit „Waitin‘ Round To Die“ folgt einer der bekanntesten Songs von Townes Van Zandt und zugleich sein erster ernsthafter überhaupt. Die Version, die uns die Vampires hier bieten, ist ziemlich kurz und recht freundlich arrangiert und vorgetragen. Die erste LP Seite wird beschlossen von „Her Brother The Jukebox“. Eine fast poppige Uptempo Nummer, mit flottem Rhythmus, eingängiger Melodie und abwechslungsreichen Twang Gitarren Sounds. Sehr schön. Seite 2 beginnt mit „Wasted Years“, einem textlich eher depressiven Song, der durch das musikalische Arrangement mit Dur-Akkorden und glockenhellen Gitarrenklängen viel positiver wirkt, als er ist. Auch eine Art seine negativen Erfahrungen und Gefühle zu verarbeiten. Bei der Melodie musste ich einen Moment an David Bowie und „Golden Years“ denken – schräg. „Last Of A Dying Breed“ folgt dann als „just another gunfighter ballad”, wie es in den Liner Notes zur LP heisst. Tatsächlich eine schöne Country Garage Rock – ich sträube mich, „Ballade“ zu schreiben – eine feine Aufnahme mit zweifachem Tempowechsel und freundlicher Anmutung. Vielleicht ja doch eher sarkastisch. „Lonesome Town“, im Original von Ricky Nelson, ist dann aber wirklich eine melancholische Ballade, die den existenziellen Liebeskummer der ganzen Welt von der „Lonely Street“ über die „Desolation Row“ bis ins „Blue Hotel“ besingt. Musikalisch kongenial umgesetzt mit klagenden Gitarren und einem sehr verhaltenen Rhythmus Backing, das sich nur zur Mitte des Tracks hin mal kurz aufbäumt. Auch „On Your Own Again“ besingt die Erinnerungen nach der Trennung von der Geliebten und redet sich ein, dass es so nun viel besser ist. Musikalisch flotte Country Rockabilly Klänge. Kurz und prägnant. Feine Gitarren. Der letzte Track des Albums ist „King Minus“, eine Art „King Midas In Reverse“ revisited. Ein bisschen griechische Mythologie zum Schluss also. Eine countryeske Folk Ballade mit rockigem Touch. Sehr einfallsreich arrangiert mit akustischen und elektrischen Gitarren. Slide und Strumming, und immer wieder wechselnder Rhythmus. Der vielleicht ambitionierteste, auf jeden Fall schönste Track des Albums. ****

Mit dieser LP nehmen The Legendary Golden Vampires einiges vorweg, was dann ein paar Jahre später von Max Decharnés Flaming Stars in London zur Vollendung gebracht wird. Obwohl letztlich ein direkter Vergleich beider Bands auch nicht wirklich passt. Schade, dass „World’s Greatest Sinner“ nie offiziell veröffentlicht wurde. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

zuletzt geändert von mikko

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