Antwort auf: ROLLING STONE im Februar 2019

#10701585  | PERMALINK

wahr

Registriert seit: 18.04.2004

Beiträge: 15,224

pfingstluemmel

bullschuetz

choosefruit Gerade auch Dylans Live-Aufnahmen sind essentiell, um sein musikalisches Verständnis einen winzigen Hauch besser nachvollziehen zu können.

Selbstverständlich. Zu schweigen von James Brown, Miles Davis und tausend anderen. Ich staune, dass man da anderer Meinung sein kann, und hadere mit mir selber, ob ich mich auf eine Kontroverse über solche Selbstverständlichkeiten überhaupt einlassen sollte.

Solltest du nicht, denn die meisten der Diskutanten werden diesen Live-Darbietungen nicht beigewohnt haben und müssen das wiederkäuen, was Zeitzeugen berichten. Um sich über einen Künstler auszutauschen, trifft man sich besser auf dem Gebiet der Studioaufnahmen, die traditionell im stillen Kämmerlein und für sich angehört werden. So spricht man vielleicht von Äpfeln und Birnen, schnipselt letztendlich aber einen Obstsalat zusammen, während die „essentiellen“ Live-Aufnahmen eher wie Erdbeeraroma für Industriejoghurt wirken: Man kann sich vorstellen, sie hätten etwas mit Frucht oder Obst zu tun, der Abklatsch muss aber gar nicht erst aus der ursprünglichen Frucht gewonnen werden. Geisterhafter Schemenbrei, durch viele Köche verdorben.

Es geht doch bei Live-Aufnahmen nicht unbedingt darum, eins zu eins das Live-Erlebnis zu konservieren, sondern in Bezug auf Plattenaufnahmen kann es eben eine weitere Technik sein, mit der Musik umgesetzt wird. Es gibt dabei sowohl Liveaufnahmen im Studio als auch auf der Bühne. Mit Publikum oder ohne. Oder eben reine Studioaufnahmen, die sich dann auch wieder in zig Aufnahmemöglichkeiten auffächern. Am Ende zählt das Ergebnis auf dem Trägermedium, ganz egal, was ein Konzertbesucher beispielsweise sonst noch an Eindrücken während der Darbietung gesammelt hat. Insofern ist es immer eine Frage dessen, was für eine Qualität am Ende rauskommt. Ob Liveaufnahme oder nicht, ist daher am Ende nur eine Frage der Technik. Was mich und vielleicht auch andere irritiert ist die Ausschließlichkeit, mit der du argumentierst. Es wird viele Liveaufnahmen auf Trägermedien geben, von denen du gar nicht weißt, ob sie es überhaupt sind. Peter Hammill hat mal eine Live-LP eingespielt, wo kein Ton des Konzertpublikums zu hören ist. Die Band alleine sollte zählen. Wird Musik auf ein Trägermedium übertragen, findet immer eine Transformation statt, auch bei der Wahrnehmung. Nie wird der Entstehungszusamenhang zur Gänze erfasst werden können. Weder wenn die Ausgangsquelle eine Liveeinspielung ist noch eine vielspurige Studioaufnahme. Ein Trägermedium ist ein vollkommen eigenständiges Kunstwerk, egal aus welcher Quelle es gespeist worden ist. Mal ist eine Liveeinspielung die bessere Wahl, mal ist es Studiogefrickel. Mal eine Mischung. Es ist eine künstlerische Entscheidung. Ölmalerei ist auch nicht besser als Videokunst. Es sind zwei Werkzeuge, Kunst zu machen.

zuletzt geändert von wahr