Re: The Rolling Stones – 8.8.03 in Hannover

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Anonym
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50 000 Fans haben am Freitagabend die Rolling Stones in der Open-Air-Arena gefeiert. 50 000, die der Hitze trotzten, die umstrittene Vorband „Böhse Onkelz“ ertrugen und dann immer noch genug Energie hatten für Mick und seine Mannen.

Alles ist groß hier. Das Gelände, die Masse, die Bühne. Klar, hier spielt schließlich nicht eine große Rockband, sondern die größte. Aller Zeiten natürlich, so viel Ewigkeitsvokabular muss sein. Irgendwo am Fuße dieser Monsterbühne werden die Leibhaftigen gleich auftauchen. Musik! „Brown Sugar“, gleich ein Hit. Was auch sonst? Sie sind da, ein schlurfender Keith Richards, ein grinsender Ron Wood und ein ausdrucksloser Charlie Watts. Und da ist Jagger. Er hüpft. Er rennt. Er singt. „It’s only Rock ’n’ Roll, but I like it“, „Angie“, „You can’t always get, what you want“. Die Masse tanzt und singt. Dieser Jagger! Dass er mit seiner Show Jung und Alt begeistere, werden die Zeitungen wohl wieder schreiben. Dabei stehen die Teenager, die auf die Stones abfahren, auf dem Schulhof allein in der Raucherecke. Und das ist auch gut so, gut für den Rock ’n’ Roll, der sich Gott sei Dank weiter entwickelt hat und immer noch im Stande ist, Jugend zu verkörpern und auch in der Raucherecke Mehrheiten zu finden.

Die Rolling Stones haben ihren Beitrag geleistet, aber das ist lange her. Dafür sollte man sie feiern, und deshalb gehen sie immer noch auf Tournee, was mehr Spaß macht als nur die alten Platten zu hören. Die Stones sind ihre eigene Wanderausstellung. In Hannover ist diese Ausstellung zwei Stunden lang geöffnet, der Eintrittspreis ist satt, ohne Ermäßigungen für Schulklassen. Der Führer ist selbst Teil der Ausstellung, er ist 60 Jahre alt, trägt enge Hosen, ein blaues Glitzerhemd, trägt etwas dick auf und auswendig vor, auch das obligatorische „Hallo Hannover“ und „Ihr seid Spitze!“.

Er kennt jede Ecke dieses Zurschausteller-Betriebes, er hat hier gelernt, damals, Anfang der Sechziger, als ein recht talentierter Gitarrist namens Keith Richards in England einen jungen Mann zum Mitreißen suchte. Jagger riss mit, von Beginn an, und wenn man ihn da vorn so anschaut, bekommt man eine Ahnung davon, was den jungen Frauen vor der Bühne seinerzeit die Schamesröte ins Gesicht getrieben hat. Die Falten haben den Elan nicht besiegt, Arme und Beine kommen nicht zur Ruhe, und den Sex gibt er auch nicht kampflos preis.

Man darf nichts anfassen in dieser Ausstellung, aber man darf mitmachen. Das Publikum ist fachkundig und kennt mehr als nur die Eckdaten dieses zeitgeschichtlichen Phänomens. In vierzig Jahren hat sich so viel Ausstellungsmaterial angesammelt, dass es vermessen wäre, alle Objekte präsentieren zu wollen. Also suchen sich die Kuratoren bei jeder Reise die anschaulichsten aus jeder Dekade heraus. Zum Beispiel „Don’t stop“ oder „Midnight Rambler“, „Tumbling Dice“ oder Richards’ „Slippin away“. Oder „Satisfaction“, ein epochales Werk aus dem Jahr 1965, das Jagger wie so viele Exponate recht agil, gestenreich und sehr detailliert erklärt. Oder „Sympathy for the devil“, untermalt mit Höllenfeuern auf dem Bühnendach.

Wie immer. Wie immer auch in Hannover. 1998 waren es 90 000, auf einem großen hannoverschen Ausstellungsgelände unweit von hier. Aber da war die Akustik so schlecht, dass das Ereignis als „Sound-Desaster“ in die Bandbiografie eingegangen ist. Dieses Mal stimmt die Technik, der Sound ist okay, die Leinwand riesengroß. Es gibt eigentlich zwei Konzerte, eins für die Leute vorn, die Jagger mit eigenen Augen sehen und die Musik aus den Bühnenboxen hören, und eins für die weiter hinten, die Jagger auf dem Bildschirm sehen. Irgendwann rutschen auf einer Tribüne dort hinten drei Sitzreihen aus der Verankerung. Der Tribünenbereich wird geräumt, zu Schaden kommt niemand. Als dann für einige Songs die Vier auf eine Mittelbühne kommen, sind auch mal die nah dran, die eben noch weit weg waren. Die Kameras haben Mühe, dem rastlosen Jagger zu folgen. Vielleicht kann er nicht anders, vielleicht würde auch ein steinreicher Kerl wie er in das gleiche Loch fallen wie ein Rentner nach seinem letzten Arbeitstag. Jedenfalls ist das da vorn nur zum Teil eine Show der Show, irgendwas daran ist immer noch echt, von der Musik getrieben und vom geilen Gefühl, angegafft und angeschmachtet zu werden, sich der Masse auszuliefern und ihr Herr zu werden. Das haut immer noch hin. Auch wenn Oma, die ihn damals obszön fand, mittlerweile ihren Frieden mit dem Hüftkreiseln gemacht hat.

Die Stones fackeln in großer Besetzung mit Bläsern und Sängern das erwartete Hitfeuer ab, mit „Start me up“ und „Jumping Jack Flash“ und Pyroshow am Ende. Zu Ticketpreisen, die dem Endverbraucher die Tränen in die Augen treiben könnten. Doch der Endverbraucher jubelt. Er hat die größte Rockband aller Zeiten gesehen. Er war dabei. Das jedenfalls lässt sich in keiner Währung der Welt aufrechnen.

Laut, aber friedlich
In der Brüsseler Straße, nahe der Open-Air-Arena, treffen sie direkt aufeinander. Auf der linken Straßenseite dröhnt aus einem Audi Musik der Böhsen Onkelz, auf der anderen Seite steht ein Geländewagen, davor singen Stones-Fans „Get off of my Cloud“. Laut ist es, aber friedlich. Fans beider Gruppen tragen in der Open-Air-Arena ihre Lieblingsband auf T-Shirts zur Schau, gehen sich ansonsten aus dem Weg. Für weitere Anstrengungen ist es auch einfach zu heiß. In der Sonne sind es knap 36 Celsius, viel Schatten bietet das Gelände nicht. 163-mal müssen denn auch die Sanitäter im Lauf des Abends Besucher behandeln, die schlapp gemacht haben.

Noch vor 19 Uhr, früher als geplant, treten die Böhsen Onkelz auf. Sie kündigen an, den Zuschauern eine Stunde lang „die Kinnlade herunterzuspielen“ und rocken los. Vor der Bühne haben sich ein paar tausend Fans der Band versammelt und versuchen, lautstärkemäßig Überlegenheit zu demonstrieren.

Gleich nach Ende des Auftritts bilden sich lange Schlangen vor dem Tourbus der Band. Die Fans stehen an, um gegen Vorlage ihrer Stones-Tickets eine Freikarte für das Festival „Wacker Open-Air“ mit den Onkelz zu bekommen. Die Band hatte ihre Fans mit diesem Angebot nach Hannover gelockt.

Jens O 39 Jahre

Bielefeld

„Auch wenn die Onkelz sich gewandelt haben, überzeugt hat mich das nicht. Der Schlagzeuger war allerdings ganz gut, der hat den Rhythmus schön durchgehalten. Aber unterm Strich passt das einfach alles nicht zu einem Stones-Konzert.“

Dieter B

55 Jahre

Bad Lauterberg

„Das ging ja einigermaßen. Ich hatte mir das schlimmer vorgestellt. Ich hatte heftigste Heavy-Metal-Music erwartet und war froh, dass das dann doch nicht so schlimm war. Mein Musikgeschmack wird das aber trotzdem nicht werden.“

Frank A

43 Jahre

Bremen

„Was gibt es da groß zu sagen? Aus den Bösen Onkelz scheinen inzwischen die lieben Onkelz geworden zu sein. Aber als Vorgruppe der Stones taugt das alles nicht. Die Texte habe ich eh nicht verstanden.“

Monika W

35 Jahre

Wilhelmshaven

„Die Texte waren kaum zu verstehen – klangen für mich aber idealistisch und so weit in Ordnung. Dennoch ist das nicht meine Musik. Einfach grässlich. Das passt nicht in ein Stones-Konzert. Die Fans waren dafür sogar richtig brav.“

Annette P

49 Jahre

Paderborn

„Die Onkelz waren schrecklich. Die Band war ein Fremdkörper. Egal, welche politische Richtung sie verfolgen – ihr Stil gehört nicht hierher. Die Stones-Fans mögen eher Oldies. Mir ist unbegreiflich, warum die Onkelz auftreten durften.“

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