Antwort auf: 2018 hörte ich folgende für mich neue Alben

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Gang of One

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2018 habe ich mich auf Neuerscheinungen konzentriert und nur wenige ältere Platten für mich entdeckt. Und Jazz ging irgendwie gar nicht: ich habe das ganze Jahr über nur zwei Jazz-Alben gehört und wollte auch die am Ende nicht besitzen. Bei beiden spielte Julian Lage, einmal als Leader seines Trios, einmal als Sideman von Nels Cline. Da ich ihn vorher nicht kannte, war er quasi eine „Entdeckung“ für mich: Ich habe zwar noch kein Album von ihm, würde ihn aber gerne mal live sehen. Schon in den Videos seiner Auftritte kommt so viel Freude am Musizieren rüber, dass ich mich selbst freue. Julian Lage ist ein ebenso einfallsreicher wie vielseitiger Musiker; ich habe ihn auch ab und zu als Gastmusiker in (Aufzeichnungen von) Chris Thiles „Live From Here“-Show gesehen, wo eher selten Jazz gespielt wird. Oft gehört habe ich sein Stück „Ryland“, allerdings in der Fassung von I’m With Her mit Lyrics von Aoife O’Donovan („Under the Apple Tree“).

„Entdeckt“ habe ich außerdem, dass ich alt genug bin, um mich „für Kauntry-Musik zu interessieren“, wie Guz einst sang („Mit dem Alter fängt man an…“). Meine größte Entdeckung in Sachen Country war Sarah Shook, die ich jetzt ungefähr zeitgleich mit ihrem Debüt von 2015, Sidelong, und dem aktuellen Album Years kennengelernt habe (ich finde Years fast noch besser als das Debüt, stehe damit hier im Forum aber alleine da). Sarah Shook schreibt großartige Songs, sowohl in melodischer wie textlicher Hinsicht, und hat eine unverkennbare herbe Stimme, die perfekt zu ihrem Material passt. Sie singt mit Ausdruck, vor allem im Spektrum zwischen Bitterkeit und Selbstbehauptung, und hat eine gute Band an ihrer Seite (besonders der Gitarrist ist herausragend).

Außer Country habe ich 2018 auch wieder etwas mehr Klassik gehört als in den Vorjahren, besonders Barockmusik. Mit Emma Kirkby habe ich seit kurzem eine neue Lieblingssängerin (das ist natürlich so, als würde man jetzt erst Marvin Gaye für sich entdecken, aber ich bin barocker Vokalmusik bis dahin so konsequent aus dem Weg gegangen, dass sie mir tatsächlich unbekannt geblieben war). Ihr Gesang kommt mir wunderbar natürlich vor, sie hat eine klare und bewegliche Stimme, eine klare Aussprache und ist sparsam im Einsatz von Vibrato oder Tremolo – damit ist sie ja zum Vorbild geworden für viele andere Sängerinnen, die sich nach ihr dem barocken Repertoire genähert haben. Speziell ihr Purcell-Album Songs & Airs mit Christopher Hogwood am Keyboard und Anthony Rooley an der Laute finde ich großartig. Ich habe in den letzten zwei Jahren ohnehin mehr Purcell gehört als je zuvor, vor allem Songs und Bühnenmusiken. „O Solitude“ zählt seitdem zu meinen absoluten Lieblingssongs – zuerst vor allem in den Versionen von Nancy Argenta, aber seit ein paar Wochen gefällt mir die neue Aufnahme von Olivia Chaney genauso gut (Chaney ist im Singer/Songwriter-Fach tätig, nicht in der Klassik, aber sie ist auf ihre Art ebenfalls eine elektrisierende Sängerin).

Ansonsten habe ich vor allem aktuelle Veröffentlichungen gehört, wie gesagt. Da waren einige Entdeckungen dabei: Folk-Bands aus dem UK wie Young Waters und Bird in the Belly (plus Hickory Signals, ein Duo, das bei Bird in the Belly mitmacht, aber daneben auch ein eigenes Album rausgebracht hat), das US-amerikanische Folk-Duo The Brother Brothers (Adam und David Moss, die neuen Simon & Garfunkel), Singer/Songwriter wie Kitty Macfarlane (aus Somerset, Folk-beeinflusst) oder Christy Hays (Americana aus Texas – die wurde mir treffsicher von latho empfohlen). BJ Barham von American Aquarium ist auch ein großer Songschreiber, den ich bis vor kurzem nicht kannte (Country-Rock). In Sachen Art-Pop war da vor allem Ana Silvera mit ihrem „Trauerarbeits“-Zyklus Oracles (sie ist von Kate Bush und Tori Amos beeinflusst und hat eine schöne Sopranstimme). Erstmals seit längerem konnte ich mich auch wieder für etwas richtig Populäres begeistern, das Debüt des belgischen Popstars Angèle. Und in gewisser Weise gehört Robyn auch zu den „Entdeckungen“: die kenne ich zwar seit 2005, seit „Konichiwa Bitches“, aber erst letztes Jahr habe ich mir ein komplettes Album von ihr angehört (das mich dann zu meiner Überraschung auch noch begeistert hat): schön zurückhaltender Dance-Pop mit viel House, etwas Disco und ein bisschen Art-Pop, konzipiert als Gesamtwerk, nicht als Sammlung von Einzeltracks, das mich mitnimmt auf eine Reise vom Schmerz zur wiedergefundenen Lebensfreude, in einer Verbindung von blank polierter, glatter Oberfläche und emotionaler Tiefe.

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To Hell with Poverty