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Zürich, Werkstatt für Improvisierte Musik (WIM) – 21.12.2018
1. Set
Beat Keller – Noise Gitarre
Jason Kahn – Schlagzeug, Stimme
2. Set
Urs Leimgruber – Tenor- und Sopransaxophon
Raphael Loher – Klavier
Vincent Glanzmann – Schlagzeug
Das letzte Jazzkonzert (in der weiten Fassung von „Jazz“) des Jahres hörte ich am Freitag, wieder in der kleinen WIM. Los ging es mit einem Duo: Beat Keller traktierte eine Gitarre, vor sich eine Reihe von Pedalen, mit denen sich verschiedene Effekte erzeugen liessen, Jason Kahn sass am Schlagzeug und hatte ein Mikrophon umgeschnallt, in das er brummte und ächzte, manchmal auch wortlos summte. Kein Set, in dem grosse Bögen geschlagen wurden oder eher eines, in dem der Bogen auch unterbrochen wurde, zum Beispiel durch überraschend groovende, pulsierende Passagen.
Der Grund meines Besuches war allerdings der Altmeister Urs Leimgruber, den ich für eine der ganz grossen Saxophonstimmen der älteren Generation der improvisierten Musik halte (durchaus neben die beiden etwas älteren Giganten Evan Parker oder Peter Brötzmann zu stellen, auch wenn letzterer vom Temperament her fast schon gegenteilig ist). Ende Oktober schon hatte Leimgruber in der WIM ein Duo mit Jean-Marc Foussat an der Elektronik gespielt (klick). Dieses Mal fand ich ihn – bzw. das Set als ganzes – nochmal deutlich besser. Los ging es ganz leise, Glanzmann spielte mit ganz dünnen Eisenstäben, Loher griff ins Innere des kleinen Flügels, den er auch mit unterschiedlichen Objekten präparierte. Leimgruber spielte zunächst Sopransaxophon, einen Harmon Mute-Dämpfer im Trichter eingepasst: Luft, Rauschen, Blubbern, mehr angedeutete als ausgekostete Töne. Es entsteht allmählich eine zerklüftete Landschaft, Glanzmann hält ein Mikrophon über die Trommeln, mit dem er leise Störgeräusche, Rückkopplungen, Echos erzeugt, während er einhändig spielt, mit Sägeblättern die Rahmen der trommeln bearbeitet, mit den Fingern auf den Fellen schabt. Es wird lauter, es wird laut, Leimgruber hat den Dämpfer längst draussen und als er ihn später wieder braucht, ist er zu weit weg und er nimmt den Deckel seiner Trinkflasche (einer von denen mit Stofflasche dran, an der er das Ding denn auch wieder aus dem Trichter rauskriegt). Dann greift er zum Tenor und einmal mehr wird es laut und intensiv, wie ich es von ihm bisher im Konzert nicht gehört habe – die Nähe zu den lärmigen unter den europäischen Improvisatoren wird da auch deutlich: Leimgruber überbläst, er lässt sein Saxophon schnauben und keuchen, es schreit in die regennasse Tristesse und bläst den ganzen Weihnachtschmonzes wenigstens für ein paar Augenblicke weg. Dann setzt er ab, die beiden jungen Mitmusiker spielen noch etwas weiter und finden dann, ohne dass der Meister sich nochmal einmischt, auch zum Ende. Eine runde Sache, gerade weil sie nicht rund war, und ein beglückendes letztes Jazz-Set im alten Jahr.
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