Re: Bob Dylan

#1064025  | PERMALINK

bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,238

FriedrichSchlagt mich ein drittes mal tot, aber John Wesley Harding …

Ich schätze, Du kommst schon wieder mit dem Leben davon. Klar ist die Platte karg, klar ist sie nicht geschmeidig, klar „rockt“ sie nicht (Bass und Schlagzeug sind grandios schluffig). Mit den Attributen komme ich gut klar – und führe „karg“ selber auf der Liste meiner Gründe, weshalb ich JWH phantastisch finde: ein faszinierender Fall von „weniger ist mehr“. Und um Dir auch mal einen Grund zu geben, mich totzuschlagen: Ich ziehe die originale Watchtower-Version der Hendrix-Fassung vor – eine beängstigend einsame Endzeitlandschaft, durch die ein schneidender Mundharmonikawind pfeift, da wächst nichts mehr, bloß noch ein paar Tumbleweed-Büsche torkeln vorüber. Groß. Mir sagt da Hendrix mit vielen „Worten“ (Noten, Effekten, Hakenschlägen) weniger, auch wenn ich seine Aufnahme hoch schätze. Bei Dylan passt für mich die karge Musik perfekt zu diesem Text, der so vieles andeutet und so vieles verschweigt, so vieles evoziert und so vieles offen lässt. „Etwas zu wenig Musik“? Ja, eher wenig. Ich verstehe Deinen Vorbehalt. Bloß teile ich ihn nicht.

FriedrichBlood On The Tracks. Authentisches, Bekenntnishaftes.

Ich weiß nicht, ob ich dieser Beschreibung trauen soll. Klar, es gibt Lieder, die danach schreien, so gelesen zu werden. Klar, Dylans schnoddrige Behauptung, dass das in Wahrheit bloß vertonte Kurzgeschichten von Tschechow seien, ist wohl auch eine Finte. Und doch: Wenn man BOTT rein als Bekenntnis-Platte, als Authentizitäts-Ausbruch beschreibt, greift das für mich zu kurz und schneidet die Faszination ab, die von der Platte ausgeht: Mir erscheint sie grade als meisterhaftes Spiel mit Authentizität und Brechung, Autobiographischem und Fiktionalen, das irisiert zwischen diesen Polen, fast ist die Platte ein Lehrstück darüber, wie man Autobiographisches als Startrampe nutzen kann fürs Rollenspiel und wie man das Rollenspiel mit Autobiographischem aufladen kann. Versuch mal zu packen, worum es in Tangled up in Blue geht – erzählen da überhaupt alle Strophen von derselben Frau? Wie passen da die Zeitebenen zusammen und passen die alle in ein Leben? Ist das eine Erzählung oder sind es Erzählungen?

Grundsätzlich misstraue ich immer der Gleichsetzung des „Ich“ eines Songs mit dem Ich des Sängers. In BOTT steckt doch mehr Vexier- ujnd Rollenspiel als die gängige Deutung, dass Dylan da mal so richtig sein Herz ausgeschüttet habe, nahe legt.

FriedrichEs ist schwer, zu einer wirklich eigenen Einschätzung von Bob Dylans Alben zu kommen. Kaum ein Musiker ist wohl so kanonisiert wie Dylan und Alben wie BIABH und H61 oder auch JWH und BOTT gelten als so sakrosankte Kulturgüter, dass man sich denen gar nicht mehr unvoreingenommen nähern kann.

Das ist wohl wahr, weshalb ich Forumsmeinungen wie Deine, die wider den Stachel löcken, sehr anregend finde.

--