Re: Bob Dylan

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nail75

Registriert seit: 16.10.2006

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Sokrates
BoB dagegen enthält für mich eigentlich nur zwei gute, i.S. von memorable, unterscheidbare Stücke: „Johanna” und „Just Like a Woman“. Dazu stolpert die Band durch ein paar genretypische Blues-Tracks. Dies ist nur vordergründig ein technisches Argument (wie mir so gern entgegengehalten wird), weil man dafür sorgen muss, dass die Musik angemessen dargeboten wird, damit sie emotional verfangen kann – von schöpferischer Originalität ganz zu schweigen. Der Rest der Platte klingt merkwürdig unspezifisch und wenig entwickelt. Man vergleiche die Beatles-Platten aus der Zeit – das ist kompositorisch, in Ausarbeitung und Aufführung ein Klassenunterschied.

Das kann ich nur schwer nachvollziehen, schließlich ist BoB doch das Dylan-Album mit der größten stilistischen Vielfalt. Es besteht doch ein himmelweiter Unterschied zwischen den säuselnden Pop von „I Want You“ und dem harten, dreckigen Blues von „Stuck Inside Of Mobile“. Da besteht überhaupt keine Verwechslungsgefahr und zwar weder in textlicher noch in musikalischer Hinsicht. Zwischen diesen beiden Extremen findet Dylan ja den Weg zum abgefahrenen Freak-Out oder zur epischen Liebeserklärung. Mangelnde Entwicklung kann ich nicht erkennen, im Gegenteil trotz der extrem kurzen Zeit, die Dylan für Plattenaufnahmen verwendet hat und trotz der Länge des Albums ist sie in Bezug auf Ausarbeitung und Aufführung perfekt.

Der Vergleich mit den Beatles hinkt aus mehreren Gründen. Die Beatles haben (in Bezug auf Texte und Themen) Dylan nachgeeifert, nicht Dylan den Beatles. Das hatte er gar nicht nötig und das hätte ihm auch nichts gebracht. Genau so wie die Beatles wollte er ja gar nicht klingen, ja es hätte seine Kunst kompromittiert. Wenn dann wollte er wie die roheren, die ungeschlifferen englischen Bands klingen.

Und natürlich liegt die Magie des Albums auch in den Texten und das heißt nicht im geschriebenen Wort, sondern im Gesang, insbesondere der Phrasierung sowie im Zusammenspiel zwischen Musik und Gesang. Dylan ist zärtlich, gemein, sehnsuchtsvoll, anklagend, umgarnend, spöttisch und surreal. Alles, was Dylan kann, findet man auf diesem Album. Und darum hat kaum jemand jemals ein besseres gemacht.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.