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bullschuetzIch fand den hier sogenannten Soziologenjargon in Spex oft sehr anregend. Ich hab aber auch grundsätzlich nichts gegen Soziologenjargon.
Jargon ist immer ein Problem, wenn man mit Leuten redet (oder für sie schreibt), die nicht Kollegen oder „Eingeweihte“ sind – natürlich nur, wenn man verstanden werden will. Will man sich bloß selbst als „Auskenner“ darstellen, ist der Jargon ein geeignetes Mittel; will man nur für „Eingeweihte“ schreiben, auch.
bullschuetzManchmal ist es erkenntnisstiftend, wenn jemand komplexe Gedanken komplex ausdrückt, und bisweilen eröffnet es sogar neue Perspektiven, wenn jemand einfache Dinge komplex ausdrückt.
Die erste Phrase („Komplexes komplex ausdrücken“) hat vielleicht bei Theorien einen Sinn (die müssen ihrem Gegenstand entsprechen), ich habe oben aber von einzelnen Sätzen oder Aussagen gesprochen. „Einfaches komplex auszudrücken“ ist nie sinnvoll. Man sollte jeden einzelnen Gedanken so klar und einfach wie möglich fassen, weil man dann am ehesten merkt, ob der Gedanke richtig und sinnvoll ist (der Zusammenhang dieser Gedanken mag so „komplex“ sein wie er will). Hinter einer schwer verständlichen Schreibe steckt oft nicht Tiefsinn, sondern Unsinn und Schlechtausgedachtes. Mit Jargon, schlauen Phrasen und komplizierten Sätzen lässt sich verbergen (auch vor sich selbst), dass man nur Banales oder Halbdurchdachtes zu sagen weiß. Eine Unart, vor der Spex-Autoren gewiss nicht gefeit waren.
bullschuetzDie Spexleute haben intellektuell immer hoch gegriffen, das hat mir gefallen. Und dass sie sich gerne mal dabei verhoben haben: geschenkt. Die intellektuelle Ambition und manchmal Anmaßung von Spex wird mir fehlen. So verschwurbelt, verkopft, theorieverliebt über Pop zu schreiben und damit immer auch gegen den Banalitätsverdacht, der Pop umgibt, anzuschreiben: Das hatte was.
„Intellektuelle Ambition“, schön und gut, aber man muss auch können, was man versucht, sonst verkommt die Ambition zur Prätention. Nicht jeder ist ein Diedrich Diederichsen. Und gegen den Banalitätsverdacht sollte man lieber mit klugen Gedanken anschreiben als mit verschwurbelten, verkopften Texten voller Theoriejargon. Schon gar nicht sollte ein Autor mit halb verdauten, wieder herausgewürgten Lesefrüchten spielen.
Ich habe die Spex, als ich sie gelesen habe, dafür geschätzt, dass ihre Autoren sich getraut haben, Gedanken und Thesen zu Papier zu bringen, die mich zum Nachdenken, oft auch zum Widerspruch angeregt haben (vor allem in den ersten Jahren der Berliner Redaktion). Solche Texte werde ich vermissen, wenn ich sie nicht anderswo finden kann. Nicht vermissen werde ich das Jonglieren mit Uni-Jargon oder Rezensenten, die ihre Besprechungen mit schiefen Sätzen füllen wie denen, die Friedrich oben zitiert hat.
Die letzte Ausgabe der Spex werde ich natürlich kaufen, klar.
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To Hell with Poverty