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Okay, ich versuche mich also auch mal dran, auch wenn ich spät bin. Werde eure Antworten also erst später lesen und erstmal meine Gedanken zum Besten geben. Wobei ich erkenne, dass ich keinerlei Chance habe, hier wirklich jemanden rauszuhören. Zumal Gypsy gesagt hat, er habe die großen Namen rausgelassen. Wahrscheinlich kenne ich überhaupt nur die großen Namen. Aber ich finde es eine spannende Übung im Zuhören! Wie schnell ich alle 19 Stücke schaffe, weiß ich nicht. Ich fange einfach mal mit den ersten dreien an.
Ganz draussen blieben die grossen Namen natürlich nicht, aber wie ich im Verlauf des Threads schrieb, gibt es z.B. keinen Sonny Clark, keinen Horace Silver, keinen Art Blakey, keinen Sonny Rollins, keinen Coltrane, keinen Miles, keinen Herbie Hancock, keinen Wayne Shorter, keinen Johnny Griffin, keinen Jimmy Smith etc. etc., um mal ein paar „grosse Namen“ und persönliche Favoriten in die Runde zu werfen.
Danke schon mal für die Rückmeldungen, ich freue mich auch jetzt noch darüber und kommentiere sie auch gerne Stück für Stück!
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#1: Okay, das ist wohl von Platte aufgenommen, deshalb hört es sich rein vom Sound her erstmal älter an, als es wohl ist. Das ist ein sehr kurzes Stück und klingt für mich sehr improvisiert. Bestimmt keine schlechten Musiker, aber es holpert etwas, ist nicht sehr ausgefeilt arrangiert, eher eine Jamsession als eine Komposition einer eingespielten Band. Der Saxofonsound ist eher scharf, finde ich, mehr die Dexter-Gordon/Coltrane-Schule, denn die Hawkins-Tradition. Könnte Hank Mobley so klingen oder klingt der noch leichter? Angesichts der angegebenen Zeitachse würde ich eher gegen 1960 als gegen 1950 tendieren, ich höre hier schon viel Modernität raus. Ich frage mich wirklich, warum das so kurz ist.
Vermutlich wurde die CD tatsächlich ab Platte produziert, weil die Bänder nicht mehr aufzufinden waren (oder die Bänder waren in so schlechtem Zustand) – dazu weiss ich leider nichts mehr. Und ja, das ist der früheste Track hier, aber von 1950 bis 1960 ist er doch fast in der Mitte. Hank Mobley ist das auch, wurde von @sandman umgehend erkannt (wovor ich den Hut ziehe) – ihn wollte ich nicht auch noch missen in dem Mix und fand diesen Track passender als z.B. einen aus ungefähr der gleichen Zeit mit Dizzy Gillespie … eine Blue Note-Aufnahme konnte natürlich nicht sein, an die etwas weniger bekannten für Savoy und Prestige dachte ich beim Vorbereiten gar nicht (wobei auf den schönsten Savoy-Aufnahmen Lee Morgan mitwirkt, den man wiederum ziemlich leicht erkannt – dachte ich … war nicht ganz so einfach, wie sich zeigt[e] ). Holpern ist hier aber Konzept, das liegt am Groove der Nummer, der wiederum so tight ist, dass es eben doch ganz und gar nicht nach Jam-Session klingt. Dass hier ein Thema beackert wird, ist für mich sonnenklar, aber das nahmen einige andere Teilnehmende ebenso wie Du war (mir wie gesagt rätselhaft).
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#2: Zuerst dachte ich, das wäre eine ganze Bigband, aber es ist wohl „nur“ ein Oktett. Es ist noch sehr im Swing verortet und setzt auf die Blues-Tradition. Im weiteren Verlauf ist es gar nicht so komplex bigband-mäßig arrangiert, wie man erstmal erwarten würde. Sondern folgt einem recht einfachen Ablauf von Soli. Das Altsaxofon darf anfangen und hat, wenn ich mich nicht irre, auch mehr Zeit als die anderen. Daher vermute ich mal, dass das der Bandleader ist. Spielt aber recht altbacken, finde ich, das beeindruckt mich nicht besonders, weder durch Überraschungen, noch durch Feuer oder Spielweise. Das gilt auch für fast alle anderen Solisten. Klingt mir, als würde man auf Nummer sicher gehen, lieber nicht zu schnell spielen, auf naheliegende Harmonien setzen. Ausnahme ist das Tenorsaxofon, das hat Feuer!
Der Altsaxer ist der Leader, die Band ist fast sowas wie eine „band within the band“, aber nur fast … und was ist hier Swing und altbacken? Hör mal auf den Drummer, sowas gab es erst im Hard Bop! Und das Spiel des Altsaxers quillt doch förmlich über, was emotionalen Gehalt betrifft, schon der „cry“ in seinem Ton ist die pure Essenz des Jazz (bzw. des Hard Bop, der ja wiederum sowas wie die Essenz des modernen Jazz ist). Und die Trompete hat doch ordentlich Feuer? Klingt fast ein wenig, als hörten wir hier nicht dieselbe Nummer.
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#3: Also doch ein Pianotrio. Auch hier noch deutliche Swing-Elemente, finde ich. Ich könnte mir das sehr gut von einer Bigband gespielt vorstellen und bin fasziniert, wie der Pianist diese Dichte mit ein Paar Fingern herstellt. Der Rhythmus hat einen leichten Latin-Touch. Der Pianist spielt sehr bluesig und fokussiert mehr auf Linien mit der rechten Hand, als große Akkordstapeleien zu veranstalten. Die Rhythmusgruppe spielt sehr minimalistisch und trotzdem (oder deswegen?) sehr groovend. Eine Art Jazz, die ich mir wahrscheinlich nicht selber auflegen würde, weil es mir etwas zu altmodisch erschiene, die aber eigentlich viel Spaß macht. Auch ohne spektakuläre Lautstärken oder Geschwindigkeitsrekorde generieren die eine große Dynamik. I like. Aber, hm, das Ende plätschert ein wenig dahin, finde ich.
Hier sind in der Tat Swing-Elemente drin, der Pianist wurde @dietmar_ dann doch noch identifiziert – auch darüber war ich ordentlich überrascht, ich schummelte ein wenig, finde den Flow des Tracks aber toll – und war überrascht, dass bis zu Deinem Kommentar niemand was von „dahinplätschern“ oder „langweilig/langfädig“ schrieb, denn darauf war ich eigentlich gefasst. Wenn Du die Auflösung kennst, wirst Du verstehen bzw. nicht mehr weiter überrascht sein, denke ich.
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#4: Das gefällt mir. Eine eingängige, bluesige Melodie, nett arrangiert, viel Groove (bei einem interessanten, leicht gebremsten Tempo), so was ist wohl die Essenz dessen, was man Hardbop nennt. Auch die typische Quintet-Besetzung, hier mit Posaune (es sei denn, da kommt gleich noch was). Auch das Piano spielt schön hinter dem Beat, das passt sehr gut zu der ganzen Stimmung dieses Lieds. Ah, jetzt kommt noch eine Trompete, doch kein Quintett! Ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass der Trompeter besondere artistische Dinge spielt, ich denke mal nicht, dass das Lee Morgan oder so jemand ist, wo mehr Virtuosentum zu erwarten wäre (keine Wertung).
Lee Morgan ist das nicht … und das ist schon ein Sextett, sobald das Ensemble hinter dem breitbeinigen Saxer auftaucht, nicht? Es läuft gerade ganz andere Musik, während ich tippe, aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, ohne das nochmal zu prüfen. Der Trompeter konnte wohl noch besser Understatement und lyrische Linien als Miles höchstselbst. Im nach der Auflösung verlinkten schönen, langen Artikel, der ihm kürzlich gewidmet wurde, gibt es dazu eine tolle Story. Er ist etwas älter, tauchte schon im Bebop auf, leitete in den ersten grossen Jahren des Hard Bop dann aber eine der essentiellen aber oft übersehenen Bands mit dem Saxer in #12, und fast ein Jahrzehnt später taucht er auch plötzlich noch an der Seite eines neuen Talentes auf, mit dem er eine ganze Reihe super Alben einspielt, bevor er allmählich verschwindet.
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#5: Das klingt mehr nach Bebop für mich. Schnell und hektisch. Auch vom Sound noch nicht so klar produziert wie jüngere Sachen. Das Piano kriegt früh ein langes Solo, ist das eine Pianisten-Band? Die Trompete ist sehr virtuos gespielt, wenn große Namen erlaubt wären, würde ich Dizzy Gillespie oder so vermuten. Clifford Brown? Auch das Saxofon klingt für mich sehr nach Bebop.
Ja, mit dem „mehr Bebop“-Urteil bist Du nicht allein – damit hatte ich gerechnet, es trifft auch auf den Saxer absolut zu. Aber den Pianisten (er ist der Leader, ja) mag ich enorm gerne, es gibt nicht sehr viele Aufnahmen von ihm (er starb viel zu früh, wie leider so viele damals), die Auswahl an nicht allzu leicht erkennbaren Sachen war beschränkt, aber an sich erkennt man ihn ja doch recht leicht … den Saxer musste ich nicht drinhaben, wie die Herren in #2 und #6 stand er damals mächtig unter dem Einfluss von Charlie Parker (was bis auf Lee Konitz und etwas später und weit weg Paul Desmond ja für alle Altsaxer galt damals) und ist dabei keiner von denen, die ich wirklich interessant finde oder mag, aber so früh in seiner Karriere klang er doch noch ziemlich frisch und ich finde ich gar nicht schlecht (und mag auch verstreutes Weiteres aus seiner sehr langen Karriere ganz gerne). Den Trompeter hingegen mag ich sehr, er ist neben dem Herrn in #9 vielleicht der grösste Lyriker in der unmittelbaren Miles-Nachfolge (der Herr in #4 ist taucht fast so früh auf wie Miles und spielte auch in den Vierzigern schon so ähnlich, wie später). Aber zuletzt ein Wort zum Drummer, der auch lange dabei war und phantastische Sachen gemacht hat später … er klingt doch überhaupt nicht nach Bebop, da merkt man doch, dass ein freierer Geist weht (auch ein anderer als in #2).
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#6: Vibrafon (oder? Klingt fast wie ein Synthesizer, aber das ist vermutlich Blasphemie meinerseits). Hier jetzt mehr so ein weiches (blasphemisch: kitschiges) Saxofon in Hawkins-Tradition. Ich bin kein Balladen-Typ, ich höre da schnell weg. Gegen Ende wird das dynamischer, aber es gefällt mir trotzdem nicht. Das wirkt auf mich irgendwie zerpflückt und ich mag die Harmonien einfach nicht. Ich will mir dazu kein Urteil erlauben. Keine Ahnung, wer das sein könnte, stammt das vielleicht eher von der West-Küste?
Die Aufnahme ist klanglich nicht so doll … der Saxer ist wie gesagt in der Parker-Tradition (Alt, nicht Tenor), er hat aber einen sehr eigenen Sound, etwas bitter. Allzu gross ist die Auswahl bei ihm auch nicht (aber es gibt schon recht viel, von dem mir aber nicht alles genügend vertraut ist, um rasch mal was für einen BFT auszuwählen, ohne ausgiebig zu hören, wofür keine Zeit war, zumal ich das bei 20 Leuten hätte tun können, wenn ich mal damit angefangen hätte … und danach hätte ich 39 statt 19 Tracks gehabt, was auch nicht gut angekommen wäre ) – hier geht es um die Stimmung, die von den zwei Bläsern (der Trompeter war der regelmässige Partner in der Zeit, wobei der Pianist da auch dazugehört (und der Vibraphonist, der selber auch Pianist war, stiess ganz am Ende der Zeit dieser Band noch dazu … der Saxer lebte zwar noch ziemlich lange, aber ist einer von denen, die sich aus der aktiven Laufbahn zurückzogen – nicht unter Brücke wie andere, Mobley etwa, sondern ins Komponieren/Arrangieren und vor allem in die Lehre … der Community-Aspekt ist ja vielen Hard Boppern – eher jenen an der Grenze zu freieren Spielformen in der Regel – auch sehr wichtig, das ist ja irgendwie auch schon in der Musik selbst so angelegt).
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#7: Jetzt mit Orgel, Unisono-Passagen. Erst dachte ich Gitarre – ach so, jetzt verstehe ich, es sind Gitarre und Orgel unisono! Ich muss einräumen, dass ich mit Gitarrenjazz sehr wenig anfangen kann. Es ist mir ein Rätsel, wie dieses Instrument, dass in Metal etc. derartig kraftvoll ist, im Jazz (typischerweise) dermaßen brav und dröge klingen kann. Sicher gibt es Ausnahmen und wahrscheinlich werde ich die typische Jazzgitarre irgendwann schätzen lernen.
Aber jetzt bin ich froh, dass die Orgel dran ist und richtig abgeht. Man könnte doch mit solcher Power auch auf einer Gitarre spielen, oder nicht? Bei so einer Orgel denke ich an Jimmy Smith, aber das ist vermutlich auch einfach nur der große Name.
Das ist Orgeljazz, nicht Gitarrenjazz – und natürlich nicht Smith, aber trotzdem Blue Note … ich musste einfach ein paar Orgeltracks drinhaben und den hier finde ich ziemlich super, den Gitarristen mag ich zudem fast am liebsten unter den damals aktiven Jazzgitarristen (und überhaupt unter den „klassischen“ Jazzgitarristen … mit Fusion tue ich mich oft auch eher schwer, aber McLaughlin bei Miles oder Williams oder auf den ersten Mahavishnu-Alben ist natürlich toll, Gabor Szabo manchmal auch … und dann ist da natürlich noch Django Reinhardt, der eigentlich seinen eigenen Planeten bewohnt).
Mir geht es übrigens gerade so, dass ich die angebliche Power von Gitarre im härteren Rock (der dann eben kein Blues mehr ist) und erst recht im Metal überhaupt nicht so wahrnehme: ich denke dann immer: das ist nur Plastic und etwas Verstärkung, warum verziehen die ihre Gesichter so, wo sie doch ein totes Ding traktieren, das von sich aus keinen Ton macht (eigentlich fast schon wie die Kritik, die die Fans des „Handgemachten“ dem Pop der jüngeren Dekaden gerne entgegenschmettern ) – aber gut, Hard Rock und Metal wird nie meins sein, ich habe da Vorurteile, die ich in diesem Leben (einfach weil zu unwichtig, zu uninteressant) nicht mehr anpacken werde (im Gegensatz zu tausend anderen Dingen, hoffe ich, die mir wichtiger sind, auf die ich neugierig bin usw.)
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#8: Das geht wieder mehr in Richtung Nummer 4. Hardboppig, aber von der langsameren Sorte. Ich mag diese gospeligen (?) Harmonien. Kommt mir vor, als hätte ich das schon mal gehört, aber es gibt auch einfach viel Musik in diesem Stil. Der Pianist spielt fast schon Tango-artig. Und wie es dann elegant zum Basssolo übergeht gefällt mir auch. Doch, das kommt mir wirklich sehr bekannt vor, ich hätte spontan gedacht von Lee Morgan, aber bis jetzt kaum Trompete. Und Ende. Hm. Da bin ich sehr gespannt auf die Auflösung.
Das ist irgendein Latin-Beat, der hier abgeht, ich glaube nicht, dass jemand hier weiss, was genau … Lee Morgan ist hier nicht dabei (aber anderswo schon, nicht in #4 jedoch). Gospel höre ich hier eher nicht, ich nehme schwer an, dass die Changes die des Komponisten/Leaders selbst sind, der eben einer der wenigen Jazzer war, der schon in den Vierzigern eigenes Zeug schrieb und als Arrangeur mit seiner Band (aber auch bei Stücken, die er für andere lieferte) eine recht klare Handschrift hatte, die mich sehr anspricht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba