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RollingStone Forum Blindfold Test #28
Auflösung – Teil 4/4: Bonus Tracks
Track 16:
ROY HAYNES
16. Go ‛n’ Git It! (Ronnie Mathews)
Frank Strozier (as), Ronnie Mathews (p), Larry Ridley (b), Roy Haynes (d)
Van Gelder Studios, Englewood Cliffs, NJ, 10. September 1963
von: Cymbalism (Prestige/New Jazz, 1963; CD: Fantasy/OJCCD, 2002)
Die vier Bonustracks wurden ja alle aufgeschlüsselt, auch wenn es ebenfalls etwas länger dauerte, als ich erwartet hatte. Der erste präsentiert Roy Haynes mit einem Track aus einem seiner tollen Prestige-Alben. Am liebsten hätte ich Booker Ervin (noch ein Tenorsaxer, der in der Liste oben fehlt) auch noch dabei gehabt, aber auch ihn erkennt man, kaum setzt er zum ersten Ton an. Auch diese Session mit Frank Strozier hielt ich für zu leicht erkennbar, um den Track vorne einzufügen – allein wegen des Schlagzeug-Sounds von Roy Haynes (*1925), der hier zwar in der Tat etwas weniger spitz und weniger hoch gestimmt scheint als anderswo. Eine Amen-Nummer fehlte aber ebenfalls noch und so ist das doch ein guter Auftakt zu den Bonustracks. Haynes ist die Tage möglicherweise der dienstälteste noch aktive Jazzmusiker und blickt auf eine gigantische Karriere zurück, die schon im Swing und dann im Bebop begann, wo er neben Max Roach zu einem der bedeutenden neuen Drummer wurde. Er spielte damals in der Band von Lester Young, wirkte in den folgenden Jahren an der Seite von Charlie Parker, Miles Davis, Sarah Vaughan, Thelonious Monk (1958, als auch Johnny Griffin in der Band war), Eric Dolphy, Stan Getz, sprang bei öfter mal bei Coltrane ein, wenn Elvin Jones nicht konnte, später spielte er auch mit Chick Corea, Pat Metheny und unzähligen anderen. Haynes’ Sohn ist der Kornettist Graham Haynes, der grossartige Drummer Marcus Gilmore ist sein Enkel.
Doch um nochmal auf das Stück hier zurückzukommen, ich glaube @vorgarten hat betont, wie toll der Pianist Ronnie Mathews (1935–2008) auch in dem eng gesetzten Rahmen agiert. Völlig einverstanden, zumal Mathews für meine Ohren eh einer der vernachlässigten aus der Zeit ist. Er konnte zwar 1963 mit „Doin’ the Thang“ gerade noch ein eigenes Album machen, bevor es mit dem Jazz kommerziell gesehen bachab ging (mit Freddie Hubbard sowie Charles Davis, der in #14 am Barisax zu hören ist), aber so richtig bekannt wurde er leider nie, trotz Gigs bei Art Blakey, Louis Hayes/Woody Shaw und diversen anderen, und ein paar sehr schönen Sachen unter eigenem Namen (besondere Empfehlung für „Selena’s Dance“, Timeless, 1988, Trio mit Stafford James und Tony Reedus).
Gegen Haynes (und Strozier) im BFT sprach übrigens auch, dass ich schon mal einen Track aus seinem etwas späteren Album „People“ in einem BFT hatte (korrigier mich, wenn das nicht stimmt, @vorgarten, aber ich bin mir ziemlich sicher?)
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Track 17:
QUINCY JONES
17. Solitude (Ellington–DeLange–Mills)
Solo: Melba Liston (tb)
Benny Bailey, Freddie Hubbard, Rolf Ericson, Paul Cohen (t), Curtis Fuller, Melba Liston, Åke Persson, David Baker (tb), Julius Watkins (frh), Phil Woods, Joe Lopes (as), Eric Dixon (ts, fl), Budd Johnson (ts), Sahib Shihab (bari, fl), Patti Bown (p), Les Spann (g, fl), Buddy Catlett (b), Stu Martin (d), Quincy Jones (arr, cond)
Live, Zürich, 10. März 1961
von: The Great Wide World of Quiny Jones Live (Mercury Japan, 1984; CD: The Quincy Jones ABC/Mercury Big Band Sessions, Mosaic, 5 CD, 2007)
Das nächste Thema ist die Big Band. Sie drohte, aus dem BFT zu fallen, weil ich z.B. die Big Soul Band von Johnny Griffin (ich postete hier im Thread glaub ich einen Youtube-Track, hoffe, man kann den auch in DE anschauen) für viel zu einfach hielt, weil die Thad Jones/Mel Lewis-Band auch ausschied (die ging erst 1966 los – wäre immer noch vor dem Owens/Barron-Track gewesen, aber …) – ich beschloss bald, die Gillespie-Band der Jahre 1956/57 aufzunehmen und kam von da natürlich auch auf Quincy Jones, der Gillespie ja half, die Leute für seine neue Big Band aufzutreiben und auch das eine oder andere Arrangement beisteuerte. Dass Jones später – und vielleicht auch hier schon – diverse Arrangements von angestellten Musikern, allen voran von Billy Byers, als seine eigenen ausgab, ist bekannt (und wohl auch kein Einzelfall, nur etwas krasser als bei vielen anderen Bandleadern), doch die Big Band, die er in den späten Fünfzigern gründete und leitete, war wirklich fabelhaft. Einen langen Track mit einem grossen Solo-Reigen wollte ich aber nicht vorstellen, die Wahl fiel am Ende auf das Feature für die Posaunistin Melba Liston (–1999) – wir hörten sie schon in #2. Das Stück ist natürlich Ellingtons Klassiker „Solitude“, der hier von einer ziemlich grossen Menge von Leuten gespielt wird, die direkt um die Solistin herum sind – zudem auch noch vor Publikum. Aber was ist Kunst denn anderes, als Geschichten über Dinge (andere Geschichten, Gefühle, was weiss ich) zu erzählen?
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Track 18:
JEROME RICHARDSON QUINTET
18. Delilah (Victor Young)
Jerome Richardson (ts, fl), Richard Wyands (p), Les Spann (g, fl), Henry Grimes (b), Grady Tate (d)
New York, NY, April 1962
von: Going to the Movies with the Jerome Richardson Quintet (United Artists, 1962; CD: EMI Japan, 2011)
„Delilah“ – ich erwähnte oben die Version von Clifford Brown/Max Roach, es gibt zudem grossartige Versionen von Yusef Lateef (er nannte sich ja Brother Yusef, aber das war wohl anders gemeint) und eine Live-Einspielung von Coltrane. Ein Stück, das ich sehr gerne mag, auch in dieser Version von Jerome Richardson (1920–2000), einem Saxophonisten, der meiner Ansicht nach völlig unterschätzt ist. Das liegt aber auch daran, dass er wohl nie den Ehrgeiz hatte, sich als Leader durchzusetzen, oft in Big Bands und Studio-Orchestern anzutreffen ist – auch in der gerade gehörten Bad von Quincy Jones (nicht zu dem Zeitpunkt, aber man hört ihn auf mehreren anderen Mercury-Alben). Als Leader machte er damals drei Alben, zwei für Prestige („Midnight Oil“, 1958, u.a. mit Kenny Burrell und Charli Persip; Roamin’ with Richardson“, 1959, mit Richard Wyands, George Tucker und Persip), sowie dieses dritte für United Artists (wieder mit Wyands, den wir in #5 schon hörten, sowie mit Les Spann, einem Kollegen aus der Quincy Jones Big Band). 1996/97 folgte dann für TCB noch ein Nachzügler, das ebenfalls hörenswerte „Jazz Station Runaway“ (mit Dave Hazeltine, Russell Malone/ Howard Alden, George Mraz, Lewis Nash/Dennis Mackrel, sowie Frank Colon).
Richardson nahm mehrmals mit Cannonball Adderley auf, wirkte bei einer von Gene Ammons’ Jam Sessions bei Prestige mit (jener, auf der auch Coltrane mitspielt), gehörte 1959/60 zur Band von Quincy Jones, wirkte 1975 bei Kenny Burrells zwei „Ellington Is Forver“ Doppelalben mit, spielte mit Eddie „Lockjaw“ Davis, mit Tadd Dameron, dem Orchester von Gil Evans (er war bei Sessions mit Miles Davis ebenso wie auf „The Individualism of Gil Evans“ dabei). Richardson spielte in den späten Sechzigern bei Oliver Nelson und auch länger in der Thad Jones/Mel Lewis Big Band (wo er auf mitreissende Soli am Sopransax spezialisiert war). Bei Mingus taucht er öfter auf (Mingus Dynasty, Town Hall Concert), auch als grossartiger Sopransax-Solist auf „Black Saint and the Sinner Lady“. Zudem wirkte er bei unzähligen Sessions von Sängerinnen mit – Betty Carter, Shirley Horn, Helen Merrill, Beverly Kenny, Abbey Lincoln, Etta Jones. Da kommt jedenfalls verdammt viel – auch Substantielles – zusammen!
Auf „Goin’ to the Movies“ erklingen Stücke, die aus Filmen stammen – wie eben Victor Youngs „Delilah“. Richardson präsentiert das Thema an der Flöte, während Les Spann an der Gitarre zu hören ist. Dann macht er einen fliegenden Wechsel aufs Tenor und legt sofort los. Sein Solo ist zupackend, solide, mit super Ton und recht kantiger Phrasierung. Grady Tate und Henry Grimes sorgen für einen guten Beat, Richard Wyands begleitet wie immer sehr geschmackvoll und nicht zu dicht. Richardson holt richtig aus, streut Doubletime-Läufe ein, dann wieder rhythmisierte Passagen, die Grimes auch mal zu einem angedeuteten Orgelpunkt animieren. Les Spann folgt dann mit einem super Einstieg – und ist vielleicht der „gitarristischte“ der Gitarristen, die hier aufspielen? Er zitiert dann noch „Bey mir bistu shein“ (4:40), eine alte jiddische Schmonzette aus einem Musical von 1932, verliert aber etwas an Schwung, was, wie mir scheint, Tate etwas auszugleichen versucht. Auch Grimes kommt stellenweise richtig in Fahrt, auch beim Wechsel von Spann zu Wyands am Klavier, der ziemlich gut drauf ist. Dann beginnt Richardson am Tenor zu riffen, die Gitarre mischte sich schon davor manchmal etwas störend ein, doch die ganze Verdichtung ist schon ziemlich toll. Und Grady Tate, der ja vor fast genau einem Jahr verstarb, kann hier mal richtig gut zeigen, was er drauf hat. Am Ende ist es dann Spann, der die Flöte spielt, denn Richardson bleibt bis am Schluss am Tenor.
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Track 19:
DIZZY GILLESPIE
19. That’s All (Pete Anson)
Solos: Lee Morgan (t), Billy Mitchell (ts), Wynton Kelly (p)
Dizzy Gillespie, Talib Dawuud, Lee Morgan, E. V. Perry, Carl Warwick (t), Al Grey, Melba Liston (tb), Rod Levitt (btb), Ernie Henry, Jimmy Powell (as), Benny Golson, Billy Mitchell (ts), Billy Root (bari), Wynton Kelly (p), Paul West (b), Charli Persip (d), A. K. Salim (arr)
WOR Recording Studios, New York, NY, 8. April 1957
von: Dizzy in Greece (Verve, 1958; CD: Birks Works: The Verve Big-Band Sessions, PolyGram, 2 CD, 1995)
Rausschmeisser #2, und nun wirklich der Schlusz. Die Big Band des Bebop-Heroen John Birks „Dizzy“ Gillespie (1917–1993) von 1956/57 lernte ich zunächst mit einem Bootleg auf Jazz Unlimited kennen, ein Konzertmischnitt auch Chester, Pennsylvania, den es in diversen unterschiedlichen Editionen gibt (eine komplette Ausgabe scheint es leider nicht zu geben). Die Band wird von Charli Persip am Schlagzeug angetrieben. Wir hören kurze Soli von Lee Morgan, Billy Mitchell am Tenorsaxo und Wynton Kelly am Klavier (ersterer und letztere sind schon in #2 zu hören – überhaupt ist die Band von #2 fast schon eine band within the band von hier: Morgan, Melba Liston, Ernie Henry, Benny Golson und Kelly sind alle beide Male dabei). Das Arrangement von A. K. Salim mag eher als Bebop denn als Hard Bop durchgehen, aber wie Persip die Band kickt ist schon erkennbar anders. Und die Soli sind natürlich der pure Hard Bop. Morgan steigt mit einem Zitat ein (ich komme leider grad nicht drauf, was es ist, die allererste Phrase – anyone?) und macht seinem Mentor (der ihn auch das grosse Solo mit dem langen Break in „A Night in Tunisia“ spielen liess) alle Ehre. Billy Mitchell ist ein weiterer unterschätzter Tenorsaxer jener Zeit, ich kenne ihn v.a. von Thad Jones’ Combo-Aufnahmen aus der Zeit, auf Blue Note und United Artists – toller Ton, feine Phrasierung, an Rollins geschult und vielleicht auch etwas an seinem Kollegen Benny Golson? Jedenfalls schön, auch von ihm noch ein paar Takte im Mix drinzuhaben (die Alben von Jones hätte ich gerne auch noch berücksichtigt, aber niemand wollte einen dreistündigen BFT, oder?). Kelly ist auch hier wieder toll, funky und doch lyrisch, entspannt und doch hart swingend. Dann nochmal das Thema, ein röhrendes Finale. That’s all.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba