Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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RollingStone Forum Blindfold Test #28

Auflösung – Teil 3/4

Track 11:

JOHN WRIGHT TRIO
11. 47th and Calumet (John Wright)

John Wright (p), Wendell Roberts (b), Walter McCants (d)
Van Gelder Studio, Englewood Cliffs, NJ. 30. August 1960
von: South Side Soul (Prestige, 1960; CD: John Wright Trio & Quartet, Fresh Sound, 2 CD, 2012)

John Wright (*1934) kam in Louisville, Kentucky zur Welt, seine Familie zog bald in die South Side von Chicago, das Viertel, in dem sich schon in den Jahrzehnten davor viele Afro-Amerikaner angesiedelt hatten. Unter den Zehntausenden, die sich Anfang des Jahrhunderts in der South Side heimisch wurden, waren auch viele Blues-Musiker, etwa Blind Lemon Jefferseon, Roosevelt Sikes, Jimmy Yancey oder Memphis Slim. Wrights Debut-Album bringt schon im Titel auf den Punkt, worum es geht: „South Side Soul“. Wright fing mit fünf Jahren an, Klavier zu spielen, erhielt nie eine wirkliche Ausbildung, spielte aber schon in den frühen Zwanzigern professionell, auch schon mal mit durchziehenden Musikern wie Gene Ammons.

Die beiden Sidemen kenne ich nicht, sie stammen aber beide ebenfalls aus Chicago und McCants wirkte später auch bei der Aufnahme zu „The Last Amen“ wieder mit, dem vierten der fünf Prestige-Alben, die Wright zwischen 1960 und 1962 machte (am Bass war in der Folge Wendell Marshall zu hören, bis auf „The Last Amen“, wo er von Eugene Taylor ersetzt wird, am Schlagzeug der Reihe nach J. C. Heard, Roy Brooks, nochmal McCants und schliesslich auf dem letzten der Alben, das ich noch nicht kenne, Walter Perkins). Das dritte Album, „Makin’ Out“, ist als einziges nicht im Trio sondern im Quartett mit Eddy Williams (ts) entstanden, der auch mit dem Posaunisten Bennie Green aufgenommen hat.

Fresh Sound hat die Alben #1–4 vor einigen Jahren auf einer Doppel-CD neu aufgelegt und ich kaufte das Reissue irgendwann tatsächlich, unsicher, ob das nicht ein Fehlkauf würde. Doch dem war nicht so, obwohl ich mich erinnern kann, wie ich die zwei Alben, die als OJC-Reissues greifbar waren (#1 und #5, das den Titel „Mr. Soul“ trägt), früher öfter im Laden antestete und stets zurück liess. Die Musik ist Wrights Show, und man muss auch überhaupt nicht viel dazu sagen, schnörkelloser Blues mit einem tollen Klaviersound, zugleich zurückhaltend aber auch selbstbewusst. Bass und Drums legen den Boden, auf den das Klavier sich nur zu betten braucht.

Die etwas mystifizierenden Liner Notes (es geht um den bzw. eher die „soul“ der South Side ebenso wie jene von Harlem) hat übrigens LeRoi Jones beigesteuert.

Hier ein langer Artikel über Wright, den ich im Rahmen der Vorbereitung der Auflösung fand:
https://www.chicagoreader.com/chicago/john-wright-piano-jazz-south-side-soul-prestige-gathering/Content?oid=14995997

Track 12:

J. R. MONTEROSE
12. That You Are (J. R. Monterose)

J. R. Monterose (ts), Dale Oehler (p), Gary Allen (b), Joe Abodeely (d)
Studio 4, Rock Island, IL, 1964
von: In Action (Studio 4, 1964; CD: Bainbridge, ohne Jahr/1990 [?])

Der nächste Track kommt von einem Musiker, bei dem mir auch sofort klar war, dass er dabei sein musste. J. R. Monterose (1927–1993) kam in Detroit zur Welt, wuchs aber in Utica, NY, auf. In den frühen Fünfzigern spielte er in Big Bands, u.a. bei Buddy Rich und Claude Thornhill. Mitte der Fünfziger folgten „grössere“ Gigs etwa bei Teddy Charles, oder Eddie Bert (Aufnahmen auf Savoy) und vor allem bei Kenny Dorham. Monterose wurde Teil der leider kurzlebigen Jazz Prophets wurde, mit Dorham, Dick Katz (auf dem Studio-Album bei ABC-Paramount) bzw. Bobby Timmons (auf den Live-Aufnahmen bei Blue Note) am Klavier, Sam Jones am Bass und Arthur Edgehill am Schlagzeug (bei den Blue Note-Aufnahmen wirkte auch der Gast Kenny Burrell, hier in #7, mit). 1956 nahm Monterose auch sein erstes Album als Leader auf, „J. R. Monterose“ (Blue Note) mit einer erstklassigen Band (Ira Sullivan, t; Horace Silver, p; Wilbur Ware, b; Philly Joe Jones, d). Dieses Album erschien 1994 wieder in der bereits erwähnten Connoisseur Series von Blue Note/EMI und Monterose glänzt schon darauf mit einem riesigen Ton und einer kantigen Phrasierung, die einen befürchten lässt, dass er unterwegs ständig überall anstösst. Davor hatte ich ihn wohl bereits mit Mingus auf dessen ebenfalls 1956 eingespieltem ersten Meisterwerk „Pithecantropus Erectus“ gehört (an der Seite von Jackie McLean, der bei Mingus damals besser war als überall sonst). Ein zweites Album, noch besser, folgte 1959 auf dem kleinen Label Jaro, mit Tommy Flanagan, Jimmy Garrison und Pete LaRoca.

Seine folgende Karriere ist nur schlecht dokumentiert. Hie und da gab es Aufnahmen, 1970 z.B. ein Album mit Jon Eardley und ein paar Europäern („Body and Soul“), 1981 ein Duo-Album mit Flanagan. Ein Live-Mitschnitt aus der Provinz – dem Gebiet, in dem Monterose sich noch lange Jahre als aktiver Musiker herumtrieb – und aus dem Jahr 1979 erschien unlängst bei Uptown („Live in Albany 1979“).

Das gewählte Stück, Monteroses Paraphrase über „All the Things You Are“ (ich war wirklich erstaunt, dass man das nicht gleich erkennt, aber ihr habt wohl alle keine Real Books, aus denen ihr jahrelang mehr oder weniger regelmässig Zeug gespielt habt?) stammt vom wohl legendärsten Album des Saxophonisten, „J. R. Monterose in Action“, 1964 in Rock Island eingespielt mit de mTrio des Drummers Joe Abodeely (mit dem Pianisten Dale Oehler und dem Bassisten Gary Allen). Mit einer ähnlichen Band plus dem Sänger Al Jarreau ist Monterose im Vorjahr auch auf „Live at the Tender Trap“ dokumentiert (ich habe das schon länger auf einer Fresh Sound-CD, „In Action“ kam mir erst vor ein paar Jahren eher zufällig endlich in die Finger, das CD-Reissue von J.S. Productions ist nicht datiert, das Bainbridge-Logo ist auch drauf, als einzige Jahreszahl steht 1964).

Ich denke Mal, dass die Vorstellung vom „Kammerjazz“, die glaube ich @friedrich geäussert hatte, von daher rührt, dass Monterose – darin vielleicht Lee Konitz ähnlich – seine Ideen frisch hielt, in dem er immer wieder vorhandenes Material hinterfrage, neu betrachtete, zu neuen Ansätzen fand. Das geschieht hier eben mit „All the Things You Are“, einem von den Beboppern und Hard Boppern völlig zutode genudeltes Stück, das aber attraktive Changes bietet (und eben welche, von denen ich behaupten würde, sie immer sofort zu erkennen, wenn sie denn nicht umgebaut werden). Monterose wirkt auch hier völlig unvoreingenommen, er hat eine Idee nach der anderen (ein Vorbild war sicher schon früh Sonny Rollins), er hat immer noch seinen beissenden Ton, irgendwie hart, irgendwie hässlich, aber eben auch supertoll (und hier vermutlich nicht optimal eingefangen – schwer zu sagen, ob er sich seit den Aufnahmen aus den Fünfzigern so verändert hat oder ob das teils an der Aufnahme liegt).

Das Begleittrio ist durchaus auf der Höhe, vor allem Dale Oehler (*1941), der schon ein feines Intro spielt, ist auch im Solo ziemlich gut. Der Mann hatte als Arrangeur und Produzent später übrigens eine ziemlich illustre Karriere, in der Namen wie Marvin Gaye, Freddie Hubbard, Joni Mitchell, Moacir Santos, Bobby Hutcherson, Horace Silver, Randy Crawford, Jimmy Scott und diverse andere auftauchen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Dale_Oehler

Track 13:

THE JIMMY OWENS-KENNY BARRON QUINTET
13. Love, Where Are You? (James Moody)

Jimmy Owens (t), Kenny Barron (p), Christopher White (b), Freddie Waits (d)
Atlantic Studios, New York, NY, 19. April 1967
von: You Had Better Listen (Atlantic, 1967; CD: WEA Japan, 2013)

Und nun also Jimmy Owens (*1943) … ich muss zugeben, ich habe ihn nie wirklich verfolgt, kaufte irgendwann dieses mir auf dem Papier sehr attraktiv scheinende Album, als es in Japan wieder greifbar wurde, und fand es ordentlich gut. Es landete auch auf dem Stapel der CDs, die ich in der Vorbereitung auszugsweise oder komplett hörte, ich hätte auch nicht übel Lust auf einen Boogaloo im Mix gehabt, aber es war dann die Ballade, auf der leider Bennie Maupin nicht zu hören ist, der Saxophonist, der auch auf dem Album spielt … aber eben auch die Ballade, in der Jimmy Owens in der Tat eine Entdeckung ist! Ich bin nicht ganz sicher, ob ich für Flügelhorn optieren soll, es gibt auch Momente, wo der Ton eher nach Trompete klingt, aber die Instrumente mit Sicherheit auseinanderzuhalten finde ich wie gesagt eh fast unmöglich. Jedenfalls spielt Owens mit einem tollen Ton, lässt sich Unmengen Zeit, hat nie das Bedürfnis, zu protzen, auch dann nicht, wenn das Tempo mal angezogen wird. (Bei 4:59, das ist ein scheues „Maria“-Zitat, ja? Bernstein meine ich.). Die Rhythmusgruppe macht auch einen tollen Job, besonders White am Bass, der Ding wuppt, noch mehr als Barron, dünkt mich. Und Waits war eh ohne Fehl und Tadel, egal ob Funk oder Jazz.

Das Stück hat James Moody geschrieben, der gleichzeitig wie Co-Leader Kenny Barron (auch *1943) in der Band von Dizzy Gillespie spielte. Ebenfalls von Gillespie her kommen Chris White am Bass und Rudy Collins, der auf der anderen Hälfte des Albums Schlagzeug spielt. Owens spielte, so scheint es, in den späten Sechzigern und in den Siebzigern mit fast allen: Mingus, Ellington, Roach (#1), Basie, Golson (#2), ja sogar mit Lionel Hampton.

Track 14:

HAROLD OUSLEY
14. Dell-A-Vonn (Harold Ousley)

Harold Ousley (ts), Charles Davis (bari), Julian Priester (tb), Phillip Wright (p), Thomas Williams (b), Walter Perkins (d)
New York, NY, 1961
von: Harold Ousley (Bethlehem, 1961; CD: Solid/Verse Music Group, 2013)

Der Track hier ist für mein Empfinden neben #14 der „engste“, „geschlossenste“, aber es weht auch wiederum ein ganz anderer Geist hier – South Side wieder, die Ebenen des mittleren Westens, in denen auch ein Besucher vom Saturn landen konnte. Harold Ousley (1929–2015) kam in Chicago zur Welt, mir begegnete sein Name wohl erstmals in den Neunzigern, als Ellery Eskelin seins Gene Ammons-Hommage in Willisau aufführte und ich das am Radio höre. Auf der Playlist stand damals nämlich auch das Stück „The People’s Choice“ von Harold Ousley (es gibt das Programm von Eskelin – mit Marc Ribot und Kenny Wollesen – auch auf CD). Vor Jahren schon kam mir dann ein schönes, spätes Delmark-Album von Ousley in die Hände, „Grit-Gittin’ Feelin’“ (mit Jodie Christian, John Whitfield, Robert Shy und dem Gast Art Hoyle, noch so eine legendäre Gestalt).

Das Album „Tenor Sax“ (oder auch „Harold Ousley“, so klar ist mir das nicht) ist wohl sein Debut, „Dell-a-Vonn“ steht da an zweitletzter Stelle, gefällt mir aber gerade wegen des Arrangements sehr gut. Es gibt diesen Vamp mit leicht östlichem Anklang (Lateef machte das damals schon seit vier Jahren oder so), und dann die „Auflösung“ in den straighten 4/4, der den Solisten jeweils ordenltich Schub gibt. Am Schlagzeug sitzt mit Walter Perkins ein ziemlich grossartiger Musiker, der damals schon mehrer Alben mit den „MJT+3“ gemacht hatte, der Band, die er zusammen mit Bob Cranshaw leitete (die zwei wawren die „Modern Jazz Two“ und dazu kamen dann noch drei andere, u.a. Frank Strozier, den wir in #16 mit Roy Haynes hören). Perkins spielte mit Gigi Gryce (er ist auf Teilen des Albums, von dem #5 stammt), mit Booker Ervin, Jaki Byard, Gene Ammons, Art Farmer, Charles Mingus und vielen anderen, spät in seiner Karriere auch mit den Avantgarde-Musikern William Parker und Peter Brötzmann (mit letzterem entstand 2002 ein feines Duo-Album).

Den Solo-Reigen öffnet hier der Leader am Tenorsax mit einem recht guten längeren Solo, in dem der Ton mal wieder mehr als die halbe Miete ist. Es folgen der zeitweise dem Sun Ra-Orbit angehörige Posaunist Julian Priester, der damals auch regelmässig mit Max Roach (#1) spielte, mit seinem sehr beweglichen Ton, seiner Phrasierung, die an menschliches Sprechen erinnert – einer meiner Lieblingsmusiker auf dem Instrument, keine Frage. Danach hören wir auch noch Charles Davis am Baritonsaxophon, der ebenfalls zum Sun Ra-Kreis zählte, damals aber auch u.a. mit Cecil Taylor oder Steve Lacy spielte. Für mich ein Musiker, der irgendwie nie ganz das Versprechen einlösen konnte, das er doch immer wieder abgibt (heisst: man hört immer mal wieder was, wo man denkt: wow, grossartig! Dann hört man weiter und wird eher früher als später leise enttäuscht). Das letzte Solo gehört dann dem mir unbekannten Pianisten, Philipp Wright. Den Bassisten kenne ich auch nicht, aber falsch machen sie hier beide nichts, auch wenn das Klaviersolo sicher keine Sternstunde ist.

Track 15:

GENE LUDWIG TRIO
15. Blues Waltz (Max Roach)

Gene Ludwig (org), Jerry Byrd (g), Randy Gelispie (d)
New Yok, NY (?), 1963/64 (?)
von: Organ Out Loud (Mainstream, 1965; CD: Solid, 2017)

Bevor es zu den Bonustracks geht, brauchte es erstmal einen Rausschmeisser … und was für einen! Gene Ludwig (1937–2010) ist wohl der einzige weisse unter den grossen Organisten der ganze Ära. Und er reiht sich mühelos zwischen Jimmy Smith, Jack McDuff, Lonnie Smith, John Patton oder Larry Young ein. Das Album kenne ich noch gar nicht lange, es kam 2017 in als Teil der feinen japanischen Mainstream Records Master Collection wieder heraus, in der inzwischen dutzende Alben neu aufgelegt worden sind, die Bob Shad (einst Produzent auch von Max Roach bei Mercury – vielleicht kam die Idee, den „Blues Waltz“ von Roach zu spielen ja von ihm?) auf seinem 1964 gegründeten Label Mainstream herausbrachte. Die Gitarre von Jerry Byrd kenne kenne ich sonst nur von ein paar späten Alben von Freddy Cole, dem ebenfalls als (sehr guter!) Sänger/Pianist auftretenden jüngeren Bruder von Nat King Cole … aber im Ohr habe ich die Aufnahmen überhaupt nicht, hier rockt er schon mal schön los – und dass man da an jemanden wie Gabor Szabo denkt, passt schon. Und das Orgelsolo ist dann völlig bekloppt, baut eine unglaublich Spannung auf. Der eine, über die letzten zwei Chorusse gehaltene Ton ist der Gipfel – und animiert ihn dann auch noch zu ein paar rhythmisch besonders tollen Dingen. Danach Shout-Chorus (nehme ich, klingt jedenfalls arrangiert), Themen-Rekapitulation – und wie in den alten Zeiten ist in drei Minuten alles gesagt, was es zu sagen gibt. Grossartig. Randy Gelispie, der Drummer, hat keinen geringen Anteil am Erfolg, er ist wohl immer noch unterwegs, zumal ist er auf der 2013 eingespielten Hommage an John Patton zu hören, die der Organist von Organissimo, Jim Alfredson, einspielte. Ludwig und Gelispie sind auch – mit Pat Martino an der Gitarre – auf dem 1969er Album „Night Letter“ von Sonny Stitt zu hören.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba