Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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RollingStone Forum Blindfold Test #28

Auflösung – Teil 1/4

Track 1:

MAX ROACH QUARTET featuring HANK MOBLEY
1. Kismet (Hank Mobley)

Hank Mobley (ts), Walter Davis II (p), Franklin Skeete (b), Max Roach (d)
New York, NY, 10. April 1953
von: Max Roach Quartet Featuring Hank Mobley (Debut, 1955; CD: Fantasy/OJCCD, 1990)

Der ersten Ton mag eingeblendet sein, aber da fehlt nichts. Aber Hank Mobley (1930–1986)und Max Roach (1924–2007)fallen mit der Tür ins Haus. Das Thema ist attraktiv in seinem Wechsel zwischen dem Teil mit einem Bass-Riff und einer Art Stop-Time-Feel und dem zweiten Teil in walking 4/4. Mobley und sein Ton – @sandman hat ihn erkannt – konnten einfach niht fehlen hier, er ist vielleicht der allererste Musiker, an den ich denke, wenn ich „Hard Bop“ denke.

Um es nicht zu leicht zu machen, wählte ich diesen frühen Track von einer Session für das von Mingus und Roach gemeinsam gegründete Label Debut Records, das erste von Musikern der neuen Generation gegründete und geleitete Label, soweit ich weiss. Roach war zu dem Zeitpunkt wohl schon fast wieder raus und überliess das Label und die Arbeit Mingus und dessen damaliger Ehefrau Celia. Doch hier ist Roach sehr präsent mit seinem vertikalen Beat, der eher tanzend vorwärts marschiert als swingt. Dem entspannten Beat, wie ihn Blakey mit den Jazz Messengers (wieder mit Mobley am Sax, versteht sich, und mit dem Trompeter aus #4) ein Jahr später zu perfektionieren beginnen würde, mochte Roach nie fröhnen, auch nicht, als er 1955/56 mit Clifford Brown zusammen eine der bedeutendsten Combos des Hard Bop leitete (von denen eine unsterbliche Version von „Delilah“, #18) stammt.

Walter Davis Jr. und Franklin Skeete machen ihren Job, aber ich muss gestehen, dass ich Davis nie wirklich mochte. Er hat immerhin ein schönes Album für Blue Note gemacht, auf dem Donald Byrd und Jackie McLean dabei sind, aber sein Spiel, seine Akkorde in der Begleitung – mir ist das alles etwas zu dick. Aber ich wollte ja Mobley vorstellen und ihn finde ich hier ganz wunderbar, allein schon von der Haltung her, mit der er sofort zur Sache kommt.

Das Album als ganzes finde ich nicht wahnsinnig gut, es setzt sich aus vier Septett-Tracks zusammen (gleiche Band plus Idrees Sulieman, t; Leon Comegys, tb; Gigi Gryce, as – letzteren gibt es hier in #5), die fünf Quartett-Tracks mag ich insgesamt lieber, dann ist da noch die „Drum Conversation“ … schon eine feine Zusammenstellung, wenn man Roach unterwegs vom Bebop zu seiner eigenen Musik ausgiebig mal hören will, aber kein Lieblingsalbum.

Roach hat übrigens das Stück geschrieben, mit dem der offizielle BFT endet (#15) – ein Stück im 3/4, was in den Fünfzigern mal eine Spezialität war, es gibt ein ganzes Album von ihm mit Stücken im 3/4, und das färbte auch auf den letzten Saxophonisten des Clifford Brown/Max Roach Quintet ab, einen gewissen Sonny Rollins, der auf dem Album mit der Brown/Roach-Combo, das bei Prestige unter seiner Leitung entstand, ebenfalls einen famosen Jazz-Walzer vorstellte, „Valse Hot“.

Track 2:

ERNIE HENRY
2. Beauty and the Blues (Benny Golson)

Lee Morgan (t), Melba Liston (tb), Ernie Henry (as), Benny Golson (ts), Cecil Payne (bari), Wynton Kelly (p), Paul Chambers (b), Philly Joe Jones (d)
Reeves Sound Studios, New York, NY, September 1957
von: The Last Chorus (Riverside, 1958; CD: Fantasy/OJCCD, 1998)

Der Altsaxophonist Ernie Henry (1926–1957) war ein Musiker, an den ich ebenfalls sehr schnell dachte, als @vorgarten den Vorschlag machte, ich solle doch einen ganz dem Hard Bop gewidmeten BFT zusammenstellen. Weshalb, sollte bei seinem Einstieg ins Solo sofort klar werden: dieser Ton, die träge Phrasierung (geschult natürlich, wie fast alle Altsaxophonisten damals, an Charlie Parker), die bluesgetränkten Phrasen (besonders toll, wenngleich ziemlich klischiert, z.B. die ab 1:17) … dann übernimmt Lee Morgan (1938–1972), neben Mobley (und Sonny Clark und Johnny Griffin) vielleicht DER Hard Bop-Favorit in meinem Haus, den ich ebenfalls nicht mit etwas vorstellen mochte, wo man ihn gleich erkennt – wobei @vorgarten ja auch hier umgehend den richtigen Riecher hatte.

Reizvoll ist hier aber auch die Rhythmusgruppe: das Bass/Drums-Gespann, das 1955/56 mit dem ersten „great quintet“ von Miles Davis spielte, Paul Chambers und Philly Joe Jones, dazu der Pianist, der 1959 oder 1960 als Nachfolger von Bill Evans in dieselbe Band kam. Wynton Kelly soliert als nächster, und gerade im Vergleich mit Walter Davis wird deutlich, wie leicht er klingt, ohne je leichtfüssig zu wirken. Dann hören wir Benny Golson (*1929), der 1958 zur frühen Version der zweiten grossen Jazz Messengers-Besetzung gehören sollte, geleitet von Art Blakey: Horace Silver behielt die Band (Donald Byrd, den Nachfolger von Kenny Dorham, Hank Mobley und Doug Watkins, suchte sich einen neuen Drummer; Blakey behielt den Namen, brauchte aber eine neue Band … 1956/57 war Jackie McLean der zentrale Sideman, ich bin im Blakey-Thread mal durch die Aufnahmen dieser Zeit). Auch Golson ist ein Musiker, den ich unheimlich gerne mag, den ich aber für viel zu leicht erkennbar hielt, als dass ich ihn mit einem eigenen Track vorstellen mochte – er hat sein Stück wohl auch selbst arrangiert. Eine andere Kandidatin fürs Arrangement wäre die nächste Solistin, Melba Liston an der Posaune. Dass sie hier zweimal einen Auftritt hat, mag über das Fehlen des gerade verstorbenen Randy Weston hinwegtrösten, der zwar bestens in den Mix gepasst hätte, den ich aber dennoch irgendwie nicht als Hard Bopper höre (als was denn sonst? Als Randy Weston halt). Es folgen noch Soli von Cecil Payne am Barisax (auch ihn hören wir nochmal) sowie von Paul Chambers und Philly Joe Jones (1923–1985).

Letzteren, das wurde hier ja schon mehrfach angetönt, halte ich alles in allem – neben den Leadern und Ausnahmekünstlern Roach und Blakey (der hier tatsächlich fehlt, ebenso wie Horace Silver: zu einfach, zu bekannt, zu offensichtlich – aber natürlich haben sie beide eine Menge grossartige Musik gemacht) – für den vielleicht besten Drummer, der in der Zeit in New York aktiv war. Leider kam er wohl mit Alfred Lion nicht so richtig klar (zu sehr der Junkie, was ja auch der Grund für den Rausschmiss – zusammen mit Coltrane – bei Miles Davis war) und war bei Blue Note nicht so oft zu hören, ebensowenig bei Prestige. Bei Riverside hingegen war er sowas wie der Hausdrummer und hat bei Aufnahmen mit so unterschiedlichen Leuten wie Chet Baker, Johnny Griffin, Kenny Drew, Bill Evans, Elmo Hope, Blue Mitchell, Milt Jackson, Sonny Rollins, Ben Webster und Ernie Henry mitgewirkt. Bei Henry, der Ende des Jahres 1957 viel zu jung starb (an einer Heroin-Überdosis, auch da war Charlie Parker, wie bei so vielen, das Vorbild, fatalerweise), wirkte Jones auch mit, neben dieser Septett-Session (die nur für ein halbes Album reichte, das postume „Last Chorus“, das mit Alternate Takes, einem anderswo erschienenen Track sowie einem ebenfalls der vollständigen Version eines Stückes der Monk-Session zu „Brilliant Corners“ entnommenen Extrakt angereichert wurde) auch beim einen wirklich guten Album Henrys mit, „Seven Standards and a Blues“, ebenfalls mit Kelly, aber mit Wilbur Ware am Bass, der im BFT leider nicht vertreten ist.

Track 3:

RAY CHARLES
3. Dawn Ray (Ray Charles)

Ray Charles (p), Oscar Pettiford (b), Joe Harris (d)
Atlantic Recording Studios, New York, NY, 30. April 1956
von: The Great Ray Charles (Atlantic, 1957; CD: Pure Genius – The Complete Atlantic Recordings (1952–1959), Rhino, 8 CD, 2005)

Dass das Trio von Ray Charles (1930–2004) hier so gut ankam, freut mich sehr! Der Mann war ja wirklich kein Virtuose, aber ein beeindruckender Musiker (es gibt auch ein grossartiges Solo am Altsax, aufgenommen bei einer der Sessions mit Milt Jackson, die in den gleichen Kontext gehören wie die Session, bei der ein paar Stücke im Trio entstanden. Etwas schade finde ich es schon, dass Oscar Pettiford am Bass nicht auch noch zum Zug kommt (womit wir wieder bei der Solo-Diskussion wären), dafür ist Joe Harris, den ich oft als etwas grob und ungelenk empfinde, hier wirklich völlig okay. Es war @vorgarten glaube ich, der korrekt festgestellt hat, dass es ziemlich egal ist, wo er hier seine Akzente setzt, denn sie passen in dem tollen Groove schlicht überall hin (was er aber so ab 2:40 macht, um ein Beispiel zu nennen, würde mich in einem anderen Kontext vielleicht total nerven, auch die Übergänge zur Snare bei 2:52 und dann wieder bei 3:06 finde ich nicht gerade subtil). Aber egal, der Track ist wirklich gut, nicht? Ich hatte hier – wie auch bei #11 einige Bedenken, dass er als langweilig empfunden würde.

Und auch schön, dass der Track bei @demon so gut ankommt … vielleicht ist es ja möglich, mal eine Ray Charles Plays Jazz-Sendung zusammenzustellen, die 4-Tracks-Regel ist da aber ein Problem, muss ich mir mal genau anschauen – mit ein paar längeren Tracks, die Milt Jackson als Co-Leader haben und vielleicht etwas von „Fathead!“, dem Debutalbum des Herrn in #10, das Charles produziert hat, wäre müsse das eigentlich zu machen sein.

Track 4:

DAVE BAILEY SEXTET
4. Grand Street (Sonny Rollins)

Kenny Dorham (t), Curtis Fuller (tb), Frank Haynes (ts), Tommy Flanagan (p), Ben Tucker (b), Dave Bailey (d)
New York, 1. Oktober 1961
von: Bash! (Jazz Line, LP, 1961; CD: Tommy Flanagan – Trio & Sextet, Prevue, 1998; auch unter Kenny Dorhams Name als „Osmosis“ bei Black Lion erschienen)

Und hier ist sie wieder: die Haltung. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass es wieder ein Tenorsaxophon ist, das sie verkörpert. Bis hierhin hörten wir mit Mobley einen typischen, ja stilbildenden Hard Bopper, und mit Benny Golson einen eher atypischen, der sich was den Ton betrifft an Veteranen wie Coleman Hawkins und Ben Webster orientiert, aber neben Coltrane und Jimmy Heath und anderen vollkommen im modernen „Lager“ daheim war. Es gab noch Lucky Thompson, der mit Charlie Parker spielte und aufnahm, auf Miles Davis’ famoser „Walkin‘“-Session dabei ist, aber eigentlich – wie der Pianist hier, Tommy Flanagan – schon damals über allen Stilen stand und eine Art klassischen Modern Jazz machte.

Hier hören wir einen fast völlig unbekannten Mann am Sax, Frank Haynes (1928–1965). Gemäss Wikipedia kam Haynes in Tulsa zur Welt, gemäss den 1973er Liner Notes von Mark Gardner zur CD-Ausgabe (die erste unten mit Flanagan als Leader) 1931 in San Francisco. Ich tentiere da eher dazu, Wiki zu glauben als einem alten Text, der halt wieder verwendet wurde. Haynes kam 1960 nach New York, spielte da mit einigen Leuten, besonders aber mit den Bands von Randy Weston (there we go again) und Walter Bishop Jr. (mit beiden machte er auch Aufnahmen). Neben drei Sessions mit Dave Bailey, der hier der Leader ist, wirkte er zudem bei der Pacific Jazz-Session von Les McCann mit, bei der auch Stanley Turrentine spielte (das war ein Deal zwischen Alfred Lion und Dick Bock, McCann spielte auf einem tollen Blue Note-Album mit Turrentine und dieser dann eben auf einem Live-Album, das McCann für Pacific Jazz machte). Haynes starb gemäss den Liner Notes ans Krebs, gemäss Wiki wiederum waren Coltrane, Monk und Rollins an seiner Beerdigung anwesend.

Und Sonny Rollins, den ich auch nicht unterbringen konnte (hätte ihn jemand nicht erkannt, hätte ich glatt den Fehdehandschuh werfen müssen :whistle: ), spielt hier natürlich auch eine Rolle, denn das Stück, „Grand Street“, stammt von ihm (er hat es für sein Metrojazz-Album „Sonny Rollins and the Big Brass“ mit grosser Besetzung eingespielt). Bailey swingt mit den Besen, Haynes haut das Thema mit unglaublicher Autorität raus, der Bass spielt ein Two-Beat-Ding … dann steigen die anderen Bläser ein, das Arrangement (von wem? Das für die grosse Band kam von Ernie Wilkins) führt zu einer etwas bittersüssen Note. Dann Break, Haynes, Solo, Haynes – er zieht das voll durch, wirkt enorm entspannt und dennoch auch höchst fokussiert. Wie er in die Bridge reingeht, alles ganz simpel, aber enorm wirkungsvoll – und obendrein der Ton!

Produziert wurde das Album von Peter Ind, einem inzwischen 90jährigen, aus England stammenden Bassisten, der 1949 auf der Queen Mary als Musiker über den Atlantik spielte und in New York Lennie Tristano begegnete, zu dessen Umfeld er nach seinem Umzug 1951 bis zur Rückkehr ins UK 1966 gehörte. Ind wirkte wohl in seinem Heimstudio auch als Toningenieur. Diese Ausgabe, wie fast alle Bailey-Alben später unter dem Namen eines der bekannteren Sidemen erschienen, verantwortete Don Schlitten, auf Black Lion gibt es die Session mit zusätzlichen Alternate Takes auch unter Kenny Dorhams Namen (zweites Cover unten), aber ich entnahm es der CD, auf der ich es kennen und schätzen lernte. Wobei es da nichts zu lernen gab, das war eher Liebe auf den ersten Ton, die CD kostete damals ein Vermögen, aber die konnte nicht im Laden bleiben!

Nach dem Tenorsaxophon hören wir Curtis Fuller an der Posaune, ein etwas verschwurbeltes Solo, das bei 2:52 nah an einem Zitat von „Knock Me a Kiss“ vorbeischrammt. Tommy Flanagan am Klavier greift die Phrase auf, um sein Solo zu eröffnen, das zwar tolle Momente hat, aber tatsächlich nicht sehr kohärent wirkt. Tadellos ist danach Kenny Dorham, mit seinem üblichen bezaubernden Ton und seiner Zurückhaltung, sparsam, perfekt phrasiert und intoniert mit den gebogenen Tönen – auch er ein Musiker, den ich unheimlich schätze, von dem ich auch mühelos noch einen Track hätte beigeben können (am besten vom 10″-Album, das er 1953 mit Jimmy Heath für Mingus/Roachs Label Debut aufnahm … aber es gab so vieles, was ich auch noch hätte in den Mix aufnehmen können).

Trivia: auf dem Album gibt es auch ein Stück des Saxophonisten Norris Turney („Soul Support“). Er tourte 1967 mit Ray Charles, spielte dann in der späten Band von Duke Ellington (als erster Solist an der Querflöte, notabene, und als Versicherung gegen die abnehmende Gesundheit von Johnny Hodges) … und mitten in dieser Zeit, 1973, wirkte er auch bei einem von Randy Westons schönsten Alben mit „Tanjah“ (Polydor), wo er natürlich einen Ellington-Vibe hineinbringt.

Hier zudem noch einmal der Link zum tollen, sehr ausführlichen Artikel, der vor ein paar Tagen über Kenny Dorham erschienen ist:
https://www.austinchronicle.com/music/2018-09-14/trumpet-colossus-kenny-dorham-towers-alongside-the-jazz-gods/


Coda/Exkurs (nicht trivial): „Kein Zufall“ schrieb ich oben, und liess den Satz dann offen stehen ohne darauf Bezug zu nehmen – das muss ich noch rasch nachholen. Das Tenorsaxophon wurde – vor allem dank der unfassbaren Musik, die Sonny Rollins ab 1956 machte – wurde zum prägenden Instrument der Hard Bop-Ära. Neben Rollins etablierte sich mit John Coltrane eine neue Stimme, die noch einen weiten Weg vor sich haben sollte. Zahlreiche andere Tenoristen tauchten auf, die die Szene belebten: Johnny Griffin, Benny Golson (#2), Jimmy Heath (der früher auch als Altsaxer im Schatten Birds gewirkt hatte), Hank Mobley, Clifford Jordan, J.R. Monterose (#12), Stanley Turrentine, Wayne Shorter, Yusef Lateef (ein Veteran, der aber erst im Hard Bop seine Stimme fand und seine eigene Musik zu machen begann) etc. In der Bebop-Zeit stand das Tenor – trotz Efforts von Wardell Gray, Lucky Thompson, Dexter Gordon, Teddy Edwards und ein paar anderen – immer am Rand, im Schatten von Bird; eine vergleichbare Stimme am Tenor gab es nicht, während an der Trompete mit Dizzy Gillespie und bald diversen anderen, an der Posaune mit J.J. Johnson, am Piano mit Bud Powell, am Schlagzeug mit Roach, Haynes, Blakey, die neue Musik rasch ihre bedeutenden Vertreter fand … das Tenorsaxophon musste noch ein paar Jahre warten, setzte sich dann aber umso stärker durch (und bezog in einzelnen Fällen – Thompson, Golson, Turrentine – durchaus auch die vor dem Bebop bedeutende Stimmen des Instruments mit ein. Die „modernen“ Impulse, die für die Tenorsaxophonisten wichtig waren, kamen davor eher von Lester Young als von Parker, was wohl die etwas andere Entwicklung erklärt, die das Tenorsaxophon nahm, verglichen mit dem Altsaxophon, das mit Parker halt wirklich den Kern des Bebop bildete (wohingegen, das Altsax danach eine Weile brauchte, um sich wieder zu etablieren: alle neuen Stimmen der Fünfziger standen längere Zeit im Schatten von Parker, erst Jackie McLean und Eric Dolphy gelang es um 1960 herum, wirklich neue Wege zu gehen, bei denen der Parker-Einfluss kreativ verwandelt und in neue Spielweise einverleibt wurde).

Track 5:

EDDIE COSTA QUINTET
5. Stretch in ‛F’ (Art Farmer)

Art Farmer (t), Phil Woods (as), Eddie Costa (p), Teddy Kotick (b), Paul Motian (d)
New York, NY, Juli 1957
von: Eddie Costa Quintet (Mode, 1957; CD: V.S.O.P., 1992)

Dieser zugegeben etwas atypische Track rutsche rein, weil ich den Pianisten (und Vibraphonisten, vgl. #5) Eddie Costa (1930–1962) enorm schätze. Er spielte u.a. mit Tal Farlow (mehrere Alben für Verve), aber auch mit Gil Evans, Coleman Hawkins, Shelly Manne, Bill Evans („Guys and Dolls Like Vibes“, Evans am Klavier, Costa am Vibraphon) und vielen anderen. Sein wichtigstes Album als Leader ist zugleich eines der grossen Klaviertrio-Alben jener Zeit, „House of Blue Lights“ (Dot, 1959), auf dem derselbe Drummer wieder zu hören ist, wie hier: Paul Motian (1931–2011), der ein paar Jahre später auch zum Bill Evans Trio mit Scott LaFaro gehören sollte („Portrait in Jazz“, „Sunday at the Village Vanguard“, „Waltz for Debby“, „Explorations“). Motian hatte (wie auch der Bassist hier, Teddy Kotick) auch 1956 schon beim Debutalbum von Evans mitgewirkt („New Jazz Conceptions“; alle genannten Evans-Alben kamen bei Riverside heraus).

Aber hier geht es um Eddie Costa, der einen sehr dichten, meist auf das tiefe und mittlere Register konzentrierten Stil pflegte, mit einem unglaublichen Drive (der z.B. in der Gruppe von Tal Farlow, die oft ohne Schlagzeug auskam, für ordentlich Swing sorgte). Der nicht gerade sehr beliebte Track, seinem Mode-Album von 1957 entnommen, präsentiert mit Art Farmer (1928–1999) aber noch einen Musiker aus der Zeit, den ich sehr schätze. Vermutlich wird er – ähnliche wie Benny Golson (#2), Gigi Gryce (#5) oder Johnny Coles (#9) nicht als typischer Hard Bopper wahrgenommen, doch gehörte er in den Fünfzigern zum Quintett von Horace Silver, leitete später mit Golson zusammen das Jazztet (das etwas mehr Sophistication, mehr Beachtung für Arrangements und Material, aber und weniger Wumms mitbrachte als die typischeren Hard Bop-Combos), spielte auch bei Alben von Hank Mobley und anderen mit. Farmer und Coles können wohl neben bzw. nach Miles (und Kenny Dorham!) als die grossen Trompetenlyriker jener Zeit gelten (Chet Baker läuft da irgendwie auch noch mit, aber er schaltete sich ja immer wieder erfolgreich selbst aus).

Nach den Soli von Costa und Farmer ist auch noch Phil Woods (1931–2015) zu hören, der schon im Thema eine prägende Präsenz ist. Auch er ein Musiker, der völlig unter dem Einfluss von Charlie Parker stand, die Drogen aber überlebte und spät im Leben zu einer satten, ziemlich selbstgerechten Type wurde, die wenig Sympathie erwecken mag. Doch damals war Woods Spiel frisch, sein Ton noch biegbar (er selbst wohl auch, aber was geht uns das an?), und auch später machte er noch einige tolle Aufnahmen, z.b. mit der European Rhythm Machine, seinem Quartett mit den Pianisten George Gruntz bzw. Gordon Beck, dem Bassisten Henri Texier und dem Drummer Daniel Humair. Woods spielte – als Nachfolger von Jackie McLean – in den 50ern auch in der Band des Bebop-Pianisten George Wallington, wo er neben Donald Byrd (und Teddy Kotick) zu hören war – auch das eine Combo, die sich zwischen Bebop und Hard Bop bewegte, aber tolle Musik machte. Und wie ja schon beobachtet wurde, sorgt auch im Quintett von Costa Schlagzeuger Motian für eine gewisse Irritation bzw. für Abwechslung und einen Touch, der definitiv neuer ist, den es so im Bebop nicht gegeben hätte.

Trivia: beim von Colpix veröffentlichten „Eddie Costa Memorial Concert“ (Costa starb mit 31 in einem Autounfall) wirkten u.a. Coleman Hawkins und Clark Terry mit, aber auch Roy Haynes (#16) und Sonny Clark, der hochvererhte, hier leider abwesende Pianist, der schon im Januar 1963 selbst sterben sollte (an einer Heroin-Überdosis wohl, auch er).

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