Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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friedrich
Okay, Du begreifst Hard Bop sozusagen als Geflecht, das gemeinsame Bezugspunkte hat. Die von Dir oben genannten Verflechtungen sind für mich, der die Bezüge nicht heraushören kann, halt leider nicht zu erkennen. Aber wie gesagt: Hört sich dennoch gut an!

@friedrich Nein, ich begreife Hard Bop durchaus als stilistische Einheit – die reicht aber von der erwähnten Bud Powell-Session von 1949 (in der es nur ein typisch-hektisches Bebop-Stück gibt, während die anderen von einem entspannteren Groove geprägt sind, der für mein Empfinden den Hard Bop ankündigt oder vorwegnimmt) bis hin zu Alben wie „Kind of Blue“ oder auch zu „Out to Lunch“ oder „The Shape of Jazz to Come“. Hier wird bei allen Differenzen eine gemeinsame Sprache gesprochen (das ist uns im Rückblick natürlich auch viel leichter ersichtlich als es sich dem damaligen Beobachter darstellte). Es gibt eine gemeinsame Grundlage, eine allen gemeinsame Verankerung im Blues, eine in vielerlei Hinsicht gemeinsame Haltung (wobei vielleicht die Komplizenschaft von Ornette/Cherry wieder eher an den Bebop erinnert, an Parker/Gillespie, das „wir“ vs. die „anderen“ – dennoch: auch bei Ornette ist der federnde Beat, die tiefe Blues-Verankerung, der Soul, wenn man so will, der viel tiefer schürft als was man so unter dem Etikett „Soul Jazz“ vertickt) … in den zwei Zitaten, die ich von StoneFM hier rüber geholt hatte, werden diverse Stilmerkmale aufgeführt … und Du nanntest gestern ja interessanterweise Herbie Hancock: wenn Du für einen engen Hard Bop-Begriff votieren würdest, in dem z.B. #1, #5-8, #13 nicht mehr reinpassen, dann hat Hancock vielleicht mit dem Debut-Album noch knapp ein Hard Bop-Album vorgelegt, was danach folgte ist dann … „modal jazz“? Mit solchen kleinen und kleinsten Schubladen zu argumentieren ergibt – und da kommt wieder das Geflecht ins Spiel – einfach keinen Sinn, denn es gibt so dichte personelle und stilistische Zusammenhänge. Es gibt aber auch Differenzen – so ist z.B. ein Pianist wie der Mann aus #4 schon damals von einer zeitlosen Eleganz, dass man ihn fast schon als ausserhalb des Kontinuums stehend betrachten könnte. Dieses Kontinuum hat ja der Mann in #2 neben Bill Evans, der aber auch kein Hard Bop gemacht hätte, wenn man das eng sehen will, ganz massgeblich mitgeprägt, die Pianisten, die sich anderswo – bei Andrew Hill etwa (auch kein Hard Bop? meiner Ansicht nach schon, obwohl was, wie die ganze Blue Note-Avantgarde, in der zweiten Hälfte der Sechziger schon auch über die Ränder hinausgeht) – sind auch heute noch äusserst selten.

Und ich komme nochmal auf Monk zurück, in der Hoffnung, dass Du meinen Punkt da vielleicht nachvollziehen kannst (für vieles andere müsstest Du wohl mal hin sitzen und Musik hören und auf die Dinge achten, die ich beschreibe – aber ich beschreibe jetzt dann auch nichts mehr, wenn nur so saloppe, „ah, Du verstehst das so und so“-Antworten kommen, die mich völlig missverstehen): Monks „Beat“ war immer schon entspannter, relaxter, verschoben, weniger nach vorn, mit mehr Luft, mehr Dehnung drin, als z.B. der klassische Bebop von Parker und Gillespie (bei dem der Trommler in #1 massgeblich mitwirkte, aber auch der grosse Hard Bop-Übervater Art Blakey hatte seine Wurzeln im Bebop und wenn man will, kann man das wohl aus seiner druchvollen Spielhaltung auch später noch gut heraushören). Dass Monk nun Wurzeln im Stride Piano und überhaupt im frühen Jazz hat, ist wohl heute auch überall klar geworden. Er war kein Ufo, das 1947 in New York landete, aber das Hohepriester Image war sicherlich eine gute Marketing-Strategie und sein menschliches Auftreten passte wohl auch dazu: eine rätselhafte Figur, die rätselhafte, komplexe Musik machte – doch manchmal ist das Komplexe wiederum ganz einfach, nicht? Das gilt doch auch in anderen Künsten. Aber eben: der Beat von Monk und durchaus auch die Haltung der Musik, die mir keineswegs eine geschlossene Komplizenschaft suggeriert (die gibt es nur zwischen Monk und Thelonious und vielleicht noch Sphere, so der zweite Name denn nicht nur eine „urban legend“ war – me, mysel and I). Das ist Hard Bop.

Wenn wir mal auf die Drummer fokussieren:

#1 der Mann war DER prägende Neuerer im Bebop, der aber in den Fünfzigern eine der grossen Hard Bop-Combos leitete und später bis an die Grenzen und teils ganz bis zum freien Spiel durchbrach – aber immer ein sehr strukturierter Schlagzeuger war. Er hat nicht den entspannten Hard Bop-Groove drauf, hatte er nie – dennoch: seine Combo war eine der wichtigsten damals

#2 hier sind wir mittendrin … auch der Mann spielte in einer der zentralen Combos der Zeit, er hat einen flexibleren Beat, er spielt mit mehr Bewegung, mit mehr Swag – und er kann ganz fies zuschlagen, wenn man nicht aufpasst … er vollendet nicht die Phrasen der Bläser sondern tritt in den Dialog, wirkte damals auf manche Hörer geradezu aggressiv (nicht in diesem Track, zugegeben)

#4 und wieder der entspannte Beat, der hier viel netter daherkommt als in #2, leichter auch.

#9 der Mann hier klang später etwas anders, hatte in der betreffenden Combo einen hohen Wiedererkennungswert (man liebt ihn oder hasst ihn in der Regel – bei mir klar ersteres)

#14 auch den Herrn hier könnte man ev. am Sound erkennen – leichter als z.B. der in #2, aber auf subtilere, schlaue Art wohl noch ein paar Tacken individualistischer, wenn man ihn in etwas freierem Rahmen hört

#15 der Herr hier ist wohl tatsächlich ein Orgeljazz-Spezialist – in der Kapazität konnte er aber auch ganz anderes als diesen orgiastischen Walzer – synkopierte Grooves mit komplexen (einfach klingenden, da sind wir wieder) Mustern und so

#16 hier ist noch ein Veteran aus der Ära davor zu hören, dem aber eine sehr lange Karriere vergönnt ist und der auch erst in der Hard Bop-Zeit zu seiner wirklich eigenen Stimme fand.

#17 ist wieder einer, der im Hard Bop auftauchte, aber eben auch in Big Bands (Plural :whistle: ) spielte … was ihn jetzt aber nicht etwa verdächtig macht, er sei doch kein echter Hard Bopper oder so. Er wirkt eigentlich auf mich auch eher leicht, aber wenn er das wirklich wäre, hätte er keine Big Band vor sich hertreiben können, was er ganz vorzüglich beherrschte.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba