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@friedrich Nein, absolut nicht als Epoche, das wäre ja komplett sinnfrei, denn dann wären ja Dixieland, Cool Jazz (eine Spielform des Bebop ) und Swing und alles, was es sonst im New York der 50er noch zu hören gab, allesamt auch Hard Bop. Ich hab das in den Posts zu Beginn des Threads halt alles schon zu beschreiben versucht. Ich recycliere dann mal noch was, was ich für eine StoneFM-Sendung zum Thema gepostet hatte …
Teil 1
When most fans think of jazz, they think of hard bop’s mixture of hip street attitudes and a kind of hard-boiled melancholy …
~ David H. Rosenthal, Hard Bop: Jazz & Black Music 1955-1965
Hard Bop, die Musik von Miles Davis, Sonny Rollins, John Coltrane, Thelonious Monk, Charles Mingus, von Sonny Clark, Hank Mobley, Lee Morgan oder Horace Silver, das ist meine musikalische Heimat, sofern es so etwas denn gibt.
Der Bebop war Ende der Vierziger im Abstieg begriffen, die neue, kühlere Musik wie Miles Davis mit seiner „tuba band“ sie geprägt hatte, der „Cool“, hatte dem Bebop den Rang abgelaufen. Das schwarze Publikum in den USA war daran jedoch nicht sonderlich interessiert. Stattdessen wurden Rhythm & Blues-Bands populär, in denen viele Hard Bopper ihre Sporen abverdienten. Mitte der Fünfzigerjahre bemühten sich schwarze Musiker darum, den Bebop mit der populären Musik zu verbinden. Sie benutzen dazu oft Moll-Tonarten, zogen Einflüsse wie Blues und Gospel mit ein. Die Tempi wurden langsamer, die Melodien üppiger, eingängiger. Auch der „Spanish tinge“ kam wieder vermehrt zum Einsatz, man sprach von „Latin“ oder „Afro-Cuban“-Einflüssen, die etwa in Horace Silvers unsterblichem „Nica’s Dream“ zu hören sind. Auch Afrika trat verstärkt ins Rampenlicht: Art Blakey reiste 1947 nach Westafrika und blieb für zwei Jahre. Seine Jazz Messengers – zunächst eine kollektive Gruppe, in der auch Horace Silver mitwirkte – werden in der Sendung vom 8. Oktober ausführlich vorgestellt.
Horace Silver nennt in den Liner Notes zu seiner LP „Serenade to a Soul Sister“ seine eigenen „guide lines to musical composition:
A. Melodic Beauty
B. Meaningful Simplicity
C. Harmonic Beauty
D. Rhythm
E. Environmental, Hereditary, Regional, and Spiritual Influences.“Der für den Hard Bop charakteristischste unter diesen Zügen ist die „meaningful simplicity“. Im Vergleich zum Bebop scheint der Hard Bop in mancher Hinsicht auf das Wesentliche reduziert, seine Kompositionen sind nicht verschachtelt und kompliziert sondern bestehen aus Linien, die man singen kann, aus Melodien, die sich rasch im Gedächtnis festsetzen. Musikalische Kohärenz, so kann man mit Rosenthal sagen, wurde im Hard Bop nie technischer Blendkraft geopfert.
Der Zeitraum seines [des originalen Jazz Messengers Quintetts mit Horace Silver, Art Blakey, Kenny Dorham bzw. später Donald Byrd, Hank Mobley und Doug Watkins] Bestehens in den Jahren 1954-56 beschliesst eine Lücke, in der in New York der Jazz unter dem Schwarzen Publikum seine populäre Stellung verlor. David H. Rosenthal argumentiert in seinem Buch „Hard Bop: Jazz & Black Music 1955–1965“ schlüssig dafür, dass diese Lücke nicht vom kühleren Jazz, wie er nach Miles Davis’ Capitol-Sessions in Mode war, sondern von Rhythm & Blues-Bands gefüllt wurde, in denen auch viele Hard Bop-Musiker ihre Sporen verdienten.
Um 1953/54 meldete sich der afro-amerikanische Jazz zurück: zupackender, härter, bluesiger, „at once sinister and exuberant“ (Rosenthal), funky, mit eingängigen Melodien und Riffs, mit einem neuen, entspannten Beat, dem die Nervosität des Bebop meist fehlte, und – besonders bei Horace Silver – einem grossen Ideenreichtum, was ausgeklügelte Arrangements und abwechslungsreiche Kompositionen betraf. Der Hard Bop verband die Strasse, die Populärkultur mit dem Besten, was der Jazz in Sachen „Kunst“ zu bieten hatte. Die Musik war „hip“, sie war geradeaus, die Hard Bopper beherrschten die Kunst, Schwieriges einfach und locker erscheinen zu lassen. Und sie nutzten den Raum, den das neue Longplay-Format bot, das sich gleichzeitig auch im Jazz etablierte. Soli wurden auch im Studio länger, die Musiker hatten jetzt die Zeit, weite Bögen zu spannen.
Horace Silver & The Jazz Messengers: das ist eine der ersten Sternstunden des neuen Stils, der im folgenden Jahrzehnt dem Jazz zu einem letzten grossen Aufschwung verhelfen sollte. Notabene ist es dieser Stil, den man noch heute am direktesten mit dem Begriff „Jazz“ verbindet.
Jedenfalls halte ich die Zusammenstellung alles in allem für eine ziemlich typische Hard Bop-Compilation, auch wenn eben die zentralen Exponenten wie Silver und Blakey fehlen … dass es ein paar Ausreisser gibt, ist klar, doch auch da: nervöse Uptempo-Stücke wie #5, simple Blues-Nummern wie #11, lyrische Balladen wie #13 gab es immer, auch bei den typischsten Hard Bop-Combos. Das mag nicht der Kern sein, aber wenn eine Band einen ganzen Abend lang spielt, kann sie ja nicht nur immer finger poppin‘-Zeug wie #4, #7, #10, #14 oder #16 spielen … das wäre dann auch wieder nur die postfaktuale Erfüllung eines Klischees geworden. Deshalb streute ich so manches von den Rändern ein, darunter einen Track (#1), der eigentlich zu früh ist (aber eben: ich behaupte, dass der Hard Bop 1949 mit Bud Powell’s Modernists mit Sonny Rollins und Fats Navarro auf Blue Note beginnt, und eigentlich auch mit Thelonious Monk, der den Bebop quasi auslies, aber dennoch zu einer Vaterfigur der Bebopper wurde, und dann gibt es noch die 1951er-Session von Miles, die auf der LP „Dig“ oder „Diggin'“ herauskam, auch mit Rollins, zudem mit Jackie McLean), dann die Big Band-Tracks, bei denen ich aber auch keine allzu ernstlichen Zweifel ernst nehmen kann. Und klar kann man #3, #7, #10 und #11 auch als Soul Jazz hören, #15 und #16 vielleicht auch, doch liegt da nicht alles ziemlich eng beinander?
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Die Verflechtungen, als abstrakte Illustration:
#1 steht hier allein da
#2 hat direkte Bezüge zu #8, #17, #19
#3 steht allein da (und reicht vor den Bebop zurück wie auch über ihn hinaus)
#4 hat einen Bezug zu #9
#5 hat Bezüge zu #6 und #17 (wobei klar ist, dass #17 und #19 mit den grossen Besetzungen öfter auftauchen)
#6 hat einen Bezug zu #5
#7 steht allein da, aber da hast Du ja eine Spur geöffnet, die @vorgarten nun eigentlich bloss noch aufzulösen bräuchte, wenn er mal wieder hereinschaut hier
#8 hat Bezüge zu #2, #9 und #17
#9 hat Bezüge zu #2, #4 und #8
#10 hat einen Bezug zu #19
#11 steht allein da
#12 ebenfalls (das liegt aber am Album, das ich wählte, nicht am Saxophonisten)
#13 steht allein da (und ist mit etwas Abstand der späteste Track hier, doppelt indirekter Bezug zu #19)
#14 hat keine direkten Bezüge, was aber ein halber Zufall ist
#15 hat einen indirekten Bezug zu #1
#16 hat keine direkten Bezüge
#17 hat Bezüge zu #2, #4, #5 #8, #19 und einen indirekten zum wichtigsten der gekrönten Häupter des Jazz
#18 hat Bezüge zu #6, #17 und #19
#19 hat Bezüge zu #2, #10 und #17
Kann gut sein, dass ich was übersehen habe … wie eng verwoben die Bands hier sind, wurde mir in manchen Fällen auch erst bewusst, als ich die Infos für die Auflösung vorbereitete. Und als Sidemen sind durchaus ein paar der zentralen Hard Bopper vertreten (Lee Morgan, um mal einen Namen in die Runde zu werfen, der hier noch nicht ausgesprochen wurde, oder Hank Mobley wurden z.B. schon erkannt).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba