Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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vorgarten
#1
toll ausgewählte eröffnung. funktioniert super, ohne dass da individuell jemand besonders auffiele. das thema holt aus dem orientalistischen teil mit den punktierten bassakzenten immer wieder schwung, um in uptempo swing umzuschlagen, aber es verzögert sich alles so reizvoll, bis es endlich zum tenorsax-solo kommt. das ist dann ok (schöner ton, viel gefühl, aber weitestgehend abgerufene standardideen), wird etwas unsubtil vom klavier begleitet, aber der aufs ganze gehende drummer setzt den lange vorbereiteten höhepunkt (mit stoischer techno-hi-hat und nervöser bassdrum).
scheint mir ziemlich alt zu sein (anfang der 50er), digitales vinyl einer nicht idealen aufnahme, vielleicht sogar live, was aber alles nicht negativ auffällt, da man alles hört und die energie sich überträgt. kein schnickschnack, keine attitüde, diese musik sitzt und schwitzt. glaube nicht, dass ich da jemanden kenne, allenfalls beim drummer klingelt was, kann ich mir aber auch einbilden.

Das Piano ist dick, ja … ein Herr, den ich nicht wahnsinnig gerne mag und auch nie gezielt verfolgt habe, obwohl er auf einigen sehr schönen auftaucht (auch auf ein paar Alben, die wir beide, Du wohl fast noch mehr, verehren). Aber gut, mir ging es um zwei andere (nicht den Bassisten, von dem ich sonst nur Verstreutes aus ungefähr derselben Zeit und auch etwas früher habe, ohne dass er mir jemals aufgefallen wäre … Mingus, Brown und Pettiford waren zwar schon unterwegs, Percy Heath folgte gleich, aber der grosse Schritt nach vorn mit Chambers, Watkins, Jones, Ware usw. stand gerade erst bevor. Beim Drummer klingelt aber unbedingt was :-)

vorgarten
#2
auf einer dezent unterstützenden bläserwolke fließendes altsax. nach dem thema blues-schema, das blaunötige klavier setzt jetzt die atmosphäre, während die bläser schön im hintergrund anwesend bleiben. ist nicht ganz so mein ding, weil das schema mich dann doch sehr wenig interessiert. der trompeter setzt sehr deutliche lee-morgan-signale (würde mich da fast festlegen, aber um diese zeit war der ja so sehr role model, dass bestimmt viele einen lee-morgan-stil hatten) und sich mit dem strahlenden ton deutlich von der lässigen schwere des altsaxes ab. toller soloeinstieg des klaviers, danach macht er aber im rahmen nur noch alles richtig. das tenorsax versucht sich anschließend als showstehler, das ist gleichzeitig am vernuschelndsten und am virtuosesten. posaune schält sich schön aus dem bläsersatzanschub heraus, bariton darf dann auch ton zelebrieren. eine klassische nummernrevue, bei der doch jeder andere akzente setzt. bass und schlagzeug dürfen auch noch. das thema ist schön arrangiert, gar nicht spektakulär, aber es macht sofort recht glücklich.

Ein kleines Ensemble mit guten Arrangements, ein Mann, dessen Tage gezählt waren, ein aufkommender Jungstar, eine eingespielte, ziemlich freche Rhythmusgruppe (die zu recht auch noch zum Zug kommt), ein in seiner Wichtigkeit, was die Nachwirkungen im Mainstream-Jazz (Post-Bop, whatever) betrifft etwas unterschätzter Mann an den Tasten, und sonst noch ein paar, auch ein Tenorsaxer, den man am Ton eigentlich ganz rasch erkennen müsste … immerhin fünf der sieben tauchen hier anderswo nochmal auf (allerdings nicht alle solistisch). Den Tenorsaxer schätze ich sehr, wegen Sound und wegen „delivery“. Die Show stellen tut er hier nur so halb, er war wohl schon damals kein echter extrovertierter Musiker, auch wenn sein Hawkins/Parker-Mix anderes nahelegen mag. Von mir selbst wäre ich jedenfalls enttäuscht, wenn ich ihn nicht auf Anhieb erkennen würde, bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich das bei dem Solo hier geschafft hätte.

vorgarten
#3
auch schön. klaviertrio mit einem toll synkopierten thema. bass klingt in seiner trockenheit sehr nach chambers. das klaviersolo ist nichts anderes als meisterhaft. es wird zu keinem punkt langweilig, weil ihm wirklich nie die ideen ausgehen. jedesmal, wenn man denkt, es kommt ein abschluss, geht er in eine neue verzierung über und nimmt wieder anlauf für die nächste variation. rhythmisch ist das hochgradig flexibel und insgesamt so dicht, dass der schlagzeuger sich komplett aussuchen kann, wo er einen akzent setzt, er trifft immer was. abgründe höre ich hier nicht, aber eine mit leben gefüllte form. keine ahnung, wer das sein könnte, aber da gibt es auf jeden fall wurzeln in älteren stilen, nicht nur beim pianisten.

Dass der Track bisher durchgehend gefällt, freut mich sehr! Hatte befürchtet, dass er da und dort vielleicht als etwas belanglos wahrgenommen werden könnte (oder gar als langfädig). Chambers ist hier nicht. Den Drummer, ich schrieb es schon, mag ich eigentlich nicht, aber wie Du richtig sagst, er kann hier gar nichts falsch machen (anderswo empfinde ich ihn als störend/nervös/nervig). Denke, das hier wird eine ziemliche Überraschung – mal schauen, ob es jemand auflöst oder nicht!

vorgarten
#4
ziemlich drastische veränderung im sound. hier ist der tontechniker mitglied der band. das supercoole, dabei bluesige, tenor spielt eine hipp vorwärtsschreitende pink-panther-melodie, die dann aber mit bläsereinsatz fast zum funeral march wird (mit den typisch ambivalenten fröhlichen-feierlichen hüpfern). das tenorsolo behält die ernsthaftigkeit bei, die hipness hat etwas sehr körperliches, da kann sich jemand gut bewegen. ganz toll finde ich hier die klavierbegleitung, die im festen rahmen ganz viel öffnungen anbietet. dieses quartet würde mir fast schon reichen, aber der auf einem ton hängende bass kündigt etwas schwereres an (posaune oder french horn?). das solo ist viel ungelenker, auch der pianist gibt sich weniger mühe, um danach selbst nochmal aufzutrumpfen. aber es sind auch hier nur andeutungen, er mag nichts aufbrechen oder woanders hin führen. die trompete hält sich enger am thema, lässt lücken, arbeitet suchend mit dem material, traut sich etwas, hat persönlichkeit. das thema kommt genauso wie am anfang, was ok ist, denn man möchte diese entwicklung zur parade gerne nochmal hören – es hat trotzdem was von stillstand, denn der ganze individuelle aufwand hat am ende nichts verändert.

Vom Fast-Major zum Mirkolabel … das Thema hier kommt von einem Grossen, der fehlen musste, weil er sofort erkannt worden wäre, aber der Ersatzmann, der es präsentiert, macht schon einen sehr tollen Job, spielt das Ding mit einer Nonchalance, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres unter der Sonne – und zieht das dann auch gleich im Solo durch: sparsam, auf den Punkt, mit einem super Ton und genügend Ideen, die er ziemlich konsequent ausspielt, ohne dass es deshalb öde würde. Die Posaune ist tatsächlich ungelenker – J.J. Johnson gab es halt nur einmal (und Jimmy Cleveland hätte sich zu dem Zeitpunkt wohl nicht mehr für eine so „kleine“ Session hergegeben), dennoch, ich finde das Ding ganz gut – und das Beinahzitat von „Knock Me a Kiss“ ab 2:51, das der Pianist dann gleich als Solo-Einstieg aufgreift, finde ich witzig. Dass der Pianist sich kein Bein ausreisst, scheint mir auch, aber die Stimmung in seinem Solo ist doch ziemlich gut? Und dann ist ja noch die sehr feine Trompete, die am Schluss des Reigens ein wenig untergeht. Die Idee, das gaze Album nur im Quartett zu kriegen, gefällt mir natürlich, zumal ich den Track wegen dem Saxer ausgewählt habe (es war dies einer der ersten gesetzten Tracks, an den ich nach Deinem Vorschlag umgehend gedacht hatte).

vorgarten
#5
hier müsste man wohl die abgrenzung vom bebop erklären. das schlagzeug wirft einen motor an, altsax und trompete werfen sich kürzel und füllungen zu, dann verschiebt sich erstmal was zu dem verhallten klavier (live-aufnahme?), das die herausforderung des tempos ziemlich sportlich nimmt. trompeter kommt mir bekannt vor, oder sie wird sehr im stil der zeit gespielt. noch technischer erscheint mir das altsax. klavierbegleitung bräuchte ich nicht, ist ja alles dicht genug und das akkordschema hat man ja auch auf anhieb verstanden. schlagzeug arbeitet gekonnt mit dem eindruck unabhängiger einzelteile, aber das ganze genügt sich doch sehr in seiner sketchhaftigkeit. vielleicht das erste stück hier, das mich nicht so beeindruckt, das mir zu generisch daherkommt.

Der Pianist ist irr, spielte öfter mal nur in den mittleren 2-3 Oktaven in einer Verdichtung und mit einer Phrasierung, die unglaublich zieht und treibt. Die Abgrenzung fällt mir hier schwer, aber ich wollte den Herrn an den Tasten drinhaben und die Auswahl war nicht sehr gross (zu lange Stücke, zu offensichtliche Stücke …). Aber mir scheint sich das vom Bebop schon in mancher Hinsicht abzuheben, zudem gab es diese Art von Tracks 1954/55 auch bei Blakey und Silver weiterhin – ein richtiger Bruch mit dem Bebop ist der Hard Bop ja eh nicht, es sind eher andere Akzente. Aber ja, der Track hier hätte auch in einer „Bebop in den 50ern“ seinen Platz, kein Zweifel. Der Saxer ist jedenfalls ein Bebopper, der Herr am Bass steht dazwischen, die anderen sind eher etwas später aufgetaucht, aber sozialisiert wurden die ja eh alle noch in den Big Bands und den herumziehenden Rhythm & Blues-Bands und wohl als Hörer an der 52nd Street.

vorgarten
#6
gerade denke ich, dass ich jetzt mal eine ballade gebrauchen könnte, da kommt sie auch schon. aber was für eine? das operettenhafte klavierzwischenspiel lässt mich an eine leihgabe aus hollywood denken, dazwischen schwebt eine etwas kitschige trompete und ein aufgeregt schluchzendes altsax auf pedalverstärkten vibrafonwellen. der bass klingt elektrisch, das liegt aber wohl am digitalen aufbrezeln der analogen quelle. die sentimentalität (emotionalität?) läuft ein bisschen an mir vorbei, aber das stück ist reizvoll schräg zusammengebaut, bis hin zum geklapper am ende.

Hollywood mag sein, ja … aber der Ton der Trompete ist doch super? Das hat nichts Auftrumpfendes und das zartbittere Alt fängt das doch auch gleich wieder auf. Das ist quasi der weiche Hard Bop, ohne die Mackerpose, die ja sonst fast immer im Vordergrund steht. Kein Wunder sind die Leute hier alle nie ganz gross herausgekommen (die Bläser waren immerhin bis in den 80ern da, wobei der Saxer wenig später verstummte – seine Biogrpahie müsste ich mal vertiefen). Und ja die Aufnahme klingt nicht gut, aber es war mal wieder das verhältnismässig obskurste Album, das ich gerade griffbereit habe – jedenfalls ein eingespieltes Team hier.

vorgarten
#7
nächstes genre. erstmal viel sympathie für den sound, den orgelbass, den schönen walzer-swing, die dynamischen instabilen hammond-akkorde. gitarre macht einen guten job, fast nur single-notes, rhtyhmisch akzentuiertes skalen-auf-und-ab. tenorsax schafft es, nicht als extra zu wirken. aber dann kommt das orgelsolo, und das ist dann wieder was, woraus man ganz viel lernen kann: erstmal nur in der mittleren frequenz bleiben, spannung aufbauen zwischen gehaltenen und akzentuierten tönen, den bass zum rock-artigen ostinato werden lassen, mit wiederholungen die 1 verlieren, für bewegung sorgen, dann den hammond-effekt nummer eins einsetzen: sprung in die hohen lagen (und die gitarre verschluckt sich gespielt vor schreck). dramaturgie aus dem lehrbuch, aber mit einem genauen gespür für jede einzelne farbe seines instruments.

Tolle Beschreibung des Orgelsolos, danke! Erkennen könnte man hier wohl am ehesten die Gitarre, obwohl der Mann auch deutlich Klassischeres gemacht hat. Der Saxer ist eher ein underground hero in der Orgeljazz-Welt (die ja ein vollständiges Paralleluniversum ist). Ich hatte noch am Stück herumstudiert, weil ja beide Orgeltracks im 3/4 sind – aber egal, es musste dann doch dieser Track sein, der sich auch gut als Opener einer Orgel-Compilation machen würde.

vorgarten
#8
paukenwirbel, träger groove, schöner aufbau des themas, tänzerische latin-grundlage (eine art rumba, wenn ich mich nicht irre), mit toll verzahnten bläsern und einer bass-klavier-verschaltung, der beweglichste teil bleibt tollerweise das schlagzeug, das dazu einen schon sehr sophisticateten zugang hat (hier sind wir eher ende 50er, anfang 60er, oder?). könnte blakey sein, jedenfalls finde ich den bei sowas schon früh stilprägend. es gibt aber auch noch einen c-teil, den ein verspieltes klavier dominiert. letzteres darf auch solieren, auf ziemlich eigenwillige, fast schon arbeitsverweigernde weise. bass-solo, neue farben vom schlagzeug. alles arbeitet eher auf atmosphäre hin, weniger funktional richtung solo-revue. weiß nicht, ob ich das klavier mag, hat aber was. schönes stück.

Die zeitliche Einordnung ist gut (am spätere Ende). Blakey ist nicht dabei, wie gesagt, aber den Drummer gibt es sonst noch wo. Die arbeitsverweigernde Weise des Klavierspiels ist eben die grosse Composer’s Piano-Linie, Ellington, später Mike Westbrook, und dazwischen der Mann hier, der es verdient hätte, zum grossen Klassiker geworden zu sein, wozu es aber leider nicht ganz reichte. Bei mir ist er ganz gross (und ein Hard Bopper ist er eigentlich nicht, aber mit der Band hier gibt es da keine Zweifel). Was für ein Rhythmus hier genau zugrundeliegt, kann ich nicht sagen, aber ich finde das ganze in seiner Trägheit, kombiniert mit dem verschattenen Sound der Bläser und dem tollen Drummer extrem verführerisch.

vorgarten
#9
das ist wieder swaggy hipstermusik. komischerweise habe ich vom ersten ton an das gefühl: das kommt nicht aus den usa. schwer zu beschrieben, warum – es gibt viele ungewöhnliche farben (trompete und baritonsax, dann gitarre und bariton-sax unisono, generisches blues-klavier, eigentlich ein bigband-drummer, dann kommt aber erstmal nur gitarre und bass zum einsatz und so weiter), im rhythmus bleibt es aber ziemlich starr. gitarre ist recht modern, hat sich den status quo draufgeschafft und sucht jetzt nach erweiterungen. muss da an jemanden wie szabo denken, oder coryell, aber vielleicht sind das eher franzosen oder polen… das solo ist eigentlich gar nicht so spannend, es ist eher der ehrgeiz in der begleitung, der mir auffällt. bin mir unschlüssig: entweder ist das supergut abgehangener mainstream oder als eine art von jazz angeeignet, an die man von woanders her gerne anknüpfen möchte.

Kommt wie schon erwähnt aus den USA, wie alles hier … ich habe nicht mal bis nach Kalifornien geguckt, weil die Auswahl dann schon wieder viel zu mühsam geworden wäre. Szabo und Coryell passen wohl schon auch irgendwie (Szabo war ja obendrein auch Ungar …) – aber der Mann hier ist älter. Mir ging es aber eher um die Trompete, und ich mag den entspannten Groove schon auch sehr gerne. Man kann es sich denken, dass die Alternative bzw. der vielleicht an sich schönste Track dieser Session ein 10- oder 11-minütiger Blues war, den ich aber wegen der Länge aussortierte. Die Sache mit „keine Gitarre ohne Klavier“ ist schon interessant, und ich weiss ja genau, was Du meinst – ich höre Gitarre auch lieber ohne Piano (oder meinetwegen auch im Trio/Quartett mit Piano/Bass(/Drums), ober dann halt ohne Bläser, das ist dann die Linie von Nat Cole, Oscar Peterson … George Shearing). Grant Green hat genau zweimal im Trio aufgenommen (und dazu gibt es eine Verbindung hier, wobei ich damit vielleicht schon zuviel verrate). Der Trompeter hat nicht gerade viel aufgenommen, obwohl er keiner der frühen Abgänge war (keiner hier, glaube ich) – ich mag seinen Ton unheimlich gerne und fand das hier dann ganz gut geeignet für den BFT, obwohl es etwas unfertig ist. @udw hört hier, wie das Tempo rausgenommen wird – ich höre den Track gerade wieder an und glaube nicht, dass das geschieht, bzw. sicherlich nicht bewusst, man bildet sich das vielleicht eher wegen der Dynamik ein, da es hier manchmal ja sehr leise zu und hergeht? Jedenfalls finde ich das einen der sympathischsten und am wenigsten von Posen geprägten Tracks hier. Aber eben: auch hier kam keiner wirklich gross raus (der Pianist noch am ehesten).

vorgarten
#10
weiter geht es mit dem zug. und der hat ordentlich dampf im kessel. schöne helle, klare aufnahme. könnte durch die westküste fahren. ganz toller tenorsaxofonist, der das mit einem wahnsinns selbstbewusstsein erstmal an sich reißt. kein energieeinbruch weit und breit. da die aufnahme den bass so präsent macht, bekommt alles einen schönen druck. trompeter knickt nicht ein, hetzt aber eher hinterher, als dass er irgendwas vor sich hertreibt. jetzt kommen schlagzeug-fours, die ich nicht so zwingend finde. sehr schade hier, dass der pianist nicht zum solo kommt, dessen subtile, sparsame gesetzte begleitung ich eine qualität für sich finde. neben dem abgefahrenden thema natürlich, das sie bestimmt lange üben mussten.

Das ist wieder eine Aufnahme, die bei einem grossen Label herauskam – der Sound ist recht eng, aber passt für diese Musik perfekt. Und ja, das ist schon so, der Mann am Sax hat erstmal einen tollen Sound und weiss, wie er es anstellt, man denkt fast, er ziehe sich selbst an den Haaren durch das Solo … die Trompete schafft das nicht ganz so bruchlos, aber das macht sie eher noch sympathischer. Bass (gut) und Drums (nicht so gut, etwas zu hektisch, auch schon gegen Ende des Trompetensolos) sind mir völlig unbekannt, ich glaube ich habe sie nur hier drauf … und den Pianisten wohl auch. Als Combo finde ich die fünf aber alles in allem schon schwer in Ordnung und den Track ziemlich tight.

vorgarten
#11
langsamer blues, piano trio. ganz großes ausrollen. volle aufmerksamkeit auf den pianisten, der sich hier nicht lumpen lässt. keine falsche zurückhaltung. in dieser kategorie fällt mir eigentlich nur oscar peterson ein. wieder so ein fall, wo man mit „authentizität“ nicht weiterkommt – das ist abgerufenes effektwissen, das sich über einen langen zeitraum entwickelt hat. es funktioniert alles blendend, man hört ihm gebannt zu wie einem geschichtenerzähler, dessen material man in- und auswendig kennt, dessen effekte sich aber nie abnutzen. die form ist genau dafür da und sie wird hier so gefüllt, dass alles stimmt.

Yep, das rollt … die anderen sind Begleiter. Peterson ist das natürlich nicht, der kriegt den Blues aber auch nicht so hin. Und wie ich gestern schon schrieb, hätte ich diesen Track vor einigen Jahren selbst wohl noch als öde abgewatscht, finde denn Mann hier inzwischen aber ziemlich gut – auch weil ich mit dieser Art des Storytelling wohl inzwischen einfach mehr anfangen kann.

vorgarten
#12
schöner übergang. verminderte klavierakkorde, die erstmal lücken setzen, erwartungen schüren. dann kommt ein angefeuchtetes tenorsax ins spiel und spielt in abstrakten kürzeln um autumn leaves herum. auch hier denke ich wieder: europa. sie wollen es nicht so wie immer machen, sondern mal anders. sehr schön, wie das klavier in die lücken spielt, aber trotzdem scharfe akzente setzt. und wenn es losgelassen wird, dann liefert es auch. finde ich fast origineller als das sax, aber es verhakt sich schon sehr präzise in taktvorgaben und notenwerten. ein akademischer musiker, scheint mir. spaß macht mir aber der individualismus-abgleich zwischen den solisten, die sich hier spürbar herausfordern und inspirieren.

Nicht Europa, wie gesagt, aber Provinz (nicht immer, aber zu dem Zeitpunkt schon, und in Europa war er auch mal) … das ist auch ein Bebop-Ding, und natürlich „Autumn Leaves“ sondern eins der wirklich tot und kaputt gespielten Lielbingsstücke der Bebopper und noch mehr der Hard Bopper. Ich höre hier nichts Akademisches, eher eine fast schon notorische Sperrigkeit (die auf den bekannteren, etwas früheren Aufnahmen aber ausgeprägter ist). Über die Sidemen weiss ich überhaupt nichts, aber das Album ist sowas wie ein Untergrund-Klassiker (wenigstens bei Leuten wie Jim Sangrey drüben auf Org oder bei redbeans und mir).

vorgarten
#13
dass das hier mein liebling ist, habe ich ja schon angedeutet. eine ballade, wie sie sein muss – da wird ein atmosphäre gesetzt, dann öffnet sich der raum (hier tatsächlich auch in der aufnahme) und das solo steigt mit jedem chorus in eine neue höhe, als hätte es angst, dass der moment endet (man denkt, es ist alles gesagt, aber dann greift der drummer zu den sticks und dann geht es eigentlich erst richtig los). wir hören hier ein flügelhorn und keine trompete, oder? ich finde es unfassbar, wie hier der ton moduliert wird, ohne in die effektkiste zu greifen, das stück wird eher geatmet als gespielt, aber auch die melodieführung ist schnörkellos und völlig frei in ihren ideen. der spratzer in der coda ist der einzige (ironische?) angeber-moment, zu dem die band dann aber einen kleinen modernistischen twist anschließt. bis äußerst gespannt, wer das sein könnte – ich kenne nicht so viele flügelhornisten im hardbop, thad jones vielleicht, aber das hier ist bestimmt jemand ganz anderes, vielleicht sogar mir völlig unbekanntes. wunderbar.

Der Trompeter könnte eigentlich gut der Sohn von Thad Jones sein … er war ein paar Jahre zu jung und erwischte gerade noch das Schwanzende des Hard Bop (das hier ist die spätestes Aufnahme in der Zusammenstellung, was man anderen Tracks des Albums auch gut angehört hätte) – vermutlich kennst Du den Namen, ohne allzu viel Konkretes mit ihm zu verbinden (obwohl er schon auf ein paar feinen Alben auftaucht) – so geht es mir mit ihm jedenfalls.

vorgarten
#14
back to afro-cuba, aber nur so halb. „manteca“ ist von 1947, lese ich gerade. hier kommt eine spanischgefärbte erweiterung zum einsatz und dann wird es eigentlich zu etwas völlig anderem. ganz viel generisches material, um den starsolisten eine farbige grundlage für die arbeit zu geben. der tenorsaxer hangelt sich ein bisschen am akkordschema entlang, bringt aber ein schönes dynamisches wechselspiel zum einsatz. es kommt eine tonschöne, etwas ungelenke posaune ins spiel (nicht moncur, oder?), dann ein baritonsax. viele dunkle farben, sowieso. die variation von hängenbleiben und losswingen finde ich auf dauer langweilig, verbinde ich aber auch mit vielen sachen aus den 50ern und frühen 60ern. klavier hat schwierigkeiten, dann kommt aber auch schon das thema wieder. den dunklen sound mag ich, aber sonst ist das sehr abgerufener standard.

Woher die das hier haben, kann ich wirklich nicht sagen, aber sonderlich originell war das alles nicht mehr zu der Zeit, klar (da ist #8 direkt ein Kleinod) – aber mir macht der Track einfach verdammt viel Spass. Wie sich das Thema aus dem Ensemble/Intro heruasschält, wie die Posaune und das Barisax dahinter agieren. Das Posaunensolo finde ich auch hier wieder nicht schlecht (ist nicht derselbe wie anderswo und auch nicht Moncur, neine). Der Pianist machte wohl erst Jahrzehnte später Aufnahmen als Leader, ich kenne ihn überhaupt nicht, er hat wohl (Pop)Sängerinnen begleitet und stand im Schatten anderer.

vorgarten
#15
der rausschmeißer macht großen spaß. blubbernder orgelbass, eine gitarre, die das thema nicht geübt hat, aber sofort zum aufgekratzten uptempo-solo ausholt, aber von der orgel gleich wieder weggefegt wird. meine güte, geht das ab. die aufnahmetechnik zieht sich zusammen und sieht rot. wahnsinn, einfach diesen einzelnen ton festzuhalten, und dissonant alles andere drum herum zu schichten (schöne, agile drums dabei). fetz, krach, polter, aus.

Schön, dass auch der Track so gut ankommt. Ein Mann, der leider viel zu wenig Beachtung gekriegt hat – aber das Album, von dem das Stück kommt, ist klasse (ich kenne es noch nicht lange). Den Gitarristen habe ich ein paar Jahrzehnte später wieder, in völlig anderem Kontext (hab die Sachen nicht im Ohr und auch eher nicht greifbar, befürchte ich), er hat damals aber noch ein paar weitere Orgelsessions gemacht (eben: ein ganzes Universum für sich). Das mit dem gehalteten Ton ist wirklich völlig irre!

vorgarten
#16 (bonus #1)
vom rotlicht in die kirche. gospel mit ruf und antwort. ich kenne das, aber komme nicht drauf. das erste, worauf ich mich festlegen würde, wäre billy higgins an den drums. beim altsax bin ich mir tatsächlich nicht sicher, auch wenn ich ihn sehr toll finde. noch besser aber den pianisten, der in den vorgaben recht starr bleibt, darin aber ganz überraschende ideen anbringt. alles eine geschmacksfrage, ich finde es wunderbar. fehlte hier in diesem bft tatsächlich noch, solch ein stück.

Nicht Higgins, aber die Drums sind hier wohl die deutlichste Spur. Würde mich nicht überraschen, wenn Du das Album wirklich kennst. Der Pianist war an sich alt genug, als dass er noch hätte gross herauskommen können, stattdessen hatte er um diese Zeit erst seine grossen Sideman-Jobs (nahm aber auch ein Debut-Album als Leader auf). Ich mag ihn gerne, aber weil es halt keine Reihe von Riverside- oder Blue Note-Alben als Leader und passend assortierte Sideman-Auftritt gibt, vergisst man ihn gerne etwas. Den Saxer schätze ich auch sehr, und der Bassist ist gut, aber hier macht er halt seinen Job.

vorgarten
#17 (bonus #2)
großorchestrale live-version von „solitude“, für ein posaunensolo eingerichtet. ganz schön fett und selbstgenügsam. ich weiß nicht so recht, wie ich das hören soll. scheint mir fast begraben unter 1000 eingeübten show-gesten, die keinen bezug mehr zur substanz haben. warum müssen die einsätze so stark ins fortissimo gehen, was bringt das in einem posaunensolo, das am liebsten wohl ungestört seine eingeübten tonabfolgen dahinstellen will. einsamkeit zu erzählen, in einem solch vollgestellten raum, von da aus in ein bestimmt nicht kleines publikum geschmettert, scheint mir nicht so ganz ohne widersprüche zu sein.

Hm, Du sollst halt der Posaune lauschen, die man nicht soooo oft zu hören kriegt (und schon gar nicht so prominent). Und ist das mit dem Erzählen vor Publikum nicht immer so, ist nicht jede halbwegs ehrliche Kunst (und das schliesst Posen und Masken und Verkleidungen natürlich gar nicht aus) immer auch ein Erzählen von Einsamkeit? (In der Band, die hier natürlich zweite Geige spielt, sitzen einige Leute, die hier auch prominenter zu hören sind.)

vorgarten
#18 (bonus #3)
oh, querflöte – sowas von jemand anderem als von mir in einem bft präsentiert, überrascht mich ja immer könnte in deinem fall natürlich auch lateef sein, dann wäre es wohl ok. der song ist auf jeden fall „delilah“ (nachdem ich lange dachte, es sei „taboo“). frage ist jetzt natürlich, ob der flötist auf tenor wechselt oder das zwei musiker sind. schönes energetisches solo jedenfalls, das sich zwischendurch natürlich schon in etwas dehnt und streckt, für das hardbop-formeln bald zu eng werden. bisschen doofer einstieg der gitarre (im ganzen bft – im ganzen hardbop? – keine gitarre ohne tastenintrument, übrigens, ich versteh’s einfach nicht…), dann aber sehr schöne akkordische, weiche weiterentwicklung. dezent modernistisches, vor allem aber virtuoses klaviersolo, das seinen rahmen auch schon als sprengbar anspielt. tolle rückführung ins thema (und da merkt man auch – flöte und sax werden von unterschiedlichen leuten gespielt). ich glaube ja, dass man „delilah“ eher langsam spielen sollte, und frage mich, welche farbe das stück jetzt ins den bft einbringt, die bisher gefehlt hätte?

„Delilah“, genau – ein Stück, das ich (auch dank Lateef) sehr gerne mag. Er ist es wie gesagt nicht. Zu den Instrumentenwechseln hier kann ich nicht viel mehr sagen, ohne gleich alles zu verraten, glaube ich – möglicherweise wurde das hier live aufgenommen (ich hab den Applaus schnell ausgeblendet), aber vielleicht auch nur vor Gästen im Studio? Overdubs gibt es kaum, denke ich … aber auch hier mal wieder: der Drummer könnte Hinweise geben, allerdings denke ich kaum, dass wir ihn generell identifizieren können, dazu müsste man viel mehr von dem generischen Zeug kennen, das in den Siebzigern so rausgehauen wurde … ist natürlich ein Profi, der alles kann.

vorgarten
#19 (bonus #4)
hier verstehe ich es sofort. wie man eine big band so messerscharf arrangieren und auf zack bringen kann, ringt mir große bewunderung ab. ein stück aus wolken und nadelspitzen. hier geht’s nicht um „solitude“, soviel ist klar. das ist eine äußerst kommunikative angelegenheit, von einem fantastischen drummer zusammen gehalten. würde jetzt auf mel lewis tippen, kenne mich aber natürlich nicht aus. über die soli würde ich jetzt eher weniger reden. ich wäre da nur gerne in der ersten reihe gewesen – mit nichts, um meine ohren zu schützen. toll.
soviel erstmal – vielen dank für diese kompakte lehrstunde in variationsreich und lebhaft ausgefüllter form, ich bin sehr gespannt, was die anderen schon geschrieben haben und freue mich auf die diskussion!

Nicht Mel Lewis, aber der Drummer – und das Arrangement und der Tenorsaxer – ist der Hauptgrund, warum das hier eher Hard Bop und nicht Bebop ist. Die Jones/Lewis-Band nannte ich oben ja als die vielleicht originäre Hard Bop-Big Band (die aber kam, als die Zeit schon zu Ende war), das hier ist fast ein Jahrzehnt früher, war kurzlebig, sind aber diverse grosse Namen involviert – und auch wieder Leute, die anderswo zu hören sind (auch unter den Solisten). Der Drummer hatte als Teenager eine frühere Band dieses Leaders gehört und sich in den Kopf gesetzt, auch so zu spielen, wie der Drummer jener Formation … später zerbrach eine Verlobung (oder auch nur eine Beziehung, so klar ist sowas bei O-Ton ja nicht immer, aber die Rede ist von „my girl“ und „that messed up the engagement“) daran, dass das Mädchen sich gedisst fühlte, weil diese Band wichtiger war … „I got to find some way to play with this man“. Er kannte die ganze Musik, und als er dann tatsächlich den ersten Abend mit der Band gespielt hatte, legte ihm der Leader einen Arm um die Schulter und sagte zu ihm: „Man, you’re really doing well; now that you know what to play, you got to learn that not to play.“ :-)

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba