Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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Was heisst denn „“Jazz““ überhaupt? Das, was die Leute so für Jazz halten (Kenny G – der spielt ja nie ein Solo), das was Friedrich nicht für Jazz hält? Anführungszeichen und Ironie sind einer ernsthaften Diskussion nicht sehr dienlich – es sei denn, es folgt dann wirklich noch etwas Substantielles, auf dessen Basis man überhaupt diskutieren kann. Ich verstehe nicht ganz (bwz. schon, es ging ja schon vorher um Hard Bop, aber unten steht auch gleich noch einmal, warum das auch schon vorher alles nicht stimmte), warum das alles jetzt wieder kommt, wo wir uns am Schluss eh wieder einigen werden? Schnelldenken und damit die ganze Diskussion finde ich persönlich nach wie vor unergiebig und nicht konstruktiv.

Es ist nicht einfach so, dass die Dinge zusammenhängen, sondern es ist ganz spezifisch so, dass der Hard Bop sich aus dem Bebop entwickelte, dass er sich gerade dadurch abgrenzt, dass dem Arrangement und dem Gruppensound mehr Gewicht gegeben wurde (im Vergleich mit Big Band-Arrangements oder manchen ausgeklügelten West Coast- und/oder Cool Jazz [1]-Stück natürlich immer noch recht wenig). Beim Bebop ist es das Unisono-Spiel der Frontline (in der Regel t/sax), das das „Zusammen“ signalisiert, die Abgrenzung zwischen drin und draussen, dabei und nicht dabei zieht, sehr demonstrativ und mit den verkapselten komplexen Linien, die dann auch noch eng mit den Drums verzahnt werden (man achte bei beliebigen Parker Quintett-Sessions mit Roach darauf, wie dieser die Phrasen Parkers beendet, die Pausen füllt, in denen dieser atmet) und natürlich vom Klavier gefüttert werden, während der Bass eigentlich auch draussen bleibt und für den steady beat sorgt, den die Drums schon mal etwas aus dem Fokus verlieren ob all der bombs, die sie zu droppen haben.

Im Hard Bop nun geht es weniger um die Enge der Bläser (die auch wieder öfter zu dritt antreten – gab es im Bebop fast nur J.J. Johnson an der Posaune, sind es jetzt wieder mehrere Musiker, die prominent auftauchen, Johnson ist immer noch dabei, aber auch Curtis Fuller, Julian Priester, der Swing/R&B-geprägte Bennie Green und andere gewinnen ein wenig Prominenz), dafür wird das dichte Zusammenspiel der ganzen Band umso wichtiger. Man nehme die Jazz Messengers von 1954, da hat jeder seinen Platz gefunden, auch der Bass ist jetzt stärker eingebunden (Doug Watkins ist vielleicht der grösste der Hard Bop-Bassisten, auch wenn er in Paul Chambers‘ Schatten stand, sein Time, sein Ton, seine Phrasierung – eigentlich alles eine Spur oder zwei besser als bei Chambers, der natürlich auch sehr toll ist). Jetzt geht es um die Pose, die Haltung – und im „Zusammen“ des Hard Bop, so dünkt mich, ist eben, und das ist ganz zentral, auch Platz für das Publikum. Hard Bop ist in diesem Sinn eine nach aussen greifende, inklusive Musik, die sich öffnet, die auch die letzte Phase startet, in der der Jazz noch so etwas wie Mainstream-Musik war (was er wohl erstmals in der Swing-Ära geworden war, als dann auch irgendwann die Grenzen zwischen Sweet und Hot etwas verschwammen, Benny Goodman und Artie Shaw die Rassengrenzen zu ignorieren begannen und Musiker sowie Arrangeure an Bord holten, die „schwarze“ Elemente in die Musik der grossen Bands brachten … nebenher machten natürlich Basie, Ellington, Lunceford, Chick Webb, Benny Carter und diverse andere ihr Ding, das in aller Regel weiterhin deutlich besser war, als was die weissen Bands zustanden brachten).

Im Hard Bop also gab es Platz für Bebopper wie Barry Harris (der auf Riverside eine ganze Reihe von Alben einspielte), es gab Platz für die Orgel, für Gospel- und Spiritual-Einflüsse, der Blues war weiterhin (wie im Bebop, wo er aber oft etwas verschleierter daher kam, wobei Charlie Parker natürlich ein grossartiger Blues-Musiker war, ganz wie John Coltrane) wichtig, drang auch mehr in den Vordergrund, mit Horace Silver und den Messengers wurde ein erdiger, bluesiger Sound prominent, der das „Zusammen“ des älteren Jazz mit der Abstraktion des Bop verband („The Preacher“) … die Trennlinie verlief jetzt aber eben nicht mehr am Bühnenrand sondern viel weiter aussen. Hard Bop fand den Weg in die Jukeboxen, Blue Note und andere stellten bis in die Sechzigerjahre hinein Singles her. Kommerziell war das alles sicherlich nicht mehr annähernd so lukrativ wie bis zum Kriegseintritt der USA, die Zeiten hatten sich halt geändert, die Musik damit, auch der Jazz …

Viele der Hard Bop-Musiker verdienten ihre Sporen (das tat man damals noch, einige belegten dann zudem auch noch Kurse an renommierten Musikschulen oder studierten gar ordentlich Musiktheorie oder sonstwas) in Rhythm & Blues-Bands, die in den Vierzigern durch die Lande tingelten. Die bekannteste von ihnen ist wohl die von Lionel Hampton (der von Armstrong zu Goodman und später mit seiner eigenen Musik einen verdammt weiten Weg gegangen ist!), aber es gab unzählige kleinere Bands, in denen auch gute Jazzmusiker spielten, die in den grossen Zeit des Hard Bop auf klassischen Alben und in wichtigen Gruppen auftauchten. Das, was man in diesen Bands lernen konnte, beeinflusste den Hard Bop ziemlich sicher stark: Zusammenspiel, ein guter Groove (Swing, wie auch immer – an den Worten kleben nützt auch nicht weiter), der den Leuten in die Beine geht, der richtige Mix aus Unterhaltung und Musik, das Auftreten (das ja heutige Jazzmusiker leider oft überhaupt nicht mehr beherrschen – klar soll es nicht wichtig sein oder gar vor der Musik stehen, aber man geht ja immerhin auf die Bühne und führt was auf, und das ist nicht wie Tante Emma, die der Hochzeit ihrer vierte Nichte einen Witz erzählt oder so – nichts gegen Tante Emma versteht sich, aber …)

Und zuletzt: der einzige, der starr am Schema festhielt, in das man sich anscheinend so langfristig und hartnäckig verbeissen kann, obwohl es eigentlich doch nur eine fixe Idee ist: Thelonious Monk, Columbia, 1962-1968. Und das ist ja wiederum ein Sonderfall. Die Alben sind durchaus „quintessential Hard Bop“, es gibt ja gewissermassen sogar einen Saxophonisten, der seine Persönlichkeit an der Garderobe ablegt, bevor er mit der Band auf die Bühne oder ins Studio geht, der tighte Swing der Rhythmusgruppen, die nicht mit Virtuosität glänzen (ausser Frankie Dunlop, den ich sehr gerne mag, der aber auch nicht bei allen gut ankommt) sondern damit, einen hippen „in the pocket“ Groove hinzuknallen, und das mit einer formidablen Nonchalance … das knüpft wiederum am selben Punkt an wie einst die Messengers oder das Quintett von Cannonball Adderley, der mit Sam Jones/Louis Hayes eine Rhythmusgruppe dabei hatte, die genau diese hohe Kunst perfekt beherrschte. Wenig am Hard Bop ist so straight und einfach, wie es scheint – vieles ist Pose, Haltung, es gibt ein Dahinter, und es gibt Abgründe en masse, eigentlich in gerade schon beängstigendem Ausmass. Die Musiker starben ja auch wie die Fliegen. Am einen Tag noch ein sublim-schönes Album gemacht, das vielleicht obendrein noch die Drogenabhängigkeit in der Szene kommentiert, am nächsten tot. Hard Bop ist wohl keine gesündere Musik als der Bebop es war, wenn man das aus der Perspektive anschaut. Dass er straight und eingängig ist, ist halt wirklich nur die eine Seite.

[1] Wobei Cool Jazz ja nur eine Spielart des Bebop ist, da bleibe ich dabei, und West Coast Jazz quasi Swing cum Bop ist, also die dunklen und schwierigen Aspekte des Bebop weitgehend ausblendet, selbst der junge Art Pepper klingt meist noch ganz unbeschwert – aber klar, auch da müsste man weiter differenzieren und würde Ausnahmen finden (vermutlich aber erst in den frühen Fünfzigern und v.a. bei den Pianisten, die an die „bekloppte“ zweite Garde der Bebopper und Swing-to-Bopper anknüpft (Joe Albany, Dodo Marmarosa …), also bei Leuten Russ Freeman, Hampton Hawes, Claude Williamson, Pete Jolly. Bei Giuffre oder Baker oder Shank oder Cooper oder Pepper oder Perkins oder Kamuca tauchen die Schatten erst später und bei manchen auch da nur punktuell auf (bei Giuffre werden sie wohl sublimiert, in seiner eigenen Musik sind sie für mein Empfinden oft da, ohne dass sie gespielt werden müssen – der Ton der Klarinette kann schon reichen, warm und mit schönen Linien, hinter denen der Abgrund aber lauert … bei Pepper ist der Abgrund in den späten Fünfzigern und zuletzt auf dem passend betitelten „Intensity“, eigentlich seinem Schwanengesang für die nächsten 15 Jahre, völlig offen da – aber auch er bedeckt ihn meist noch mit einem Vorhang, und sei der auch nur aus Gaze)

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