Antwort auf: Alice Coltrane

#10509717  | PERMALINK

vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

Beiträge: 12,549

nachtrag – aufnahmen von 1966

session 2.2.1966 (coltrane-sanders-coltrane-garrison-ali-appleton)

„manifestation“ und „reverend king“ auf COSMIC MUSIC von alice coltrane 1968 herausgebracht, mit zwei stücken aus einer alice-session vom januar 1968. wiederveröffentlicht von impulse mit diesem cover:

zwei weitere stücke („peace on earth“, „leo“) von der 1966-session landen mit overdubs hierauf (1972 veröffentlicht):

session 21.4. 1966 (coltrane-sanders-coltrane-garrison-ali)

4 stücke, unveröffentlicht, wahrscheinlich verloren.

28.4., 2 weitere stücke, gleiche besetzung, unveröffentlicht, verloren.

28.5.1966, live im village vanguard, coltrane-sanders-coltrane-garrison-ali-rahim, im mai von impulse veröffentlicht (chronologisch also die erste veröffentlichung der neuen band)

„naima“ und „my favorite things“, 2 fantastische soli von sanders, ein langes unbegleitetes solo von garrison, alice coltrane soliert nicht.

2.7. 1966, newport jazz festival, coltrane-sanders-coltrane-garrison-ali, privataufnahme, unveröffentlicht

„my favorite things“ mit einem frenetischen sanders-einstieg, einem komplexen langen solo von alice, aus dem john quasi emporsteigt, „welcome“ als tour de force des leaders, dann das aufgekratzte „leo“ mit einem vergleichsweise kurzen solo von alice.

es gibt auch ein bisschen bewegtbildmaterial, im original ohne ton, hier behelfsmäßig (falsch) angelegt, john quasi mit dem instrument verwachsen, garrison exstatisch, sanders am rand, alice sieht ein bisschen nach klavierlehrerin aus, angespannt, technisch. nachmittagslicht, spärlich besetzte zuschauerreihen, ein großes fragezeichen.

während der japan tour (8.-24.7.1966) werden zwei konzerte in tokio (am 11.7. in der sankei hall, am 22.7. in der kosei-nenkin hall) vom japanischen rundfunk aufgezeichnet und später von alice auf 2 doppelalben (das cover oben stammt vom ersten) herausgebracht. das gesamte material bekommt man u.a. auf dieser 4-cd-box:

einen überblick über die tour findet man hier von @gypsy-tail-wind und hier von katherine whatley.

einen ausgewogeneren eindruck kann man von dieser band wohl nicht bekommen. die stücke sind zwischen 25 minuten und einer stunde lang, die soli bis zu 20 minuten, der sound ist mono, aber transparent, die musik bleibt sehr themengebunden, ist darin oft von großer schönheit, während die freien exkursionen unterschiedlich heftig ausfallen. sanders hat es weitgehend aufgegeben, sich krampfhaft von coltrane abzusetzen und arbeitet sich mit großer variabilität und tiefe am material ab, es gibt solistische karrierehöhepunkte sowohl von garrison („my favorite things“), als auch von ali („leo“) zu bewundern, john coltranes spiel ist eigentlich kaum zu beschreiben, in der tendenz aber deutlich tonaler als z.b. auf OM oder KULU SE MAMA oder auch der februar-session.

auch alice bekommt natürlich viel solo-raum, in dem sie ihren zugang zur musik der band weiter verfeinert. das gelingt unterschiedlich spannend, ist aber mit dem spiel von tyner tatsächlich kaum mehr zu vergleichen, auch wenn sie in „my favorite things“ das walzer-gefühl beibehält (vielmehr immer wieder dahin zurückkehrt). tatsächlich erscheint sie mir im temple-university-auftritt noch eigenständiger und bei den sessions im folgejahr (ohne sanders) noch integraler in ihren beiträgen, wobei sie schon hier in „leo“, dem abstraktesten stück des japan-repertoires, am meisten überzeugt. masabumi kikuchi, der bei letzten konzert der tour in tokio anwesend war, hat betont, dass er speziell ihr spiel als „frisch“ und „gut klingend“ wahrgenommen hat.

11.11.1966, live, mitten hall/ temple university, philadelphia, coltrane-sanders-coltrane-johnson-ali-knoblauch-joyner-u. ali-kenyatta-brown-dewitt

2014 veröffentlicht, in einer soundqualität, die die soli gut abbildet, den gesamteindruck aber nur spekulativ erahnen lässt. da kommt sanders schon von seinen eigenen TAUHID-sessions (spielt hier aber die aggressivsten und selbstbewusstesten soli, die ich in der coltraneband von ihm kenne), coltrane hat hymnische gesangsszenen, zwei jugendliche altsaxofonisten bringen ein fast altmodisch wirkendes fire-playing ein, eine percussion-armada verdichtet die trance-ebene der musik, die sich rhythmisch noch weiter öffnen will, um die expressivität der soli einzurahmen (quasi als vorstudie zu den duetten von coltrane und ali). alice coltrane erscheint mir sehr gefestigt und cool in diesem kontext, sie hat sich gefunden und setzt noch mehr die athmosphäre, die ohnehin einen melancholischen sinn für schönheit und selbstvergessenheit verbreitet. geoff dyer sagt:

I would question the assumption that there is something “spiritual” about this last phase of Trane’s musical journey. If it’s there I can’t hear it. What I do hear is the momentum of what he’d done before—and a situation he’d helped to create—carrying him towards a terminus, a brick wall, a dead-end or, in the cosmic scheme of things, some kind of interstellar void.

richard brody kritisiert daran die patronisierende „trane“-vereinnahmung, die in ihrer erwartungshaltung zur enttäuschung führen muss. coltranes musik sei keine „befreiung von etwas“ gewesen, sondern eine „freiheit“, um etwas neues, anderes vorstellbar zu machen, aus einer selbstsicheren familiären sicherheit heraus. insofern seinen die gesangsmomente während des philadelphia-konzerts für ihn

spontaneous and ingenuous expressions of rapturous joy. But they are gestures that would have had little place amid the prodigious musical strength of Coltrane’s classic quartet. On the other hand, they’re right at home in Coltrane’s open-ended quasi-hangout band, in the familial intimacy that gives rise to its vulnerable furies.

--