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eins meiner halbernst verfolgten jazzhistorischen hör-projekte ist ja gerade, die entwicklungen von coltrane und davis nach KIND OF BLUE parallel zu hören. dazu möchte ich zwei kleine einträge machen. der erste hat rein gar nichts mit miles zu tun.
am 2. februar 1966 nimmt das coltrane sextett (coltrane-coltrane-sanders-garrison-ali-appleton) in san francisco dieses stück auf, das später, mit einem „ugly edit“ auf COSMIC MUSIC landen wird (und wahrscheinlich nur ein ausschnitt aus einer langen improvisation über „leo“ ist).
mich interessiert das gerade, weil es die erste aufnahme von alice coltrane in der band ihres mannes ist – sie ist nach ihm und sanders (auf einer piccoloflöte) ab 5’02 mit einem etwa zweieinhalbminütigem solo zu hören, das ich sehr interessant finde. meine alice-rezeption ist natürlich von einer großen sympathie gefärbt, auch wenn ich behaupten würde, dass mein bild von ihr schon etwas komplexer ist als das der später harfespielenden spiritual-jazz-ikone, die in der band ihres mannes noch recht funktional eingesetzt wurde, jedenfalls beschäftigen sich die wenigsten kommentare, die man über ihr spiel bei john so lesen kann, überhaupt mit dem, was sie da eigentlich macht. speziell über dieses solo ist kaum etwas zu lesen (in den besprechungen von COSMIC MUSIC z.b.), @gypsy-tail-wind beschreibt es in seinem chronologischen coltrane-überblick als „eher ereignisarm“.
tatsächlich höre ich gleich mehrere ereignisse darin, vom ereignis einer neuen stimme in dieser band abgesehen. nachdem ich ihre begleitung bis zum solobeginn kaum wahrgenommen habe (sie ist im mix nicht sehr präsent, macht aber auch keine wesentlichen angebote an die anderen solisten), ändert sich ab 5’02 sofort der charakter des stücks. schon am ende von sanders‘ solo, das komplett alle angebote seiner mitmusiker*innen ignoriert, bereitet sie das vor: ein eher hymnisch angelegtes zwei-akkord-schema, das wie eine kleine hommage an tyner wirkt, das mit dem soloeinstieg an die oberfläche drängt und das sie nach ein paar interessanten variation zunehmend in die abstraktion und mehrdeutigkeit überführt. was ganz großartig dabei ist, ist, wie garrison diese bewegung aufgreift, unfassbar schnell und flexibel. die später charismatischen eindunkelnden ambivalenzen in alices rechte-hand-läufen entwickeln sich hier zögerlich (nicht als masche oder rezept), dazwischen schlägt sie motivisch immer wieder eine zweiton-figur vor, die sie mit der linken hand rhythmisch konturiert und damit die virtuosen abwärtslinien rahmt. ihr zugang ist also sowohl rhythmisch wie harmonisch wie auch motivisch, was vielleicht weniger durchdacht als vielmehr suchend erscheint, aber dennoch eine menge unternimmt in zweieinhalb minuten. das ist alles nicht sonderlich spektakulär, aber wirkt auf mich wie eine kleine erzählung über den charakterwechsel der coltrane-musik selbst, der von der swingenden, hymnischen beseeltheit der tyner/jones-begleitung in etwas sehr viel unbestimmteres, voraussetzungsloseres führt.
hiernach werde ich noch kurz über das räumliche zusammentreffen der coltrane- und davis-bands in newport (juli 1966) schreiben, von dem ich bisher gar nichts wusste – der auftritt des davis-quintets ist ja auf der newport-bootleg-box drauf, die inoffizielle aufnahme des coltrane-auftritts zirkuliert im netz (und wurde von gypsy auch schon beschrieben). wie gesagt – das nur als kleine subjektive einwürfe, aus inselinteressen heraus. vielleicht hört ja jemand mit (und anders).
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