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Picking up the Pieces
(Regie: Dean Tschetter – USA, 1989)
In Pittsburgh geht ein geheimnisvoller Prostituiertenkiller um, der seinen Opfern verschiedenste Körperteile entfernt. Zwei etwas derangierte Cops, Joe und Sweeney, machen sich an die Aufklärung, unterstützt von der Tochter eines verschwundenen Kollegen aus Las Vegas der vor Jahren in einem ähnlichen Fall ermittelte. Bei den Leichen gefundene Hieroglyphenprophezeiungen führen ins ägyptische Viertel, wo der Täter tatsächlich Großes vorbereitet…
Als eine der bemerkenswertesten Fehlentscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stellte sich im Jahr 2004 die Indizierung von „Blood Feast“ auf Liste B heraus. Damit war dieser Klassiker zur Begutachtung durch ein Gericht vorgesehen, das über eine mögliche Beschlagnahmung zu bestimmen hatte (und diese auch anordnete). Hier ging es nicht um irgendeinen Horrorfilm, sondern um den Grundstein des Splatterkinos, den Herrschell Gordon Lewis gut 40 Jahre vorher legte. „Blood Feast“ birgt in seiner blutrünstigen, humorvollen und günstigen Machart die Blaupause für spätere Filme, die vor allem in den 1980ern als Heimvideo ein sehr großes Publikum finden sollten. Man mag sich gar nicht ausmalen, welche Art besorgter Bürger im zuständigen Gremium hockte und diesem charmanten, aber auch leicht angestaubten Film schwerste Jugendgefährdung attestierte.
„Picking up the Pieces“ könnte als Remake von H.G. Lewis Werk durchgehen, die Parallelen in der Geschichte sind sicher kein Zufall. Für den vom Theater stammenden Bühnenbildner Dean Tschetter, dessen erster Ausflug ins Regiefach dies war, ergaben sich durch sein bisheriges Engagement in der Hochkultur einige Schwierigkeiten, das ihm vorgelegte Treatment als Hommage zu erkennen, besaß er doch zu Beginn des Projekts so gut wie keine Genre-Erfahrung. Dementsprechend beeindruckt (um nicht zu sagen schockiert) war er von Filmen wie „The Texas Chainsaw Massacre“ und „Evil Dead“, die er sich im Rahmen seiner Recherche in Videotheken ausgeliehen hatte. Im Bewusstsein der Cash-In-Motivation der Produzenten setzte er alles daran seine künstlerischen Standards mit der offenherzigen Darstellung von Sex und Gewalt zu vereinen.
Ende der 80er Jahre waren die heftigsten Filme des Horror-/Splatter-Genres schon abgedreht und viele Streifen dieser Art bewegten sich fort von der bloßen Schock- und Ekelwirkung, hin zur Unterhaltung, so dass auch vermehrt komödiantische Elemente eine Rolle zu spielen begannen. Tschetter greift dies in seinem Script auf und schreibt einige nette Gags um die Polizeiarbeit und den Killer, die in ihrer Tonlage manchmal an die zu diesem Zeitpunkt sehr populären „Die nackte Kanone“-Filme anknüpfen, in die eher düstere Geschichte um einen ägyptischen Kult, der aus Menschenopfern das ewige Leben schaffen möchte. Darüber vergisst er jedoch nicht die wichtigen Eckpfeiler des Splatterfilms und geizt ebenfalls nicht mit ausgefallenen und blutigen Morden, die er in eine morbide, leicht sleazige Atmosphäre bettet, welche in den dunklen Bildern des Films ihren Widerhall findet.
Für die Special FX konnte man eine Koryphäe ihres Fachs engagieren: Niemand geringeres als Tom Savini („Dawn of the Dead“, „Maniac“, „Friday the 13th“) bastelt Latex, Prothesen und Blutpacks zusammen. Leider wurde seine Arbeit vor dem endgültigen Release durch die MPAA (Filmzensurbehörde der USA) beschnitten, die tiefgreifende Kürzungen für ein R-Rating verlangte. Lediglich in Japan findet man heute noch eine besondere Langfassung, welche einige Morde in längeren Einstellungen aufweist; auch der in Deutschland auf DVD veröffentlichte „Director’s Cut“ fußt auf dem zensierten R-Rating-Material. So ist „Picking up the Pieces“ nicht die ursprüngliche Splattergranate, weist aber noch genug blutiges Material auf, um Genre-Fans zu erfreuen. (Mich amüsierte vor allem der Rückbezug auf Abel Ferraras „The Driller Killer“, dem von phantasielosen Zuschauern, die auf ihre Realität pochten, die Nutzung einer Bohrmaschine zu Tötungszwecken auf offener Straße, ohne eine einzige Steckdose in Sichtweite, vorgeworfen wurde. Dementsprechend zieht Tschetters Bösewicht einen Handkarren mit Generator hinter sich her. Ein großer Spaß!)
Die Schauspieler fügen sich den überspitzten Charakteren, vor allem die beiden ermittelnden Polizisten, was zu Theatralik und Overacting führt, die einem solchen Unterhaltungsprodukt jedoch angemessen scheinen. Herschell Gordon Lewis selbst nahm die Konstellation zwischen abgebrühtem und dauerkotzendem Cop in seiner Fortsetzung „Blood Feast II: All U Can Eat“ wieder auf; eine nette Geste, um die Grenzen zwischen Original und Hommage zu verwischen.
Als Handlanger von kommerziellen Produzenteninteressen wurde schon vielen Regisseuren das Herz gebrochen und auch im Falle von Dean Tschetters erstem Baby sollte es nicht anders laufen: Man fuhrwerkte ihm nicht nur im endgültigen Schnitt dazwischen, er musste auch die Umbenennung des Projekts in „Bloodsucking Pharaohs in Pittsburgh“ verkraften, den der Regisseur noch Jahre später als „scheußlichsten Filmtitel aller Zeiten“ verschmähte. (Vielleicht tröstet ihn die DVD-Neuauflage unter seinem ursprünglichen Titel „Picking up the Pieces“ ein wenig.)
Schließlich kaufte Paramount den Film und veröffentlichte ihn ohne viel Aufhebens auf Video. Über die Jahre sammelte er eine kleine Fangemeinde um sich, die den verschrobenen Charme des Low-Budget-Reißers zu schätzen weiß: Der dreckige, dunkle Look, die blutigen Kills, ein wenig nackte Haut und einige mal mehr, mal minder gelungene Gags sorgen für 90-minütiges Vergnügen. Die Fans jubeln, Erika Mustermann verlässt vorzeitig und würgend den Saal: „Tomato salmon casserole?“
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