Antwort auf: Cecil Taylor

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Am 9. und 10. Januar fand Cecil Taylors Gruppe sich erneut im Studio in New York ein. Am ersten Tag war wieder die Kerngruppe dabei, also Buell Neidlinger am Bass, Dennis Charles und Billy Higgins am Schlagzeug sowie Archie Shepp am Tenorsaxophon. Nominell war damals wohl Buell Neidlinger der Bandleader, das Material erschien dann aber unter beider Namen, also Taylor/Neidlinger als Co-Leader, die zweite und dritte Lieferung später nur noch unter Taylors Namen. Ich bin auch nicht sicher, wie das Material erschienen ist, das erste von drei Alben mit Aufnahmen von den beiden Tagen ist New York City R & B – es kam möglicherweise vermutlich nicht 1961 heraus, bevor Nat Hentoff sein Label Candid wieder dichtmachte, sondern erst ein Jahrzehnt später (Wiki sagt 1961, RYM sagt 1961 aber bildet das Barnaby-Cover von 1972 dazu ab, bei Discogs gibt es erst einen Eintrag für die Barnaby-Ausgabe von 1972 …). Hentoff schreibt seine Liner Notes jedenfalls einerseits so, als sei er ganz nah an den Sessions dran, erwähnt aber auch, dass sie für Candid eingespielt wurden, aber noch nie zuvor veröffentlicht wurden (was für ein anderes Label, also Barnaby, spricht) und erwähnt am Ende auch, dass Taylor seither nicht mehr habe aufnehmen können (was bitte ist denn mit den beiden Blue Note-Alben?). Neidlinger, so berichtet Hentoff, spielte 1960-63 mit dem Houston Symphony Orchestra, stiess dann zum Center for Creatitve and Performing Arts an der Universität in Buffalo, kehrte als Free-Lancer nach New York zurück und spielte danach für drei Jahre beim Boston Symphony Orchestra. In Boston lehrte er auch am New England Conservatory of Music und spielte in einer Rock’n’Roll-Band (mit dem Namen „Luny Toons“)

„O.P.“ öffnet mit einem feinen Bass-Intro, das allerdings wie der Rest von Neidlingers Spiel für meine Ohren nicht sehr viel mit Pettifords wunderbar melodiösem und agilem Spiel zu tun hat. Wenn ich für Neidlinger Vorbilder suchen muss, sind das eher Mingus und vielleicht Musiker wie George Tucker oder auch Wilbur Ware. Aber gut, Neidlinger wird in den Liner Notes auch zitiert, dass er das Stück in erster Linie geschrieben habe, damit Taylor mal einen zwölftaktigen Blues aufnimmt. Das Klavier ist zwar auf den einen Kanal verbannt, aber was Taylor hier spielt ist schon ziemlich phantastisch! Das Schlagzeug bleibt recht unaufdringlich, ist aber gut – die erwähnten Kesselpauken, die Higgins wohl im Studio vorfand und einsetzte, sind auch mal kurz zu hören.

Von dieser ersten Session stammt auch das nächste Stück, „Cell Walk for Celeste“, das mit Shepp aufgenommen wurde, hier sitzt wieder Dennis Charles am Schlagzeug. Das Stück, so Hentoff in seinen Liner Notes, „represents, as Buell observes, the creative peak of that particular Cecil Taylor Quartet. They’d had a long run in the play, The Connection, and were accordingly very much ‚together‘. The piece itself, Buell goes on to emphasize, is an especially clear illustration of Cecil’s compositional abilities. ‚Listen,‘ he advises, ‚to how Cecil has actually orchestrated the work for piano, bass, drums, and tenor. This is not just a regular jazz chart. There are real parts for everyone. Cecil, as a matter of fact, taught the drum part by rote to Dennis Charles. They play in unison a lot on this piece, and at the time, Dennis didn’t read music.“

Dass hier etwas besonderes geschieht, hört man vor allem in den ersten Minuten – da setzt sich die Musik tatsächlich erst aus dem Zusammenspiel der vier allmählich zusammen, baut sich auf. Irgendwann fällt die Gruppe dann in einen swingenden 4/4 und ab da sind es vor allem das Piano aber auch – grad im Zusammenspiel mit Taylor – das Schlagzeug von Charles, die für etwas Besonderes sorgen, einen Groove, Punktierungen, Akzente, wie man sie so noch nicht gehört hat. Shepps Solo ist ziemlich kohärent, er fällt da und dort in Klischees, zitiert fast mal einen Standard … das passt gut, ist dann aber doch wieder der konventionellste Teil des Ganzen. Im folgenden Klaviersolo wird die Form wieder stärker aufgebrochen, Taylor schleicht sich quasi von hinten an, leise, mit ein paar Kürzeln, die er zu repetieren und aufzuschichten beginnt, rasante Läufe, Stakkato-Riffs, auf die Charles anspringt, darunter ein konstantes Grummeln, stets in Bewegung, angetrieben auch vom Bass Neidlingers, der aber auch hier wieder die altbekannte Stabilisierungsrolle übernimmt, 4 to the bar fast ohne Ausnahme.

„Cindy’s Main Mood“ ist das dritte Stück, wieder im Trio, wieder mit Higgins – die zwei Stücke mit Higgins, Remakes von Stücken, die schon mit Charles eingespielt wurden, entstanden wohl am zweiten Tag, während der All Star Session, von der dann das letzte Stück auf dem Album stammt. Neidlinger wird von Hentoff dahingehend zitiert, dass das Stück bei den Sessions improvisiert worden sei, eine Hommage an die Tänzerin Cynthia Clark. Das klingt jedenfalls – auch wenn es ein Remake einer Idee vom Vortag sein mag – tatsächlich ziemlich frei … und Higgins, den man hier unschwer erkennt, demonstriert auch sein Händchen für unkonventionelle Lösungen, sein Spiel passt wesentlich besser in den freieren Kontext, als es bei Charles der Fall ist (ich betreibe hier übrigens kein Charles-Bashing, nichts läge mir ferner, ich mag seine späteren Sachen enorm gerne, aber hier ist diese Musik ja erst im Entstehen und er war nun mal nicht der grosse Free Jazz-Schlagzeug-Pionier, da kursieren wohl nicht ganz ohne Grund andere Namen, z.B. der seines Nachfolgers bei Taylor, Sunny Murray, der ja ziemlich sicher bei den Oktober-Sessions schon dabei war, s.o.).

Den Ausklang macht dann eine erste Kostprobe der All Stars, und zwar Mercer Ellingtons „Things Ain’t What They Used to Be“. Die Kerngruppe (Shepp, Neidlinger) mit Higgins am Schlagzeug wird erweitert um die Bläser Clark Terry (t), Roswell Rudd (tb), Steve Lacy (ss) und Charles Davis (bari). Im Thema spielt Shepp mit seinem ruppigen Tenor über die anderen – man denkt sofort an Ben Webster … dann folgt Taylor mit einem etwas ereignisarmen Solo, das aber die Stimmung recht gut einfängt. Shepp folgt dann wieder, Taylor wacht unter ihm immer mehr auf, spielt die seltsam geschichteten Akkorde, die man von ihm inzwischen kennt, die mich wie ich gestern schon schrieb mehr an Herbie Nichols denn an Monk erinnern … und ja, natürlich auch an Duke Ellington. Es gibt dann einen Solo-Reigen mit hübschen Beiträgen von Lacy, Rudd etc., doch das alles wirkt für meine Ohren ziemlich träge, der kollektiv improvisierte Abschluss soll wohl nochmal die Bezüge zum alten Jazz betonen (die Taylor beim Konzert in Newport selbst herausstreicht, in der Ansage, die zwischen dem Opener von Billy Strayhorn und dem folgenden Blues steht). Am Ende darf Shepp wieder über das Thema improvisieren, während Taylor es von unten mit gegenläufigen Rhythmen torpediert … die beiden Themendarbietungen sind hier wohl das beste.

Mehr Material von den Candid-Sessions im Januar 1961 erschien in den Siebzigern und Achtzigern auf zwei weiteren Alben. Hier fehlt im Vergleich zur Mosaic-Box nichts, es gibt insgesamt 15 Takes von beiden Sessions. Jumpin‘ Punkins erschien zunächst in Japan und in den späten 80ern auch sonstwo und auf CD. Zu hören gibt es von den All Stars zum Auftakt Mercer Ellingtons Titelstück sowie zum Ausklang einen zweiten wohl späteren Take von „Things Ain’t What They Used to Be“. Dazwischen findet sich der erste Take von „O.P.“ (Trio mit Dennis Charls) und „I Forgot“ (Quartett mit Shepp) (und um die dokumentarische Misere zu verbessern, steht auf meiner UK-CD von 1989 „6. Januar“ … auf der ZYX-CD von „World of“ steht auch was von November statt Oktober 1960 – da haben sich eine Menge Leute wirklich Mühe gegeben, nichts richtig hinzubekommen und es hat geklappt).

In „Jumpin‘ Punkins“ kriegt die Band den Ellington-Sound ziemlich gut hin, wobei Lacys Sopransax für eine spezielle Note sorgt (Johnny Hodges weigerte sich ja leider – anscheinend wegen ausbleibender Lohnerhöhung als „doubler“ – schon früh, bei Ellington auch Sopransax zu spielen) … Neidlinger sorgt mit einem Orgelpunkt für Spannung im Thema, der Groove ist lebendiger als in „Things“, Higgins wirkt animierter. Lacy spielt das erste Solo, die anderen Bläser begleiten ein wenig, die Rhythmusgruppe ist astrein hier – und gerade Neidlinger finde ich hier mal wieder richtig gut. Der Soloreigen geht weiter: Clark Terry (klar, der kommt auch hier bestens zurecht, er hatte ja auch ein feines Album mit Monk eingespielt) ist der nächste, sein Ton ist berührend, das Zusammenspiel mit den riffenden Bläsern besonders schön. Dann ist Higgins an der Reihe, auch bei ihm riffen die Bläser, was natürlich eine schöne Idee ist – und obendrein für eine Kohärenz sorgt, die bei „Things“ einfach nicht gegeben ist. Es folgt Taylor am Klavier, kurz und knackig, eigentlich mit einer einzigen Idee, aus der er ein tolles Solo macht. Davis folgt, leider nicht so schön aufgenommen; er ist bei mir irgendwie einer jener Musiker, bei dem ich mir – von den Ansätzen, die ich höre, vom Sound her – stets mehr erhoffe, als er dann liefert. Vermutlich habe ich ihn einfach noch nicht wirklich verstanden. Fein ist dann Roswell Rudds vokalisierendes Solo zum Abschluss, dem eine arrangierte Passage mit Drum-Breaks folgt, ein Choo-Choo-Shout-Chorus, die mit wilden Läufen Taylors über dem Ensemble zum Thema zurück führt. Schön.

Ob man hier auch an die Mingus-Sessions dachte, das Zusammentreffen mit Roy Eldridge und Jo Jones? Dort finde ich die Ergebnisse wesentlich überzeugender, weil alle die Ärmel nach hinten rollen und loslegen, während bei dieser Taylor-Session vieles doch etwas zögerlich und verhalten wirkt. Besser ist dann „O.P.“ mit einem weiteren schönen Intro von Neidlinger. Dieser erste Take ist etwas kürzer und mit Charles vom Temperament her etwas anders, da rollt weniger, es wird fein punktiert, aber auch mal eine Bombe fallen gelassen mit der Bass-Drum, oder eine Salve trockener Snare-Schläge eingestreut. Da ist jedenfalls wieder das Trio, das zu diesem Zeitpunkt schon über vier Jahre immer wieder zusammengespielt hat, der Zauber der frühen Sessions ist hier nicht mehr da ist, die Musik der drei hat sich weiterentwickelt, war vielleicht allmählich am Ende angekommen – doch das ist toll!

Das zweite neue Stück hier ist „I Forgot“, das mit einem schönen Solo Archie Shepps beginnt, nachdenklich und sehr getragen. Taylor begleitet frei, Neidlinger streicht den Bass, ein festes Metrum gibt es hier nicht, eine Rubato-Ballade von betörender Schönheit. Nach knapp vier Minuten Charles, alleine, ein paar leise Beckenschläge, dann nach einer halben Minute Taylor, grummelnd, auch ganz leise und behutsam, an die Stimmung anknüpfend, die Shepp aufgebaut hat. Dann wieder Charles und die Becken und schliesslich ein Ausklang mit zunächst gestrichenem, dann gezupftem Bass im Quartett. Ein bezaubernder Ausklang der langen ersten Session (von der die Trio- und Quartettstücke mit Charles sowie die zwei Shepp/Neidlinger-Duos – s.u. – stammen).

Danach nochmal „Things Ain’t What They Used to Be“ hören, hm … doch an der Stelle passt das gar nicht so schlecht, dieser ebenfalls etwas kürzere Take wirkt auf mich auch fast etwas lebendiger. Terry zitiert „It Ain’t Necessarily So“, Taylor sorgt für eine tolle Begleitung, Neidlinger ist in seinem Solo leider nicht laut genug aufgenommen (aber Candid war ja nie für besonders guten Klang bekannt … oder war das einst bei den Original-LPs noch anders?), Rudd ist toll, eigentlich schade, dass Taylor kaum je mit Posaunisten gespielt hat.

Die letzten Ladung Musik, die Taylor für Candid eingespielt hat, erschien auf dem Album Cell Walk for Celeste, benannt nach dem Stück, das Neidlinger oben als den Höhepunkt der Gruppe beschreibt. Zwei frühe Takes umrahmen zwei weitere von „Jumpin‘ Punkins“, zwei Takes vom Duo „Davis“ von Shepp/Neidlinger sowie ein letztes Stück des Quartetts, „Section C“.

Los geht es mit dem ersten langen Take von „Cell Walk“, Shepp wirkt hier etwas unsicher, das ganze hat noch längst nicht die Präzision des Takes, der auf „NY City R & B“ erschien, doch ist es natürlich faszinierend, diesen Musikern zu lauschen, auch wenn sie – vom Leader abgesehen – streckenweise selbst noch nicht zu wissen scheinen, wohin die Reise gehen soll.

Die Duos von Archie Shepp und Buell Neidlinger gefallen mir sehr gut, sie wirken entspannt und Shepp scheint weniger auf der Suche, er spielt einfach, seine Linien wachsen organisch, sein toller Ton kommt schön zur Geltung – welchem „Davis“ sie gewidmet sind, weiss man wohl nicht. „Section C“ ist die eine Quartett-Nummer vom zweiten Tag (Shepp, Neidlinger, Charles), rasches Tempo, dichte Akkorde, tolle, sehr strukturiert wirkende Begleitung von Charles … und auch hier scheint Shepp einfach mit dem Flow zu gehen und das kommt gut. Taylor spielt danach ein grossartiges Solo – wie übrigens auch schon auf dem ersten Take von „Cell Walk“ am Anfang der CD – seine Soli sind oft wirklich fast nicht zu fassen!

Es folgen die zwei weiteren Takes von „Jumpin‘ Punkins“ – entweder fehlt einer in der Mosaic-Box (Takes 4 & 6) oder bei den Candid-CDs hat sich noch ein Fehler eingeschlichen (Takes 4, 5 & 6). Da sie alle zwischen 8:10 und 8:15 sind, ist das nicht so leicht zu sagen, am Computer vergleichen mag ich gerade nicht, aber gemäss der unten verlinkten Diskographie auf der EFI-Seite fehlt bei Mosaic der mittlere Take. Lacy ist im Solo in Take 4 humorvoll drauf, das ganze wirkt aber noch etwas rauher als später, die Takes halfen wohl für die Feinabstimmung der Gruppe. Am besten gefällt mir hier neben dem Trio in beiden Takes Roswell Rudd mit seinen Soli – das Fazit zu dieser All Star-Session ist denn auch kein wahnsinnig positives.

Toll ist dann aber der weitere Take (Nr. 3) von „Cell Walk for Celeste“, mit dem die CD schliesst. Shepp spielt ein ziemlich tolles Solo, diskursiv, gut aufgebaut und schön mit der Begleitung sich verzahnend.

CODA: Into the Hot, Impulse A-9, das zweite Album, zu dem Gil Evans sich bei Bob Thieles neuem Label verpflichtet hatte, das er aber nicht liefern wollte. Er gab sein Gesicht und seinen Namen, der durch die Alben mit Miles Davis inzwischen ziemlich bekannt war. Für Impulse hatte er davor das Meisterwerk „Out of the Cool“ eingespielt. Die eine Hälfte des Albums präsentiert drei Arrangements für grosse Besetzung von Johnny Carisi, der einst für „Birth of the Cool“ das Stück „Israel“ beigetragen hatte aber keine grosse Bekanntheit erlangen sollte, die andere Hälfte – die Stücke wechseln sich ab – ein Sextett von Cecil Taylor. Evans gab seinen Namen damit für eine gute Sache, aber das sollte für fünf Jahre Taylors letzte Studiosession bleiben, die wenigen Aufnahmen aus der Zwischenzeit entstanden bei Konzerten in Europa.

Im Oktober 1961 fand Taylor sich also noch einmal in einem Studio in New York ein, mit ihm sein neuer Saxophonist Jimmy Lyons, der
über Jahrzehnte zu seinem treuesten Begleiter und kongenialen Partner werden sollte, Archie Shepp am Tenor, Henry Grimes am Bass und Sunny Murray am Schlagzeug. Grimes sorgt für ein lebendigeres, druckvolleres Fundament als Neidlinger, was mit Murray sehr gut passt, der ja auf den beiden Stücken vom Vorjahr Neidlinger ziemlich an den Rand drängte. Wie die beiden hinter Taylor powern, wenn der im ersten Stück, „Bulbs“, sein Solo öffnet, ist klasse! Dann stossen die Saxophone dazu – und bald hören wir zum ersten Mal Jimmy Lyons, mit grossartigem, klarem Ton und rasanten, überraschenden Linien, die zu diesem Zeitpunkt noch tief im Bebop, tief in Charlie Parker verwurzelt waren. Wie Taylor ihn begleitet und Lyons in den Dialog mit dem Klavier tritt, ist aber hier schon klasse – auch wenn er direkt danach wieder ein paar Bebop-Klischees raushaut.

Schon nach wenigen Minuten tritt hier eine Erkenntnis zutage: das ist die erste Session, bei der Taylor von Musikern umgeben ist, die sich völlig auf seine Musik einlassen können – das übertrifft alles, was er bis hierhin gemacht hat. Auch Archie Shepp wirkt gereift, wenn er seine Linien bellt, die Töne mal streichelt, dann wieder ruppig, fast holzschnittartig loslegt. Das alles hat eine Schärfe, die es zuvor nur im Klavierspiel des Leaders gab, ohne dass sie sich vollends auf die Band übertrage hätte. Auch Ideen wie die Bläser-Fanfaren im Thema von „Bulbs“ sind neu, das Kontinuum wird weiter aufgebrochen, die einzelnen Teile werden neu zusammengesetzt und zu etwas völlig eigenem umgeformt – und da ist, gerade in „Bulbs“, auch reichlich Platz für den geliebten R & B (siehe Stevie Wonder oben – das alles darf eigentlich nicht weiter überraschen, auch wenn es doch nur selten auf der Hand liegt).

„Pots“ ist ein rasantes Stück, das etwas konventionell beginnt, aber schon im Thema wieder aufgebrochen wird: Rubato, Arco-Bass, kein festes Metrum, wechselnde Tempi … Lyons ist einmal mehr der erste Solist, Murray legt einen zickigen, asymmetrischen Swing drunter, Grimes grummelt herum, baut ein solides Fundament, das aber nie ganz fassbar wird, sich immer wieder entzieht und dadurch etwas rätselhaft wirkt. Taylor folgt mit einem tollen Solo, das vor der neuen Rhythmusgruppe nochmal an Dringlichkeit gewinnt, den Abschluss macht dann Archie Shepp.

Das längste Stück der Session ist das zehnminütige „Mixed“, auf dem die Grupp eum Ted Curson (t) und Roswell Rudd (tb) erweitert wird – auch sie hatten schon mit Taylor aufgenommen, neu sind hier nur Lyons und Grimes – und doch ist alles anders. Das lange Stück ist eine bittersüsse Mediation über die Liebe, ein Versuch, Gefühle einzufangen, die Taylor damals im Rahmen einer Beziehung durchlebte. Curson tritt als erster in den Vordergrund, sein Ton geschärft und spitzer als zwei Jahre zuvor. Es folgt eine Art Choral mit den Saxophonen, dem Klavier und gestrichenem Bass, und nach nicht ganz drei Minuten taucht ein kreisendes Motiv auf, das zum Thema wird, die Bläser und der Bass repetieren es gemeinsam immer wieder, von der Taylor und Murray angetrieben. Daraus entwickeln sich dann die Soli. Hinter Lyons begleitet auch Rudd, Grimes bleibt am Bogen und oft in höheren Lagen, denn Taylors Linke und Murrays Bass-Drum decken die tiefen Frequenzen schon ganz gut ab. Dann Curson mit Dämpfer über Shepp und Taylor, ein dichtes Gewebe ist das, in dem die Stimmen kommen und gehen und tatsächlich etwas Gemeinsames geschaffen wird, das über das Nebeneinanderherspielen des traditionellen Jazz weit hinausgeht. Die Musik kommt in Schüben, Murray scheint dauernd zu beschleunigen und zu verlangsamen, hinter Taylor repetieren die Bläser wieder das Themen-Motiv. Zurück ins langsame Tempo – wobei das alles wirklich nahtlos übergeht, ohne Bruch. Klagendes Altsax, sirrender Bass, dann noch einmal Shepp und zum Ausklang schliesslich wieder Cursons Trompete. Toll.

In den späten 90ern erschien die Taylor-Session zusammen mit dem Impulse-Album von Roswell Rudd auf der CD Mixed (GRP/Universal, 1998), da hörte ich sie erstmals, eine meiner ersten Aufnahmen von Taylor, neben dem Blue Note Twofer mit „Jazz Advance“ und „Love for Sale“, den ich mir damals von einem Bekannten auf Kassette überspielen durfte.

Diskographisches:
http://www.efi.group.shef.ac.uk/mtaylors.html
https://www.jazzdisco.org/candid-records/discography-1961/
https://www.discogs.com/Cecil-Taylor-And-Buell-Neidlinger-The-Complete-Candid-Recordings-Of-Cecil-Taylor-And-Buell-Neidlinge/release/2955016

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