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@pipe-bowl, @cleetus Das Buch kenne ich auch nicht. Die Geschichte erscheint mir als eine Geschichte der Verwahrlosung, die in der Bergwelt nicht ihre Erlösung – obwohl sie natürlich dort gesucht wird, wahlweise am Meer –, sondern ihre vorläufige Erfüllung findet. Also eher ihre Einlösung.
Statt Verwahrlosung könnte ich alltägliche Unaufmerksamkeit sagen. Die Szene am Essenstisch, als Sohn Chris seinen längst in Wirklichkeit gefassten Entschluss in steifer Rückenlehne von sich gibt, die Freundin gutbürgerlich etwas dazu sagt wie, es sei doch das, was er möchte, die Eltern zwar dagegen sind, aber die Mutter nur sprachlos mit einem „Nein“ – direkte Korrespondenz zu ihrer in sich verschlossenen Verzweiflung und ihrem Tod – und der Vater mit dem Vorschlag, noch einmal zu reden …
Der Vater hat gar keine Sprache. „Hund“ – diese Verallgemeinerung trotz leibhaftigem Vor-sich-Habens eines Hundes, dem man sehr leicht einen Namen geben kann, besonders dann, wenn er noch der ist, der „mitkommt“, ist bezeichnend. Die Bergwelt ist als Parabel angelegt, das entschuldigt den „Hund“. Mir wäre da aber, obwohl es nicht allzu wichtig ist, eine typologische Zweiteilung lieber gewesen: all die Szenen des Davorlebens in einem Teil I, all das andere am Berg in Teil II.
Die heile Welt war nie eine, aber vielleicht wäre das mit meiner gewünschten Zweiteilung nicht zu sichtbar geworden. Das weiß ich nicht. Es gehen in dieser Familie und fast wie im Volksmund die Beschwörungen und Beschwichtigungen durch die Münder. Was haben wir mit diesem Krieg zu tun? Er weiß, was er tut. Ihm passiert nichts.
Und dann „passiert“ halt doch alles. Der Vater ohne Sinn für irgendetwas, auch wenn er sich mal fast wie political correct fragt, ob der Sohn nicht doch etwas in sich zum Krieg gehabt habe … Das ist eher einfach, er selbst ja auch – aber das wussten wir vorher. „Hund“ immer zurücklassen, zum Tierarzt nach Bedarf bringen – nur einen Angriff auf sich darin sehen, nicht die lebensdrohende Verletzung sehen, nicht mal das zu wissen, so stumm sitzt er auch vor den E-Mails des Sohnes, der gleichermaßen nur daher erzählt vom Volleyball und so … Und so legt er dann auch den verwundeten Typen der dann vollends nur in der Parabel möglichen Gegengeschichte mit der vorbeikommenden Frau vor der Praxis ab. Das strapaziert den freundlichen Interpretationswillen schon ein bisschen.
Es ist ein Film auf einer Gratwanderung, nicht zu moralisierend, wie man sagt. Und das ist mir auch recht, sonst würde es schlicht zum „Tendenzstück“. Moral ist immer klar. Sondern er zeigt, wie leicht die Leichtigkeit der Moral kippt und sich nicht anders zu helfen weiß, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Es dürfte aber Geschichten dieser Art geben, die einfach nur verhallen. Der Film ist vermutlich gegen dieses Verhallen gemacht worden.
Die letzte Nachlässigkeit war, den Hund erfrieren zu lassen. Die Rückfahrt über üble Brücken eine Art Stante-pede der Dummheit. Womit sich der Film zum Anfang schließt und das ist dann wohl so in unserer hübschen Wirklichkeit.
Am Ende erinnere ich mich an Tucholskys Wort, dass Soldaten Mörder sind. Und Eltern, die sie nicht davon abhalten, auch.
Und Matthes und Auer – und der Hund und der Regisseur – haben das alles gut erzählt. Mehr nicht.
Oder wir nehmen es als Film der letzten Resignation. Dann ist er sehr gut.
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