Antwort auf: Blindfold Test #25 – Nicht_vom_Forum

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vorgarten

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brandstand3000
echt viele krumme takte im ersten teil, aber wenig selbstzweck. konnte auch noch nicht alle auszählen. ist die #3 zb nur ein komisch betonter 4er? im langsameren „prog“-teil zähle ich aber bis 15. klar, ist das verkopft, funktioniert für mich musikalisch aber super. klingt wie funk mit haltungsschaden.

für mich ist das alles ein echtes problem, was mir seit den 1990ern viel zeitgenössischen jazz verleidet. ganz grob vereinfacht sind das für mich impulse aus dem prog rock, die über den jazzrock in den 1970er (2. hälfte) jazz geflossen sind. leute wie der genannte metheney sind da ziemlich wegweisend gewesen. das verknüpft sich aber in den 1990ern mit dem traditionalistischem jazz, in form von ungerade metren, komplizierten themen, steigerungs-soli und instrumentalistischer glätte. da gab es durchaus pioniere, tim berne z.b., aber heute ist das hochschulstandard. und die ganze reibung und vermeintliche schrägheit wird durch ambivalente harmonien (die immer so eine weinerliche, pseudo-tiefsinnige melancholie andeuten, schließlich darf es ja nicht pop sein) und schweißtreibende technische meisterschaft aufpoliert, die im aufgreifen des themas am stück jedesmal todsicher in die waagerechte gebracht wird. ich finde das furchtbar langweilig, weil es risiko-signale produziert und doch die totale nummer sicher ist, jedenfalls wenn man das lange genug übt.

dünnes eis wird meine argumentation, wenn man sich gleichzeitig die parallele entwicklung von m-base ansieht, das ja auch funk und rock in den jazz einbringt, mit ungeraden metren und technischer virtuosität arbeitet, aber das schien mir immer eher aus afroamerikanisch-afrikanischer polyrhythmik heraus entwickelt, potenziell eher als trance-mucik zu funktionieren (ohne steigerungslogik) und auch tatsächlich riskant zu sein… von den deutschen musikern hat da eine zeitlang nils wogramm ein bisschen mit experimentiert, aber seine sachen klingen heute auch nicht anders als niescier oder so.

für mich trennt sich die spreu vom weizen schon darin, ob da am ende individuellen stimmen sich gegen die formate behaupten, was eigenen hinkriegen. ich habe in den 1990ern mal die franck band mit gastsolisten gehört, das war ja auch ein kölner gewächs, mit sehr viel simplerem funk-jazz-spaß-konzept, wo dann aber gratkowski, winterschladen, wogram und schubert mitspielten und dann schon deutlich wurde, wer wirklich etwas zu sagen hat.

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