Antwort auf: Elektronische Höhepunkte 2017

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friedrich

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Hatte hier niemand im Jahr 2017 auch nur einen elektronischen Höhepunkt? @clau, @elmo-ziller, @herr-rossi, @pinball-wizard, @songbird, @spiderland77, @vorgarten? Schade!

Dann will ich mal, auch wenn ich wie immer nicht gezielt Elektronisches gekauft und gehört habe und mich erst gegen Ende des Jahres etwas an der einschlägigen Presse (Groove) oder an den einschlägigen Websites (Resident Advisor, Pitchfork, allmusic …) orientiert habe. Ein bisschen habe ich dabei das Gefühl gehabt, mit Planung den Zufall durch Irrtum ersetzt zu haben. Völlig unrepräsentativ für 2017 sind meine Kandidaten wahrscheinlich sowieso.

In qualitativ aufsteigender Reihenfolge:

Actress – AZD (2017)

Mich reizte das irgendwie schon wieder altmodische Science Fiction-Cover, dann konnte man bei RA und allmusic sehr gute reviews lesen. Beim Reinhören reizten mich auch die betont artifiziellen Sounds. Leider habe ich inzwischen aber den Eindruck gewonnen, dass sich die Qualität der Platte darin schon fast erschöpt, denn teils meint man, einfach nur minutenlange loops mit umherzumselnden sounds zu hören, die Actress alias Darren Cunningham, meint mit beats versehen zu müssen – die aber meist nicht besonders originell sind. Kann ich nebenher hören, aber es fehlt mir was, das zündet. Ich habe AZD noch nicht ganz aufgegeben, aber aktuell bewerte ich das Album mit gerade mal 3 Elektronen.

X22RME

Bicep – (2017)

Noch so ein Liebling von mancher Website, von den Lesern der Groove auf Platz 1 gewählt, obwohl die gleiche Zeitschrift das Album bei Erscheinen übel verrissen hatte. RA wiederum empfiehlt das Album. Tatsächlich klingt das Debut von Bicep nach 90er sounds aus der Dose und irgendwie billig – wobei ich nicht weiß, inwieweit da Ironie und Lust am Zitat eine Rolle spielen. Einiges geht aber sehr gut ins Ohr und in die Hüften. Anderes klingt wie süßlicher Muzak und die Gesangseinlagen und -samples sind meist das nackte Grauen. Da sehe ich vor meinem geistigen Auge auf einem Festival Menschenmassen die leuchtenden Handys schwenken. Dennoch machen mir Bicep über weite Strecken Spaß und wenn ich das für mich unanhörbare Drittel der 12 trks rausprogrammiere, schafft es das Album bei mir auf 4 Elektronen.

Glue

Call Super – Arpo (2017)

War im November Album des Monats in der Groove, ein Track davon auf der beiliegenden CD gefiel mir und so wanderte die LP in den Einkaufswagen. Arpo ist nichts, was unmittelbar ins Ohr oder die Hüften geht und dort hängen bleibt – insofern ist das ein ziemliches Kontrastprogramm zu Bicep. Arpo blubbert, rauscht, knistert und wabert, mal ist das klar strukturiert, mal mäandriert das umher und wird unklar als würde man träumen bis es sich wieder fängt. Auf mehreren Stücken gibt es eine Klarinette (!), aber die ist auch mehr sound als Melodie. Man hört clicks & cuts raus, auch Techno-Dub, das vagabundiert irgendwo zwischen dancefloor und ambient (mehr Richtung ambient), sickert langsam in die Gehörgänge und breitet sich darin aus. Gute 4 Elektronen

Arpo Sunk

Elektro Guzzi – Parade (2017)

Eine EP mit 4 trx und 32 min Spielzeit, im Anschluss an einen tollen EG-Gig gekauft und daher natürlich emotional besetzt. Aber Parade ist wirklich gut! EG sind ja ein Trio, die auf git, b + dr Techno live spielen, wobei der Begriff Techno da weit gestreckt wird. Auf Parade geht das noch weiter, denn EG erweitern die Belegschaft um 3 Posaunen, verändern ihren sound ins Flächige, Dubbige und Bassige. Der Einsatz analoger Instrumente führt hier ganz besonders zu einem anderem Klang und einer organischen Struktur. Alles fließt, wenn auch teils in super slo-mo. Eine sehr schöne Entwicklung der man – wenns nach mir ginge – auch auf Albumlänge hätte Lauf lassen können. Starke 4 Elektronen.

Making Of Parade

Porter Ricks – Anguilla Electrica (2017)

Beim Stöbern im Plattenladen entdeckt, Cover gefiel, mal reingehört und käuflich erworben. Hier ersetzt mal der glückliche Zufall den Irrtum. Auch PR‘s AE gehört wie EG‘s Parade ins dubbig-trippige Fach, aber das hier ist noch mal eine Stufe komplexer, sowohl klanglich als auch rhythmisch, auch kraftvoller. Da schieben sich die Klangflächen über- und gegenenander, da pumpt der Bass und wummert die bass drum – jedoch ohne dass das hart klingt, denn dazu wirkt es zu organisch, wird manchmal weit runtergebremst und breitet sich dann wie warmer Teer aus. PR öffnen unterschiedliche Klangräume und schlagen sie wieder zu und springen dazwischen hin und her. Dunkle Psychedelia mit groove, wenn so will. Und mit gerade mal gut 42 min bleibt das bis zur letzten Sekunde spannend. Ich gebe kraftvolle 4,5 Elektronen.

Porter Of Tangency

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)