Antwort auf: Gipettos Rezi-Kiste

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gipetto
Funk 'n' Punk

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The Brian Jonestown Massacre – Tepid Peppermint Wonderland: A Retroperspective (2004)

The Brian Jonestown Massacre – ein skurriler Name, über den ich im Laufe der Jahre immer mal wieder gestolpert, mit der zugehörigen Band und deren Musik aber dennoch nie bewusst in Kontakt gekommen bin. Zu lesen war von einem genialen und hochproduktiven, dabei aber psychopathischen und unberechenbaren Bandleader namens Anton Newcombe, der im Laufe der Geschichte der Band ganze 40 Mitmusiker verschlissen haben soll.

Als ich mich über das Jahr 2017 hinweg etwas intensiver der psychedlischen Musik widmete, wurde ich zwangsläufig immer wieder mit der Nase auf diesen Bandnamen gestoßen, der eine wortspielerische Referenz an den musikalisch genialen Gründer der Rolling Stones sowie an den Massen(selbst)mord einer Sekte, der sich Ende der 70er Jahre in Jonestown, Guyana, zutrug und mehr als 900 Todesopfer forderte, darstellt. Doch wo anfangen bei einer Band, die im Laufe ihrer Karriere bis dato 17 vollgepackte Studioalben (davon alleine drei im Jahr 1996), 13 EPs und diverse Singles veröffentlicht hat? Nachdem die Dokumentation Dig!, die das mit der Zeit erodierende Verhältnis zwischen dem BJM und den zunächst befreundeten The Dandy Warhols aufschlussreich beleuchtet, erste bleibende Eindrücke vermittelte und eindeutig Lust auf mehr hinterließ, erschien mir eine Kompilation am sinnvollsten, um mich der Band und ihrem gewaltigen Output zu nähern.

Die Wahl fiel auf schnell auf Tepid Peppermint Wonderland: A Retroperspective, die das Schaffen der Gruppe von 1995 bis 2004 anhand von nicht weniger als 38 Tracks umreißt. Enthalten sind ohne jegliche chronologische Ordnung Albumtracks, Singles, ein paar unveröffentlichte Studioaufnahmen und drei Livemitschnitte. Zunächst ist auffällig, wie sehr sich die Tracks trotz einer Veröffentlichungsspanne von neun Jahren, dem Mitwirken unzähliger Bandkonstellationen und unterschiedlicher stilistischer Auslegungen wie aus einem Guss aneinander reihen. Musikalisch bieten Newcombe und seine Band(s) ein astreines Revival diverser Spielarten der 60s Psychedelic-Palette, wobei sowohl in britischen als auch amerikanischen Klanglandschaften „gewildert“ und munter daraus zitiert wird, ohne dabei jedoch die Originale – exemplarisch seien die Rolling Stones, die Byrds oder The Velvet Underground genannt – zu kopieren. Neben Anton Newcombes offenkundiger Fähigkeit, wie am Fließband zu komponieren, besticht er insbesondere durch die Gabe, die Stücke mit ganz feinem Händchen zu arrangieren: Die Musik ist in der Regel zwar eingängig und durch einen einfachen Aufbau geprägt, doch sind es die instrumentalen, subtilen Feinheiten, die den Tracks ihre Magie geben. So sind selten weniger als drei Gitarrenspuren zu hören, die die Stücke jedoch nie zubraten, sondern stets Raum zur Entfaltung lassen. Die Gitarrensoli sind zumeist reduziert und schlicht gehalten, erzeugen dafür aber umso mehr Wirkung. On top kommen noch diverse Instrumente, die Newcombe aus seinem Selbstverständnis heraus einbringt (Orgel, Mellotron, Streich- und Blasinstrumente). Auch die Physik des Equipments macht die Band sich zu eigen – so sind sind hier und da Störgeräusche der Amps zu hören, die repetitiv als bewusste Stilmittel eigesetzt werden, ohne die Stücke dabei jedoch in Feedback oder gar Lärm zu ertränken. Einen großartigen Job macht auch Joel Gion, der als eines der wenigen Langzeitmitglieder und hauptamtlicher Perkussionist enorm zur Atmosphäre beiträgt. Entstanden sind elektrisch und verträumt treibende Nummern wie das phänomenale Anenome, wunderschöne (halb-)akustische Stücke (It Girl, Nevertheless, If Love Is The Drug, Open Heart Surgery), raue Garagenklänge (Talk – Action = Shit, That Girl Suicide, Mary Please) und von Drones geprägte Longtracks (She’s Gone, Sue).

Kurzum: Tepid Peppermint Wonderland ist eine hervorragend und harmonisch zusammengestellte Best Of-Kompilation einer Band, deren überbordendes musikalisches Schaffen leider nie die Aufmerksamkeit erfahren hat, die es verdient hätte, sofern die vorliegende Auswahl auch nur annähernd als qualitativ repräsentativ für den (frühen) Output von The Brian Jonestown Massacre angesehen werden kann. Die Band besticht durch großartiges Songwriting mit teilweise herausragenden Melodien und verpackt dieses in fantastische, psychedelische Arrangements, die ihre Kraft vorwiegend mit intelligenter Subtilität entfalten und dennoch gleich mitzureißen vermögen. Selten wurden meine Erwartungen an einen musikalischen Erstkontakt derartig übertroffen wie mit dieser Zusammenstellung.

 

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"Really good music isn't just to be heard, you know. It's almost like a hallucination." (Iggy Pop)