Antwort auf: jazz nach dem jazz – (US-)Jazz 1975-85

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gypsy-tail-wind
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vorgartenhab jetzt schnell mal nachgesehen, welche us-label in diesem zeitraum überhaupt aktiv waren (und der zeitraum macht schon sinn, mit dem relaunch von blue note 1985 und mehreren neuen labels, cuneiform z.b.), das sind gar nicht so wenige:

schlussphasen bei atlantic (bis 77), blue note (bis 79), impulse (bis 77), tribe (bis 77), flying dutchman (bis 76), contemporary (bis 77? oder 84?), chiaroscuro (bis 78), cti

hochphasen bei cadence (ab 1980), concord, delmark, elektra/musician (ab 82), fantasy, galaxy, gramavision, grp, india navigation, muse (& onyx bis 78), nessa, pablo, palo alto und xanadu.

dann gibt es noch ein paar kleine, die ich mit flüchtigem blick ganz interessant fand: adelphi, arhoolic, gunther schullers gm recordings, gnp crescendo, inner city, new world records, revelation und sunnyside (ab 82).
cuneiform, wie gesagt, ab 1984.

die ursprünglichen nicht-amerikaner, vor allem denon (war das label überhaupt japanisch?), ecm, enja, minor music usw., würde ich ja eher ausklammern, weil sie für eine andere tradition oder eine andere wertschätzung stehen – aber vielleicht ist das ja quatsch. aber auf jeden fall würde ich die labels ignorieren, die nur „zuhause“ aufgenommen haben.

Wäre auch für Ausklammern – die Weber-Produktionen bei Enja und weite Teile des Soul Note/Black Saint-Katalogs stehen ja quasi dafür, wie Muse und ähnlich geartetete (Xanadu und Bee Hive waren 1975 noch nicht vorbei oder? ach so, sorry, Xanadu zunächst überlesen in Deiner Liste … wann kommt HighNote ins Spiel, erst in den 90ern?) auch Label hätten machen können, wenn sie etwas anders an dei Tradition gegangen wären (in Europa gibt es ja bei Steeplechase beides, MPS wohl irgendwie auch, da gab’s ja auch Ra, Shepp, Taylor … und bei Criss Cross z.B. auch wieder die vornehmlich brave Hälfte, aber auch ein paar schöne Dinge mit Veteranen – Chet Baker, Ted Brown … sowas finde ich darf man nicht kleinreden … Nessa machte ja auch Eddie Johnson und Ira Sullivan, wobei das Album von letzterem fast so ein Zwitter ist wie das oben angetönte – auf dem schwedischen Label Sonet – von Art Farmer mit Janne Schaffer).

Die Periode macht auf jeden Fall Sinn, denn 1975 war auch der Fächer der Siebziger endgültig aufgespannt (oder schon: überspannt), manches ging den Weg der Fahrstuhlmusik („Smooth Jazz“, was ja mit Jazz gar nichts mehr zu tun hatte, für die „suits“ bei ABC war das wohl ein feuchter Traum, „Jazz“ und völlig weiss – selbst wenn sich natürlich auch schwarze dazu hergaben, mit der Produktion von Muzak ein Leben zu machen. GRP ist ja diesbezüglich auch so ein faszinierend-abstossend Ding, Grusin/Rosen mit ihrem eigenen klinischen Sound (ich muss da immer an die Yellowjackets denken, aber für die gab sich ja Bob Mintzer auf … Erskine auch noch? Mag sowas nicht googeln, hatte am Gymnasium einen Freund, der auf sowas stand, bei Spyro Gyra war bei mir die Schmerzgrenze dann aber endgültig überschritten, Stanley Clarke „Live at the Greek“ musste auch nicht sein, lieber ein Ouzo beim Griechen) … wo war ich? GRP mit diesem Klangbild, das unweigerlich an glänzende aber ausgetretene Linolböden in einem Krankenhausflur denken lässt, Wände in Eierschale, abgewetzt aber – wenigstens oberflächlich – blank (was sich da alles für unsichtbare Bazillen will ich gar nicht wissen, aber unterdrückt wurde da ja fast alles Lebendige). Zugleich sind das dann aber auch die Leute, die sich dem tollen Impulse-Katalog annehmen und – puristisch, das passt dann aber wohl schon – auf die Klassiker losgingen, eben nicht „Antelope Freeway“ und den Handy Dandy Mann sondern Coltrane, Coltrane, Coltrane, Tyner, Hamilton, Hawkins, Ellington, Hampton, Coltrane, Shepp, Coltrane, Sanders, Coltrane, Coltrane … da gingen dann natürlich auch die späteren Sanders-Alben zunächst unter, ebenso Marion Brown (ausser „Three for Shepp“, das ja das „klassische“ seiner Impulse-Alben ist) …

Und klar, 1985 macht perfekt Sinn, Blue Note-Relaunch, so ab 1987 die ganzen CD-Reissues, Fantasy fing ja auch etwa in der Zeit an – und die Young Lions, die dem Mainstream Jazz wieder Schub gaben (trotzdem ging Muse ein – warum eigentlich? @redbeansandrice?) kamen ja auch um die Zeit gross raus, plötzlich fingen die Major wieder an, Jazz zu produzieren …

Contemporary grad rasch in der „Contemporary Story“-Box nachgeschaut – die Jahre nach 1977 sind da musikalisch nicht mehr abgedeckt, aber es ging weiter, Sohn John Koenig lebte in Stockholm, war Cellist bei der Schwedischen Radiosinfonie, kehrte dann auf Drängen von Musikern wie Shelly Manne zurück, schloss angefangene Projekte seines Vaters ab („At the Piano“ von Hampton Hawes, der auch noch 1977 starb) und hatte genügend Erfolg, um den Katalog (von den ca. 200 Alben waren anscheinend nur noch ca. 30 erhältlich) wieder aufzubauen. 1984 wurde das Label dann aber – finanziell unter Druck – von Fantasy übernommen, die auch weiter Aufnahmen herausbrachten (die grossartigen Art Farmer-Alben mit Clifford Jordan 1987-89 etwa) … das ging also nahtlos weiter, sogar bis über das faktische Ende, das 1984 anzusiedeln ist (Pablo lief ja z.B. noch bis in die Nuller weiter, z.B. für erstmalige JATP-Veröffentlichungen wie jene von Horace Silver aus Paris 1962 oder die Adderley/Shearing-Sets von Newport 1957 (die damals nicht in den Verve-Katalog finden konnten, weil beide Headliner anderswo exklusive Verträge hatten).

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