Antwort auf: Geri Allen (1957-2017)

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Dewey Redman Quartet – Living on the Edge (1989) | Das Album ist dann wohl so unerwartet brav, wie die Ambrosettis unerwartet frisch sind … was nicht heissen will, dass Dewey Redman nicht mit seinem grossartigen Ton glänzt, dass er nicht ziemlich viel zu bieten hat. Klar hat er das, aber mir scheint – das war auch meine Live-Erfahrung (mit Rita Marcotulli, John Betsch und … Bassist müsste ich nachschauen bzw. kann man wie ich sehe sogar hier, Tracklist habe ich auch nicht, sonst wäre sie auch dort zu finden: John Menegon also – Moods, Zürich, 2002 – mein MD-Recorder lief unter dem Stuhl mit) – eben auch, dass er sich gerne etwas verzettelte, vielleicht verlor, gerade wenn er „brave“ Tunes und Standards spielte (ein catchy Dexter Gordon-Blues stand damals auf dem Program, ich glaube derjenige aus der Feder von Billy Eckstine, der auf einem der Blue Note-Klassiker drauf ist, aber man behafte mich nicht auf sowas, müsste das nachhören und habe natürlich selbst am wenigsten Ahnung, wo die Aufnahme sich gerade verstecken könnte). Hier wird Redman (er spielt Alt und Tenor) von Geri Allen (p), Cameron Brown (b) und Eddie Moore (d) begleitet. Die ersten drei Stücke hier stammen von Redman, dazu gibt es eine schöne Version von „If I Should Lose You“ und zum Ausklang Coltranes „Lazy Bird“ (von „Blue Train“) – bei beiden werden Redman und Allen als Arrangeure gelistet, ansonsten Redman. Das Stück zwischen den beiden Fremdkompositionen heisst „As One“ und ist ebenfalls von Redman, der hier nur von Allen begleitet wird. Das Stück erschliesst sich wohl nicht beim ersten Hören, aber es gefällt mir immer besser, ist das mit Abstand freieste und persönlichste auf dem Album. Allen setzt zwischendurch komplett aus und Redman rauht seinen Ton auf, singt durch sein Horn.

Joseph Jarman – Inheritance (1983) | Ein paar Jahre früher wirkte Allen im Quartett eines anderen Veteranen mit, Joseph Jarman (ts, ss, fl). Mit Fred Hopkins (b) und Don Moye (d) sind zwei weitere wichtige Exponenten der Chicagoer-Szene dabei. Allen ist an Piano und Synthesizer zu hören, stilistisch ist das sehr viel offener als bei Redman und den Italienern im Kontrollraum – dass neben fünf Jarman-Originals auch Sidney Bechets „Petite Fleur“ (all the women get wet crotches – der Satz ist auf ewig eingebrannt, was „Petite Fleur“ betrifft, und klar, schon der Name des Stückes spricht ja davon … von wem das Zitat stammt muss ich hier nicht öffentlich ausbreiten) und Charlie Parkers „Blues for Alice“ zu hören sind, ändert daran nichts. Moye und Hopkins sind zugleich völlig geerdet und total frei, eine faszinierende Kombination, die in Chicago wohl häufiger als sonstwo anzutreffen ist. Allen kriegt ihren Platz und ist die perfekte Wahl für den Rahmen, in dem Cluster und eingängie Bass-Licks bestens zueinanderpassen, in dem Verdichtung nie heisst, laut zu werden oder gar aggressiv – die ruhende Kraft in dieser Musik ist viel intensiver als wildes Geschrei, wie es damals die Europäer bevorzugten (die laberten aber eher von Titten und Bier, die Kunst der Andeutung – „Soft and Furry“, „Warm Valley“ etc. passte nichts in Programm). Wenn ich sage „damals“ meine ich natürlich nicht 1983 und nicht Geri Allen sondern die Zeit, in der Jarman, Hopkins und Moye ihre Sporen abverdienten: AEoC, AACM, Air etc. Das Album funktioniert übrigens für mich heute auch zum ersten Mal so richtig. Dass ich innerhalb des AEoC eine Präferenz für Roscoe Mitchell habe, ist bekannt und liegt wohl in erster Linie daran, dass es mir recht schwer fällt, Joseph Jarman zu fassen. Aber wo ich jetzt begriffen habe – ohne es im Detail erklären zu können – was Geri Allen macht, kommt hier alles schön zusammen. Das ist – wie das Redman-Album auch – kein Meisterwerk, aber es ist schon ziemlich gut, wie ich es nach vielen Jahren endlich wieder einmal höre.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba