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Ich füge der Klarheit halber mal ein „b“ vor die Nummern:
vorgarten
b#1
das ist eigentlich nur ein klaviertrio, oder? diese dunklen fanfaren kommen vom schlagzeug, schätze ich. ziemlich toll, wie die instrumente bearbeitet werden und wie düster das dräut. es klingt wie ein happening, hält aber auch musikalisch die spannung bzw. baut sie immer mehr auf. das stück bleibt großartig, es gibt ständig neue impulse, bis sich das am ende in dieser kaputten-spieluhr-figur verschraubt. ist ziemlich genau mein ding, energetisch. finde alle drei musiker super. habe kurz überlegt, ob das sophie agnel mit edwards & noble ist, aber die kenne ich eigentlich gar nicht gut. bin sehr gespannt auf die auflösung.
Eigentlich nur, ja … aber eben auch wieder eines, ich sagte es oben schon, das Klänge produziert, die ich so nur aus den 10ern kenne (denen nach den 80ern, versteht sich ) – Agnel ist das nicht … das Météo-Set des von Dir genannten Trios (ein one-off, glaube ich?) habe ich griffbereit ganz oben auf dem entsprechenden Stapel (Clean Feed und anderes Zeitgenössisches), aber noch nicht angehört – und dort hätte ich einen Auszug selbst erstellen müssen, da die CD nur einen Track enthält, der dann doch etwas gar lange gewesen wäre für einen BFT (38 Minuten). Gemäss einem französischen Bekannten, der letztes Jahr am Météo dabei war und Agnel in der Gegend um Paris schon oft gehört hat, war sie allerdings noch nie so gut wie letzten Sommer, als sie im Trio mit Michael Vatcher (d, perc) und Joke Lanz (turntables) auftrat – das war wirklich ein beglückendes Set (mein Kurzbericht steht hier).
vorgarten
b#2
akustische gitarre, bass, percussion, ein tenorsax. hier kommt alles viel mehr aus der stille und verknüpft sich zaghaft in kleinen gesprächen. die erste verdichtung kommt durch das schlagzeug, in das bass und sax einsteigen, während die gitarre rätselhafterweise still bleibt. nein, in minute 8 kommt sie dazu, diesmal elektrisch, da gibt es auch sowas wie ein thema, scheint mir. das sax ist kommunikativ, mir gefällt es aber trotzdem nicht besonders. die gitarre wirkt manchmal arg tastend und orientierungslos, versucht das aber als qualität zu verkaufen. am ende geht mir das auch zu sehr seinen gewollten gang. hier bin ich kein großer fan. hätte jetzt auf so leute wie rainey, laubrock, halvorson getippt, aber da singt jemand mit beim gitarrespielen, und die stimme passt nicht zum bild, das ich von halvorson habe ;)
Das ist eine ganz andere Ecke als Rainey/Laubrock/Halvorson … mir gefällt das Sax ausgesprochen gut und es ist der Hauptgrund, warum ich von diesem Album was drinhaben wollte. Das wäre ein Track gewesen, der eigentlich auch in die erste Hälfte gepasst hätte.
vorgarten
b#3
das klingt nach mindestens zwei präparierten klavieren. es gibt so eine art grundpuls, um den herum einiges soundmäßig überraschendes stattfindet. so richtig von der stelle kommt die improvisation dabei nicht, die länge stört mich ein bisschen. ab ungefähr der hälfte klingt es mal so, als ob etwas neues passieren würde, aber es ist nur eine kleine verdichtung. aber doch, je mehr „natürliche“ klaviersounds kommen, je mehr die geräusche perkussiv werden, desto intensiver wird es. ich finde es interessant, aber es packt mich über die länge nicht wirklich.
Ein Klavier nur. Die Länge der ganzen CD ist ca. eine Stunde und es fiel mir schwer, einen Track auszuwählen, weil das wieder so ein Ding ist, das man irgendwie einfach durchhören muss – wenn man denn will. Ich kam da eher allmählich rein, aber auch weil ich die Tendenz habe, solche Dinge spätabends zu hören, wenn ich nicht mehr aufdrehen kann, und die Details dann erst allmählich erkenne.
vorgarten
b#4
wow, fast 15 minuten sopransax solo. ein schöner, klischeefreier stream of ideas, sehr melodisch gedacht, der ton ist natürlich auch ganz schön. aber es wandert und schreitet so dahin, in relativ gleichen atemintervallen, das ich es recht ereignisarm finde. ein richtiger drang ist nicht dahinter. aber dann intensiviert es sich doch auch, die linien werden länger, die atmung gerät aus der gleichmäßigkeit heraus, der ton wird schärfer. zwischendurch höre ich barockphrasen heraus, kann mich aber auch täuschen. wenn es aber ab der 11. minute wirklich heiß wird, kommt schon etwas jazz durch.
naheliegenderweise musste ich an evan parker denken, den ich ja auch nicht allzu gut kenne, aber das hektische einatmen klingt eher weiblich…? höhepunkt und coda lassen mich dann doch etwas kalt, wie eigentlich das gesamte stück.
Das hat schon etwas gleichmässiges und etwas im weitestens Sinne „Klassisches“ (so weit gefasst eben, dass Barock mitgemeint ist) vom Gestus her, von der Phrasierung. Mich lässt das möglicherweise auch etwas kalt, aber ich wollte da auch was dabei haben, weil ich die Dame in der Tat schätze – einmal mehr, ohne so richtig sicher zu sein, warum …
vorgarten
b#5
jetzt der 21-minuten-brocken. wieder präparierte(s) klavier(e). schönes, ideenreiches schlagzeug dazu, dann noch ein bass, alle spielen in anderen zeitmaßen. was sind das für komische luftgeräusche? dem klavier wird schwindelig. toll, wie das schlagzeug plötzlich in einen groove fällt. darin wird es aber ziemlich allein gelassen. als effekt finde ich das ein paar minuten spannend, aber ich bin jetzt auf der hälfte und frage mich, was da jetzt noch kommt. ah, der schlagzeuger hört erst mal wieder auf. um dann sehr viel schneller wieder einzusteigen. wieder interessiert es die anderen kaum. fullstop nach 16 minuten, punktgenau zusammen, als hätten sich die gegeneinanderlaufenden metren tatsächlich in einem einigen moment getroffen. pause & hidden track? nachdenkliches klavier-solo, mit schön von der begleitung emanzipierten melodielinien. die atmosphäre ist eigenwillig, eine etwas kratzige melancholie, das scheint alles frei gespielt zu sein. zunehmend fließt das alles dann doch in gelernte muster, wird die begleitung fast zum stride. sehr hübsch.
Dazu gab’s dann noch einen Nachtrag, der mich in verschiedener Hinsicht beruhigte:
vorgarten
edit. das schlagzeug in b#5 ist wirklich fantastisch. eigentlich der ganze track. das wächst.
Viel mag ich dazu gerade auch nicht mehr schreiben, aber dies: so ein Full Stop in einem freien Rahmen wie diesem hier, finde ich immer wieder beeindruckend. Habe ich neulich auch wieder mal im Konzert erlebt. Die Wirkung kann schon immens sein, weil man sich der hohen Konzentration gegenwärtig wird, mit der in einem solchen Rahmen operiert wird, wenn die Beteiligten wirklich gut sind. Da ist eben kein „coasting“ im Spiel bzw. falls schon, folgt auch oft die Strafe umgehend, das ganze zerfällt, wird langweilig (oder einer merkt partout nicht, dass die anderen gerne aufhören möchten … und das Publikum kann sowas natürlich durchaus merken, was dann nicht sehr souverän rüberkommt).
Der hidden track, wir können ihn gerne b#6 nennen, aber ich wollte die Symmetrie nicht brechen und sehe den Track wie gesagt auch als Schlusspunkt zum Gesamtpaket, der so gesehen auch ausserhalb der anderen 18 Tracks stehen kann – andererseits braucht es, wenn man beide Teile zusammen nimmt, auch noch ein Scharnier, um wieder auf eine ungerade Zahl zu kommen … die Atmosphäre, das „Kratzige“ (passt, kam mir nicht in den Sinn), der Umgang mit Form und Freiheit und ja, ich denke auch, dass das spontan ist, habe aber keine Ahnung (auch kein passendes Konzerterlebnis dazu, aber selbst da wäre das ja schwierig herauszulesen, wenn man nicht danach im Gespräch mehr rauskitzeln kann, was ja leider auch oft nicht geht, davon ab bin ich da sowieso zurückhaltend).
vorgarten
interessanter bonus, etwas schwierig, sowas in einem bft zu hören, weil man sich oft schon nicht mehr an den anfang erinnern kann, wenn man durch ist. protokollieren ist aber auch blöd, weil man dann den blick für den langen bogen verliert. toll fand ich jedenfalls #1, und bei #5 will ich den schlagzeuger wissen.
vielen dank!
Danke Dir, dass Du das alles auf Dich genommen hast, und dann noch in der kurzen Zeit! Ich hoffe natürlich, dass es noch weitere Stimmen geben wird, aber schon dank Deiner und brandstands Rückmeldungen und der Diskussion seit gestern hat sich das alles mehr als gelohnt!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba